"Die Rettung der Drei Löwen", Öl auf Leinwand, 2024.
AFP/INA FASSBENDER

Gelsenkirchen – England und Gelsenkirchen, das könnte doch noch etwas werden. 2006 waren die Three Lions hier im WM-Viertelfinale an Portugal gescheitert, 18 Jahre später schien sich das Schicksal im EM-Achtelfinale gegen die Slowakei zu wiederholen. Nach Ivan Schranz' Treffer erzwang Jude Bellingham aber in der fünften Minute der Nachspielzeit per Fallrückzieher die Verlängerung, dort gelang Harry Kane früh der Siegtreffer (91.). So darf England am Samstag in Düsseldorf gegen die Schweiz zum Viertelfinale antreten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten weiter ist auch Spanien. Die Iberer setzten sich nach 0:1-Rückstands mit 4:1 gegen Georgien durch und treffen im Viertelfinale auf Gastgeber Deutschland.

Für den uninspirierten, offensiv unkoordinierten Kick der Gruppenphase war Southgate trotz des Gruppensieges ausgebuht worden. Im Achtelfinale ließ er ManUnited-Youngster Kobbie Mainoo erstmals von Beginn an auflaufen, Conor Gallagher blieb draußen. Promi-Gast Ed Sheeran sah zuallererst einen slowakischen Konter samt Gelb für Marc Guéhi (4.). Der fällige Freistoß kam gefährlich, David Strelec köpfelte vorbei. Eine Minute später konterten die Slowaken schon wieder, David Hancko hinterlief auf dem linken Flügel, bekam den Ball ideal und schoss knapp am langen Eck vorbei.

Dann durfte auch mal England. Bukayo Saka kam per Doppelpass mit Mainoo in den Strafraum, verlor dort aber die Kugel. Beim Rückholversuch holte sich Mainoo Gelb ab. Es ging flott hin und her, Englands Kieran Trippier schoss im Strafraum völlig freistehend in den zweiten Rang (9.). Minute 12.: Lukas Haraslin entwischt Kyle Walker, lässt sich vor dem Tor aber zu lang Zeit, so wird sein Abschluss geblockt. Englands Mittelfeld war nach Ballverlusten eine offene Wunde, das resultierende Chancenfeuerwerk schien für alle bisherigen englischen Partien entschädigen zu wollen.

Viele Gelbe

17.: Jude Bellingham kommt im Zweikampf später als die Deutsche Bahn und kassiert die vierte Verwarnung der Partie, zuvor hatte es auch schon den Slowaken Juraj Kucka erwischt. Dann war kurz Ruhe, bis ein Kane-Kopfball zum Corner geblockt wurde (22.). England wirkte phasenweise konfus wie eine Zweitligamannschaft im ersten Testspiel der Saison. Und das hatte Konsequenzen. Strelec sicherte am Strafraum einen Ball, verzögerte schlau und steckte durch für Ivan Schranz. Und der knallte den Ball ins Tor (26.).

Da war die slowakische Welt sehr in Ordnung.
IMAGO/Fabio Ferrari/LaPresse

Erstmals im Turnier war England in Rückstand. Der Wille war den Three Lions nicht abzusprechen, vieles andere schon. Die Slowaken überließen England den Ball nun noch mehr als zuvor, eine Viertelstunde lang musste man Chancen trotzdem mit dem Mikroskop suchen. Milan Skriniar holte sich für ein Tackling gegen Bellingham noch Gelb ab (45.), Dubravka faustete einen Freistoß weg (45.+1), Mainoos abgefälschter Schuss nach einem Solo weckte die Fans auf (45.+3). Pause.

Abseitstor

50.: Trippier hat links viel Platz, wird ideal eingesetzt und spielt zur Mitte, Foden vollendet. England jubelte umsonst, dem VAR entging Fodens Abseitsstellung nicht. Nun begannen die Slowaken zu schwitzen. Kane zog im Strafraum zur Mitte, sein stark abgefälschter Schuss sprang nur knapp am Tor vorbei (52.).

