Ein bisschen grün ist es im Freilassinger Industriegebiet schon. Aber mit Cannabispflanzen hat das Ganze nichts zu tun. Vielmehr hat der Teppich, der in einer Lagerhalle in der Kleinstadt unweit von Salzburg liegt, grüne Flecken. Kanister stehen herum, auch ein paar Kisten.

Seit 1. Juli dürfen in Deutschland offiziell Anbauvereinigungen gebildet werden.
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"Das kommt natürlich alles weg", sagt Marcella Drenthen und deutet bis zur weißen Wand des großen Raumes. "Da werden die Pflänzchen stehen, im nächsten Raum auch. Hier machen wir die Durchgangsschleuse hin, dort oben werden Kameras angebracht und da die LED-Leuchten." Die 31-Jährige hat einen genauen Plan – auch für jenen Kellerraum, in dem jetzt noch ein alter Heizungskessel steht: "Hier kommt der Tresor rein, wir werden ja nach der Ernte das Cannabis lagern, die Vorschriften sind sehr streng." Drenthen kennt sie alle auswendig. Sie gehört dem Vorstand des "Cannabis Social Club Freilassing" (CSC) an und bereitet sich seit Monaten auf den 1. Juli vor.

An diesem Tag dürfen die sogenannten Anbauvereinigungen in Deutschland ihre Anträge für Anbaulizenzen stellen. Hunderte Clubs stehen in den Startlöchern, um den "gemeinschaftlichen, nicht gewerblichen Anbau" zu beginnen.

Gemeinsamer Anbau

Es ist der zweite Schritt zur Teillegalisierung von Cannabis. Der erste war am 1. April erfolgt. Seither ist Kiffen für Erwachsene unter einigen Auflagen legal. So darf man sich etwa tagsüber keinen Joint in Fußgängerzonen genehmigen. Auch ist der Genuss in der Nähe von Kindergärten und Schulen verboten.

In Deutschland schießen Social Clubs zum Anbau aus dem Boden. Der Ausweis wird gewöhnlich ohne Gras ausgestellt.
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Genau regelt das neue Gesetz auch, wie viele Pflanzen man in seiner Wohnung, im Garten oder am Balkon anbauen darf: Drei. Aber dieses einsame und doch im Umfang eher bescheidene Garteln ist nicht jedermanns Sache.

Eine Alternative bietet ab Juli eben die Mitgliedschaft in einem Cannabis Social Club – der zweite Schritt zum großen Kiffen in Deutschland. "Gemeinsam macht das mehr Spaß", sagt auch Drenthen, die zum Thema Cannabis ein entspanntes Verhältnis hat: "Ich bin in der Nähe der holländischen Grenze aufgewachsen. Da wurde das immer schon lockerer gesehen."

Bayern ist streng

Doch als sich Drenthen vor einigen Monaten entschloss, ihre Lagerhalle mit Gleichgesinnten für den Anbau von Cannabis zu nutzen, merkte sie schnell: Locker ist da gar nichts. Die Clubs müssen viele Auflagen erfüllen und umfangreiche Konzepte für Sicherheit, Hygiene und Prävention einreichen.

Das eine oder andere Mal dachte Drenthen daran, das Handtuch zu werfen, zumal in Bayern der Argwohn groß ist. Die CSU lehnt den Konsum von Cannabis ab, die Staatsregierung hat viele Kontrollen der Clubs angekündigt. Und man ist auch sonst erfinderisch. In Aschheim bei München stellte die Gemeinde kurzerhand ein Spielhäuschen und zwei Wipptiere auf. Fertig war der "Spielplatz". Dieser könnte zum Problem für den dortigen, nahe gelegenen Anbauverein werden. Denn ein solcher darf nicht im Bereich von 200 Meter um Schulen, Kindereinrichtungen und auch Spielplätzen liegen.

Video: Deutsche Cannabis-Clubs dürfen starten
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Der CSC Freilassing wird jedenfalls am 1. Juli sein Konzept bei der zuständigen Behörde einreichen. Dann heißt es erst mal abwarten. Das Gesetz räumt den Behörden drei Monate Zeit ein, um die Lizenz zum Anbau zu erteilen.

Warten auf Lizenz

"Es ist davon auszugehen, dass Bayern die Frist voll ausschöpfen wird", sagt Steffen Geyer vom CSCD, dem Dachverband deutscher Cannabis Clubs. Doch wer glaubt, im ach so lässigen Berlin, gehe es lockerer zu, irrt. Bis vor wenigen Tagen gab es die Behörde, die die Lizenzen erteilt noch gar nicht. "Berlin hat ja einen CDU-Bürgermeister", meint Geyer. "Entspannt" hingegen erlebt er das SPD-regierte Brandenburg.

