Wer bei den großen Festivals diesen Sommer Premieren leitet, am Klavier sitzt oder in den zuletzt vorgestellten Spielplänen der wichtigen Häuser für die kommende Saison steht – hier ein Überblick über aktuelle Shootingstars.

Pianistin Isata Kanneh-Mason, bald in Luzern zu hören.
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Isata Kanneh-Mason

Pianistin Isata Kanneh-Mason (Jahrgang 1996) und auch ihr Cello spielender Bruder Sheku Kanneh-Mason (Jahrgang 1999) sind bemerkenswerte Symbole einer neuen unbeschwerten Offenheit. Die Britin hat etwa auf Summertime (Decca) Songs von George Gershwin quasi aus dem Jazz in die Klassiksphäre zurückgeholt. Neben diesen Cross-over-Wagnissen hat sie aber ebenso Mozart, Claude Debussy und Robert Schumann aufgenommen. Sie sorgt dabei auch für Reichweiten: Als Pianistin, die vom Schleswig-Holstein Musik Festival den Leonard Bernstein Award bekam (auch Pianist Lang Lang bekam ihn), hat sie während der Corona-Lockdown-Phase Live-Streams produziert. Ihre Interpretation von Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37 kann dabei im Netz auf mehr als eine Million Aufrufe. Ebenso wie ihr Bruder ist sie in diesem Sommer beim renommierten Schweizer Konzertfestival in Luzern zu hören.

Überall begehrt: Dirigent Klaus Mäkelä.
AP/Frank Franklin II

Klaus Mäkelä

Da staunte die internationale Klassikwelt nicht schlecht, als der junge Dirigent Klaus Mäkelä zum künftigen Chef des Amsterdamer Concertgebouw Orchestra auserkoren wurde, dem immerhin schon – im reiferen Alter – ein Maestro wie Mariss Jansons vorstand. Der Finne, der auch noch gerne auf hohem Niveau Cello spielt – unlängst im Konzerthaus – und zuletzt in Wien mit seinem Oslo Philharmonic Orchestra zeigte, wie energetisch er Strukturen zu erwecken versteht, ist mittlerweile aber auch ein wahrer Orchestersammler. Er ist zusätzlich Chefdirigent des Orchestre de Paris und ab 2027 wird er sogar Nachfolger von Dirigent Riccardo Muti beim Chicago Symphony Orchestra. Der gerade einmal 28-Jährige, der mittelfristig sicher den einen oder anderen Chefposten wird abgeben müssen, ist beim Traditionslabel Decca unter Vertrag, wo er mit der Kollegenschaft aus Oslo fulminant alle sieben Sibelius-Symphonien aufgenommen hat.

Mirga Gražinyte-Tyla dirigiert bei den Salzburger Festspielen Weinberg Oper "Der Idiot".
Hannah fathers

Mirga Gražinytė-Tyla

Kommende Saison wird Mirga Gražinytė-Tyla endlich bei den Wiener Philharmonikern debütieren, ein philharmonisches Konzert im Musikverein dirigieren. Man hat sie schon öfter eingeladen, sie aber wollte oder konnte noch nicht. Es zeigt: Gražinytė-Tyla ist eine interessante Dirigentin, die bewusst Projekte auswählt und Karrieresprünge nicht um jeden Preis wagt. Die Litauerin war zwar erst 29, als sie Nachfolgerin von Andris Nelsons beim renommierten City of Birmingham Symphony Orchestra wurde. Nach ein paar Jahren zog sie sich jedoch zurück, um fortan ungebunden zu sein. 1986 in Vilnius geboren, besitzt sie – doch ein Hauch von Exzentrik? – einen Künstlernamen. Tyla wurde von ihr nämlich extra hinzugefügt, was auf Litauisch "Stille" und "Schweigen" bedeutet. Tatsächlich gibt sie auch nicht viele Interviews. Wer ihren Stil studieren will, der höre ihr British Project mit Werken von Benjamin Britten und anderen Tonsetzern der Insel. Bei den kommenden Salzburger Festspielen leitet sie die Premiere von Weinbergs Oper Der Idiot.

