Ein Salzburger Oberleitungsbus fährt vor dem Landestheater vorbei.
Folgt man einer Expertise aus der Schweiz, hat der oft totgesagte Salzburger O-Bus durchaus Entwicklungspotenzial.
Foto: Salzburg-AG

"Wege aus dem Salzburger Stauchaos" hätte der Brisanz der Expertise als Titel durchaus auch entsprochen. "ÖV-Grundkonzeption Stadtregion Salzburg – Etappierung und Umsetzung", so lautet der technische Titel einer hochbrisanten Studie zur Verkehrsentwicklung im Salzburger Zentralraum. Erstellt wurde die umfangreiche Arbeit – schon die Kurzfassung hat über 50 Seiten – vom renommierten Züricher Planungsbüro mrs-partner-ag. Auftraggeber: die Verkehrsressorts von Stadt und Land Salzburg sowie der Verkehrsverbund. Erstellungsdatum: Juli 2022. Ressortverantwortlich damals: Stefan Schnöll, Verkehrslandesrat und designierter Nachfolger von Landeshauptmann Wilfried Haslauer sowie Vizebürgermeisterin Barbara Unterkofler – beide ÖVP.

Was die Schweizer Fachleute vor zwei Jahren den Salzburgern und Salzburgerinnen als Verkehrslösung für die Verkehrsmisere in und um die Landeshauptstadt vorgeschlagen hatten, erblickte freilich nie das Licht der Öffentlichkeit. Ein Bericht im lokalen ORF-Fernsehen, in dem die Expertise Erwähnung fand, das war es dann. Das amtsintern als "Schweizer Studie" bezeichnete Papier passte schlicht nicht ins ideologische Konzept der ÖVP.

Das Konzept konnte auch amtsintern nur "unter dem Tisch" weitergereicht werden, erzählt ein mit der Materie befasster Beamter. "Die Studie wurde weder den Gemeinderäten, geschweige denn der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Anfragebeantwortungen blieben vage und unzufriedenstellend", berichtet auch Anna Schiester (grüne Bürgerliste). Sie ist seit Mai dieses Jahres in der Stadtregierung für den Verkehr ressortzuständig.

Autostadt Salzburg

Ideologisch stößt sich die ÖVP schon am Grundgedanken des Konzepts: Ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs müsse teilweise zulasten des Pkw-Verkehrs gehen. Dabei haben die Schweizer gar keine radikalen Ansätze. Im Gegenteil: Sie schlagen einen etappenweisen Ausbau des bestehenden Oberleitungsbussystems vor. Um das angestrebte Ziel eines 7,5-Minuten-Takts (derzeit arbeitet man an der Rückkehr vom 15-Minuten- auf den alten Zehn-Minuten-Takt) zu erreichen, sind in dem Konzept zusätzliche Busspuren und Dosierampeln vorgesehen, die die O-Busse bevorzugen. Das alles sei zu viel Beschränkung des Autos, befand die ÖVP.

Auch die Grunddiagnose der Schweizer dürfte den Zuständigen nicht geschmeckt haben: Der ÖV-Anteil in der Stadt Salzburg sei zwischen 2004 und 2014 auf 14,6 Prozent gesunken. In vergleichbaren Städten habe der öffentliche Verkehr einen Anteil von 20 bis 30 Prozent: Innsbruck 22 Prozent, Linz 21 Prozent, Graz 20 Prozent, in Bern gar 32 Prozent.

Den Befürwortern wie für Gegnern der unterirdischen Lokalbahnverlängerung durch das Stadtgebiet – kurz S-Link – geben die Schweizer kalt/warm: Liest man die von ihnen analysierten Pendlerströme genau, ergibt sich, dass wesentliche Hauptrouten – etwa jene Richtung Salzkammergut mit etwa 15.000 Pendlern und Penderlinnen pro Tag – vom S-Link überhaupt nicht profitieren würden. Andererseits geht aber auch die Schweizer Planung davon aus, dass die Lokalbahn zumindest bis zum Mirabellplatz unterirdisch verlängert wird.

Regierungswechsel in der Stadt

Dass nun die Schweizer Expertise doch breit diskutiert werden wird, liegt am Regierungswechsel in der Stadt Salzburg. Die ÖVP erlitt im März eine schwere Wahlniederlage, und die neue Verkehrsstadträtin Schiester will die Verkehrsentwicklung transparent diskutieren: "Geheimhaltung schafft Unmut und Skepsis", sagt sie. Zudem sei die rund 150.000 Euro teure Studie von der öffentlichen Hand finanziert worden, die Steuerzahler und -zahlerinnen hätten also ein Recht, die Ergebnisse zu kennen. Inhaltlich kann Schiester dem Schweizer Papier einiges abgewinnen, denn es zeige, dass auch vor Fertigstellung des S-Link "vieles möglich ist". Und sollte der S-Link bei der für November geplanten Bürgerabstimmung durchfallen, müsse man ohnehin auf die Ideen der Schweizer zurückgreifen. (Thomas Neuhold, 1.7.2024)