Setzlinge in Berlin.
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Sobald die Behörden grünes Licht gegeben haben, startet der CSC Freilassing mit dem Pflanzenkauf. Das Konzept beschreibt Drenthen so: "Wir stecken keine Samen in die Erde, sondern Stecklinge, weil uns das Zeit spart." In einer ersten Tranche liefert eine Gärtnerei rund 650 Pflänzchen an, später sollen noch mal 350 folgen. Sie alle kommen in den Keller, wo jetzt noch der Teppichboden liegt, aber sofort nach der erhofften Genehmigung der Umbau startet.

Viele Freiwillige werden mitarbeiten, so Drenthen. Außen wurde die Halle schon weiß gestrichen, wobei auch ein paar leicht frustrierte Österreicher und Österreicherinnen mitgeholfen haben.

Das kam so: Das Gesetz besagt, dass eine Anbauvereinigung maximal 500 Mitglieder haben darf. Und diese alle müssen ihren Wohnsitz in Deutschland haben. "Offensichtlich ist das in Österreich nicht bekannt", meint Drenthen. Denn unter den 450 Leuten, die dem CSC Freilassing bis jetzt beitreten wollten, waren auch rund 100 aus Österreich. Die Grenze ist ja nur ein paar Kilometer entfernt. Die Ösis aber musste der CSC Freilassing bei den Aufnahmetagen alle wieder nach Hause schicken. Nur einer durfte Mitglied werden, weil er auch in Deutschland einen Wohnsitz hat.

"Grenzkiffer" im Zug

"Cannabis in Deutschland konsumieren, das dürfen auch Österreicher und Österreicherinnen nach der neuen Rechtslage " – darauf weisen der Innsbrucker Strafrechtsexperte und Rechtsanwalt Stefan Gamsjäger und sein Rechtsanwaltsanwärter Matthias Kronthaler hin. Probleme hingegen könnte es bei der Rückkehr nach Österreich geben, sofern diese als Fahrer eines Autos oder Motorrades erfolgt.

Denn, so Gamsjäger: "Gemäß StVO ist die Inbetriebnahme eines KFZ verboten, wenn man betrunken ist oder Suchtgift zu sich genommen hat und dadurch beeinträchtig ist. Das gilt übrigens auch für Fahrräder." Es drohen der Entzug des Führerscheins und eine Verwaltungsstrafe. Gamsjäger betont auch, dass es – anders als beim Alkoholkonsum – in Österreich aktuell keine Grenzwerte bei Cannabiskonsum im Blut gibt. Auch bei geringsten Spuren kann man bereits als beeinträchtigt gelten, wenn dies ein Amtsarzt feststellt. Sein Rat an "Grenzkiffer": "Lieber mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen oder als Beifahrer."

Wie die Ösis wieder heimkamen, das weiß Drenthen nicht. "Aber man hatte einen feinen Nachmittag." Überhaupt seien durch den CSC schon „tolle Kontakte" entstanden. Die meisten Anwärterinnen und Anwärter schätzt Drenthen auf "über vierzig und bodenständig". Sie sagt: "Da kommen nicht die Klischee-Haschler, sondern ganz normale Leute, die in Ruhe rauchen wollen." Nachsatz: "So wie andere am Feierabend Bier trinken."

Schwarzmarkt austrocknen

Dass diesen der Staat ja auch nichts dreinredet, war (und ist) in der Debatte um die Cannabislegalisierung eines der Argumente. Doch eines war der Ampelregierung, die die Legalisierung schließlich umgesetzt hat, noch wichtiger: Der Schwarzmarkt mit viel gepanschtem und gefährlichem Stoff soll ausgetrocknet werden.

"Das Problem ist nicht das Gras, sondern das schlechte Gras am Schwarzmarkt", sagt Drenthen. Sie arbeitet im öffentlichen Dienst und wird im Verein die Aufgabe der Präventionsbeauftragten übernehmen. Ihr Ziel: "In Schulen für verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis zu sorgen und aufzuklären."

Doch zuerst müssen einmal die Pflänzchen in den Keller. Nach rund vier Monaten könnte dann die Ernte und die erste Ausgabe erfolgen. Jedes Mitglied darf pro Monat 50 Gramm erhalten, die Höchstmenge pro Tag sind 25 Gramm. Danach gleich im Club gemeinsam und gemütlich schmöken, , das ist allerdings nicht erlaubt. "Das Gesetz macht die Clubs asozial", kritisiert Geyer vom Dachverband, "man darf in jedem Strickklub oder Skaterverein konsumieren, aber nicht in den Anbauvereinigungen."

Drenthen findet das auch "widersinnig". Aber sie freut sich, dass es jetzt losgeht. Und sie ist überzeugt: "Deutschland wird sich an den Geruch von Cannabis gewöhnen." (Birgit Baumann aus Freilassing, 30.6.2024)