Pianist Mao Fujita wagte sich früh an Mozart.
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Mao Fujita

Wenn es um japanische Künstler im Klassikbereich geht, fallen einem Namen wie Dirigent Seiji Ozawa oder Pianistin Mitsuko Uchida ein. Langsam, aber sicher begehrt auch der Name dieses 25-jährigen japanischen Pianisten einen Platz im Musikgedächtnis. Mao Fujita, er wurde 1998 in Tokio geboren und begann im Alter von drei Jahren mit dem Klavierspiel, hat recht mutig für Sony bereits alle Klaviersonaten Mozarts aufgenommen. Mutig, weil diese scheinbar so leichte Musik die Ausdrucksfähigkeiten von Musikschaffenden gnadenlos klar offenbart. Bei Fujita ist da aber schon ein Kunstwille zu erkennen, in den Sonaten improvisiert er dann auch die eine oder andere Verzierung. Mao Fujita, der wegen seines Lehrers nach Berlin zog, also wegen Kirill Gerstein, hat mit 19 Jahren den bedeutenden Clara-Haskil-Klavierwettbewerb gewonnen. Im August ist er beim Luzern Festival mit Mozart, aber auch mit romantischem Repertoire zu hören.

Greift zwecks Effektenauch gerne mal ins Klavier hinein: Víkingur Ólafsson.
Aubrecht

Víkingur Ólafsson

Der Isländer Víkingur Ólafsson (Jahrgang 1984) repräsentiert einen neuen Typus des Klassikvirtuosen. Er widmet sich etwa den Goldberg-Variationen von Vater Bach (hörenswert und beim Label Deutsche Grammophon erschienen). Zudem sind ihm aber auch quasi popartige Selbstpräsentation und ungewöhnliche Projekte nicht fremd. Damit er etwa werbewirksam auf einer Insel einsam Klavier spielen kann, wird ihm ein Instrument schon mal per Hubschrauber nahegebracht. Der Sohn einer Klavierlehrerin gibt auch selbst Werke in Auftrag, damit neues Repertoire entsteht, und er schreibt selbst Bearbeitungen von Stücken. Ungewöhnlich: Hier und da veröffentlicht Víkingur Ólafsson auch Singles mit elektronisch bearbeiteten Klassikwerken. Qualität im Kernrepertoire und für Klassik bis dato ungewöhnliche Ansätze unverkrampft darbieten: Das ist doch ein würdevoller Weg, Breitenwirkung zu erziehen. Ólafsson ist viel unterwegs. Im August hört man ihn in den USA, Finnland, Frankreich, Großbritannien.

Yuja Wang virtuos, musikalisch und viel unterwegs.
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Yuja Wang

Die sympathische Pianistin Yuja Wang, 1987 in Peking geboren, ist nicht nur auf äußere Wirkung bedacht. Zwar ist ihr Mode wichtig, insofern wird auch dieser Aspekt von ihr sorgfältig behandelt. Die Chinesin, deren Karriere den Turbo einlegte, nachdem sie für Meisterpianistin Martha Argerich eingesprungen war, ist jedoch keine Oberflächenkünstlerin. Sie verschmilzt fulminante Fingerfertigkeit mit musikalischem Gespür und blickt als globale Klassikattraktion auch über den Tellerrand des üblichen Repertoires. Es war etwa eine Art swingende Überraschung, als sie bei ihrer Einspielung The American Project (DG) Jazziges von sich gab. Das anspruchsvolle Klavierkonzert von Teddy Abrams, das ein wenig an George Gershwins Rhapsody in Blue erinnert, verlangt teils jazzige Phrasierung. Und auch das kriegte Yuja Wang hin. Im August ist sie in der Schweiz, in Schweden und Großbritannien zu hören. Wer ihr nicht nachreisen will, hört jene Einspielung, auf der ihr Konzerthaus-Gastspiel (2022) verewigt ist. (Ljubiša Tošić, 2.7.2024)