Ein Tisch, an dem vier Schülerinnen mit Laptop und Büchern sitzen und lernen.
Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben wirklich neun Wochen Ferien. Für einige fallen mitunter mehrere Wochen weg für Nachhilfe und Lernen für eine Nachprüfung.
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Beinahe die Hälfte der Schülerinnen und Schüler hat es bereits geschafft. Rund 475.000 Kinder und Jugendliche in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland haben die Jahreszeugnisse erhalten und starteten in die Sommerferien. In einer Woche ist es dann für die Kinder und Jugendlichen in den restlichen Bundesländen so weit. Dann stehen auch für sie neun Wochen voller Sommer, Sonne und Spaß an.

Getrübt wird die Freude allerdings für all jene, die im Herbst mindestens eine Nachprüfung ablegen müssen. Laut dem Bildungsministerium werden "von den circa 1,069 Millionen Schülerinnen und Schülern am Anfang des nächsten Schuljahres etwa 41.300 nicht zum Aufstieg in die nächsthöhere Schulstufe berechtigt sein beziehungsweise das letzte Jahr einer Ausbildung (noch) nicht erfolgreich abschließen. Das sind circa 3,9 Prozent aller Schülerinnen und Schüler", heißt es auf Anfrage des STANDARD. Die Zahlen des Ministeriums basieren auf einer Abschätzung des Schulerfolgs durch die Statistik Austria.

Drei richtige Ferienwochen

Unter jenen, die im Sommer strebern müssen, ist auch Elias. Woran es gehapert hat? "Ich hätte während des Schuljahrs mehr lernen müssen. Und ich hab’ wohl auch zu wenig aufgepasst, um den Stoff mitzunehmen." Drei Wochen darf der 14-Jährige nun pausieren, dann gibt es einen Lernplan, den er mit den Eltern ausgemacht hat. Aufgefrischt wird Mathematik der vierten Klasse Mittelschule. "Ich kann echt nicht gut mit Zahlen umgehen, das ist wirklich schwierig für mich – sobald ich nur die Worte multiplizieren oder dividieren höre, schaltet mein Kopf ab", sagt er.

Elias’ Mutter Simone sieht jedoch noch andere Probleme: Ihr Sohn sei während der Corona-Pandemie von der Volksschule in die Mittelschule gewechselt, mitten in der Phase des Homeschoolings. Damals habe er so manche Grundlagen verpasst, die schwer nachzuholen seien. "Ich habe mein Bestes getan, aber ich bin halt keine Lehrerin", erinnert sie sich. Doch auch nach Lockdowns und Heimunterricht müssten Eltern ihre Kinder in der Schule weiterhin unterstützen und mit ihnen lernen. "Wir arbeiten eigentlich an allen Fächer zu Hause – auch mit unserem zweiten Sohn, der bessere Noten hat", erzählt sie. Es sei "anstrengend" und sehr zeitaufwendig – neben ihrem Job.

Zeit zum Wiederholen fehlt

So wie Simone geht es vielen Eltern. "Schule ist immer noch so aufgebaut, dass der Stoff im Unterricht einmal vermittelt wird, aber für das Lernen, Wiederholen und Fragenstellen ist oft keine Zeit mehr", sagt Bildungsexpertin Elke Larcher von der Wiener Arbeiterkammer. Das alles passiere zu Hause, wo die Eltern eine wichtige Rolle einnehmen würden. Wie erfolgreich das ist, hänge von verschiedenen Faktoren ab – darunter etwa dem Zeitbudget oder Bildungshintergrund der Eltern.

Neben dem Lernen mit der Familie wird daher auch immer öfter auf Hilfe von außen zurückgegriffen. Für eine kürzlich veröffentlichte Studie der Arbeiterkammer befragte das Umfrageinstitut Foresight 1149 Eltern mit 1248 Schulkindern. Demnach haben 49 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Österreich – also knapp die Hälfte – im vergangenen Schuljahr externe Nachhilfe in Anspruch genommen. Das ist ein Anstieg von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die bezahlte Nachhilfe nahm ebenfalls zu – von 17 auf 22 Prozent der Schülerinnen und Schüler.