Auf der anderen Seite erbte Strelec fast das 2:0, ein Missverständnis servierte ihm den Ball an der Mittellinie, als Jordan Pickford weit außerhalb seines Tores war. Strelec schoss sofort, wie in Zeitlupe drehte sich der Ball rechts am Tor vorbei (55.). Minutenlanges englisches Powerplay mündete in einen Freistoß aus 18 Metern, der wiederum mündete in der Mauer. Schon nach einer Stunde litt der erste Slowake am gemeinen Entlastungskrampf. Die Druckphase war nun aber vorbei. Southgate brachte Chelsea-Shootingstar Cole Palmer statt Trippier.

England ratlos

Der Underdog wollte die Führung nur mehr über die Zeit mauern. England suchte sein Heil im Flankenspiel, deren Ausführung schwankte zwischen erschreckend (Mainoo/70.) und handelsüblich (Bellingham/73.). Die Zeit verronn. Ein Freistoß nahe der Outlinie kam genau dorthin, wo ihn der englische Fußballfan haben wollte: auf die Stirn des fliegenden Harry Kane. So frei darf man den nicht köpfeln lassen, wissen Fachleute, aber der Bayern-Stürmerstar setzte den Ball aus sechs Metern daneben (78.).

Es gelang nicht richtig viel, reichte aber doch.
IMAGO/Paul Terry

Mit Nachspielzeit blieben vielleicht noch 15 schicksalshafte Minuten. Wieder umspielte England den Strafraum in Handball-Manier, Kurzpass, Kurzpass, nach links, weiter nach links, zurück zur Mitte, Schuss! Declan Rice traf aus der zweiten Reihe die Stange. Kane erreichte den Abpraller akrobatisch, brachte ihn aber nicht aufs Tor (81.). Eberechi Eze ersetzte Mainoo. Den Kontern der Slowakei fehlten Zielstrebigkeit und Schärfe der Anfangsphase, der Fokus lag längst anderswo.

Schiedsrichter Halil Umut Meler gewährte sechs Minuten Nachspielzeit. In diesen passierte vier Minuten lang außer Ivan Toneys Einwechslung praktisch nichts, ehe Guéhi einen weiten Einwurf in den Fünferraum verlängerte und Jude Bellingham zeigte, warum er Englands Hoffnungen trägt: Mit einem Fallrückzieher vom Elferpunkt hielt der Real-Madrid-Star seine Mannschaft im Turnier. Verlängerung!

Blitzstart

Jetzt hatte England Schwung. Ezes Volleyschuss nach einem Freistoß leitete Toney mit viel Köpfchen zu Kane weiter, der aus wenigen Metern die nötige Wucht in seinen Kopfball brachte. Aus 0:1 mach 2:1. Nun musste wieder die Slowakei, es zeigte sich: Schlechte Flanken können die auch. Aber auch bessere, eine solche sprang von Pekariks Knie über das Tor (105.).

Trauer.
AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA

Allzu viel Konterräume wollten die Slowaken England weiterhin nicht zugestehen, aus zahlreichen Eckbällen und Freistößen erzeugten sie selbst aber auch kaum Gefahr. Jude Bellingham kommt aus Stourbridge, nicht aus Kosice. Toney vergab die Chance zur Entscheidung (120.), Pickford fing Hanckos Kopfball (121.), dann war Schluss. (Martin Schauhuber aus Gelsenkirchen, 30.6.2024)

Fußball-EM - Achtelfinalspiel:

England - Slowakei 2:1 n.V. (1:1,0:1). Gelsenkirchen, SR Meler (TUR).

Tore: 0:1 (25.) Schranz
1:1 (90.+5) Bellingham
2:1 (91.) Kane

England: Pickford - Walker, Stones, Guehi, Trippier (66. Palmer) - Mainoo (84. Eze), Rice - Saka, Bellingham (106. Konsa), Foden (94. Toney) - Kane (106. Gallagher)

Slowakei: Dubravka - Pekarik (109. Tupta), Vavro, Skriniar, Hancko - Kucka (81. Bero), Lobotka, Duda (81. Benes) - Schranz (93. Gyömber), Strelec (61. Bozenik) , Haraslin (61. Suslov)

Gelbe Karten: Guehi, Mainoo, Bellingham bzw. Kucka, Skriniar, Pekarik, Vavro, Gyömber