So hätten sich viele Demokraten ihren Präsidenten auch am Tag zuvor gewünscht. Laut rufend und mit kraftvoller Stimme stand Joe Biden Freitagabend auf dem Podium seiner Wahlveranstaltung in Raleigh, North Carolina, und trug dort einer jubelnden Menge seine Wahlkampfrede vor. Am Schluss kam er auf das zu sprechen, was sich am Vortag ereignet hatte: seinen desaströsen Auftritt bei der ersten TV-Debatte gegen Donald Trump, als er sich heiser, leise und manchmal abwesend in Sätzen verhaspelte und diese teils nicht einmal zu Ende sprechen konnte. "Leute, ich weiß, ich kann nicht mehr so gut gehen wie früher. Ich rede nicht mehr so flüssig wie früher. Ich debattiere nicht mehr so gut wie früher. Aber ich weiß, was ich weiß. Dass ich die Wahrheit sage und gut von schlecht unterscheiden kann. Und dass ich diesen Job erledigen kann", rief er.

Biden says 'I don’t debate as well as I used to'
Associated Press

Es waren die ersten öffentlichen Aussagen des US-Präsidenten nach dem TV-Duell und nachdem immer deutlichere Rufe nach seiner Ablöse als Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahl im Herbst laut geworden waren. Sie sind vor allem in der US-Medienlandschaft zu vernehmen. In TV-Sendern meldete die Gruppe der Expertinnen und Experten – oft selbst ehemalige Parteikader – gleich nach dem Duell ihre Skepsis gegenüber Biden an.

Ungewöhnlicher Appell

Viele der großen Zeitungen zogen das Thema am Wochenende weiter. Die Washington Post und die New York Times veröffentlichten beide große Artikel, in denen das Unwohlsein namentlich nicht genannter Spender und Abgeordneter geschildert wurde, die nun fürchten, bei der Wahl im November selbst im Abwärtssog Bidens zu Boden gezogen zu werden. Und die New York Times griff auch selbst in die Debatte ein: In einem äußerst ungewöhnlichen Schritt veröffentlichte die Meinungsredaktion – die unabhängig von der Nachrichtenredaktion arbeitet – einen Beitrag, in dem Biden direkt zur Aufgabe aufgefordert wird.

Bei der Wahlveranstaltung in Raleigh trat am Tag nach der TV-Debatte ein ganz anderer Joe Biden auf als noch tags zuvor im TV.
IMAGO/Kyle Mazza

Prominente Demokraten – auch jene, die als Bidens mögliche Ersatzleute gehandelt werden – haben sich schon gleich nach der Debatte hinter den Präsidenten gestellt und bisher auch wenig Kritik anklingen lassen. Ja, der Präsident habe am Donnerstagabend keinen besonders tollen Tag gehabt, so der Tenor. Aber man dürfe doch all die Errungenschaften seiner Präsidentschaft jetzt nicht vergessen und seine Fähigkeiten, mit dem Kongress gesetzlich viel weiterzubringen. Ex-Präsident Barack Obama meldete sich via Twitter zu Wort. Schlechte TV-Diskussionen würden eben passieren, aber man dürfe nicht das große Ganze vergessen, nämlich dass man Trump besiegen müsse.

Bidens Team hingegen geht medial zum Gegenangriff über. In einer E-Mail an Unterstützer zieht man verächtlich über die "Bettnässerbrigade" her, die nun nervös werde und Bidens Rückzug fordere. Das aber wäre "der sicherste Weg, Trump zum Sieg zu verhelfen". "Joe Biden ist der demokratische Kandidat, Punkt, Ende und aus. Die Wähler haben gewählt. Er hat eindeutig gewonnen", werden zu Beginn in kategorischer Sprache die Vorwahlen zusammengefasst. Zum Ende folgen Umfragedaten vieler Alternativkandidaten in fiktiven Duellen gegen Donald Trump. Sie fallen, laut Zahlen des Demokraten-nahen Instituts Data for Progress durch die Bank schlechter aus als jene Bidens. Ausgelassen wird allerdings ein anderer Teil derselben Umfrage. In diesem werden dieselben Wählerinnen und Wähler gefragt, wer ausreichend fähig sei, das Land zu führen. 35 Prozent sagen darin als Antwort "Joe Biden". 49 Prozent nennen Trump. (Manuel Escher, 30.6.2024)