Aber Nachhilfe ist teuer. Laut der Studie der Arbeiterkammer gaben Eltern, die heuer bezahlte Nachhilfe in Anspruch genommen haben, im Schnitt rund 750 Euro pro Schulkind aus. Auch Elias’ Eltern haben bereits auf einen Nachhilfelehrer zurückgegriffen. Für den Jugendlichen ist es heuer nicht das erste Mal, dass er vor der Nachprüfung steht. Auch vergangenen Sommer musste er büffeln. "Das geht schon ziemlich ins Geld", sagt Simone. 300 bis 400 Euro habe die Familie damals etwa dafür ausgegeben, dass Elias in die nächste Klasse aufsteigen konnte.

14 Prozent mit Sommernachhilfe

So wie Elias erhalten 14 Prozent aller Schulkinder in den Sommerferien bezahlte Nachhilfe, sagt Larcher. Das seien rund 140.000 Schülerinnen und Schüler. Dafür geben die Eltern laut Arbeiterkammer im Schnitt 290 Euro pro Kind aus. Dazu kommen Gratisangebote – die Sommerschule nehmen etwa rund sechs Prozent in Anspruch.

Was sich laut Larcher auch zeigt: Selbst Familien mit einem geringen Haushaltseinkommen versuchen, das Geld für Nachhilfe aufzustellen. Es gebe aber auch genug Familien, bei denen es sich nicht ausgeht. "Von jenen Eltern, die keine Nachhilfe nehmen und sich welche gewünscht hätten, geben 60 Prozent als Grund an, dass es zu teuer ist."

Für Larcher ist klar, es liegt an der Schule. Denn in den meisten Fällen geben Eltern, die Nachhilfe in Anspruch genommen haben, an, dass das Ziel erreicht wurde. Die Rahmenbedingungen im Unterricht müssten sich laut Larcher ändern – damit Schüler intensiver betreut werden und individuell lernen könnten. Potenziale sieht sie auch in der Digitalisierung durch Lerntools. "Ich verstehe den Stoff im Einzelunterricht viel besser. Wenn es mir jemand erklärt und ich nicht abgelenkt bin", sagt auch Elias. Eine Lösung sieht der Teenager für sein Dilemma aber nicht. "Eine große Alternative gibt es ja nicht zum Unterricht, wie er ist." Seine Mama Simone sieht das anders. "Das Schulsystem ist nicht mehr so, wie wir es brauchen", findet sie. Schule müsste sich mehr an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder anpassen.

Halbtagsschule kann das nicht leisten

Auch Larcher will grundlegende Änderungen. "Schule muss so organisiert werden, damit Zeit für individuelles Lernen ist. Das kann die Halbtagsschule nicht leisten", sagt sie. Im Bildungsministerium verweist man auf bereits Erreichtes. So wurde die "Ganztagsschule in den letzten Jahren massiv ausgebaut". Seit 2017 gebe es um ein Viertel mehr Plätze.

Um Schülerinnen und Schüler zu unterstützen und ihnen "die beste Bildung zu ermöglichen", habe man etwa die Sommerschule ins Leben gerufen, sagt Bildungsminister Martin Polaschek dem STANDARD. Bis Anfang vergangener Woche hätten sich rund 35.700 Kinder und Jugendliche für den diesjährigen Durchgang angemeldet. Dazu kämen kostenlose Lernhilfen – etwa die 2020 gestartete Initiative weiterlernen.at. "Bis Ende 2026 werden insgesamt 14 Millionen Euro dafür investiert. Bislang wurden über 160.000 Stunden Lernhilfe geleistet, und rund 20.000 Schülerinnen und Schüler profitieren von dieser Unterstützung", sagt Polaschek.

Larcher fordert auch abseits der Lernhilfen zusätzliche Ressourcen des Ministeriums für die Bildungseinrichtungen. "Nicht jede Schule ist gleich", sagt sie: "Gerade Schulen mit besonderen Herausforderungen brauchen mehr Mittel für multiprofessionelle Teams", fordert die AK-Expertin. (Oona Kroisleitner, 1.7.2024)