Tijan Sila.
Tijan Sila ist Bachmannpreis-Träger 2024.
APA/GERT EGGENBERGER

Als im Vielvölkerstaat Jugoslawien in den frühen 1990er-Jahren der Kommunismus zerfiel, blieb in Bosnien eine Generation zurück, für die sich der Ausdruck "die Ausgerupften" einbürgerte. Entwurzelte Menschen wie der Vater von Tijan Sila, ein Bibliothekswissenschafter, der 1994 keine andere Wahl sah, als seine Familie nach Deutschland zu bringen. So landete auch sein Sohn in der Kleinstadt Landau in der Pfalz. Im Gepäck hatte er vor allem Erinnerungen. Und Erinnerungen, davon handelt vor allem der Roman Radio Sarajevo (2023), sind ein "Wirrwarr".

An diesem Wirrwarr arbeitet Tijan Sila auch mit dem Text weiter, für den er am Sonntag in Klagenfurt bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Er soll Teil seines nächsten Romans werden.

Die Literatur in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist längst von Migrationswellen geprägt: Türkei, Jugoslawien, Syrien, Ukraine. Für die europäische Weltstadt Sarajevo ist Tijan Sila, aus der Ferne und auf Grundlage der kostbaren Eindrücke seiner Kindheit, einer der herausragenden Zeugen. Er kam 1981 zur Welt, bekam also noch sehr viel mit von den Vorgeschichten des Kriegs im früheren Jugoslawien. In Deutschland ging er brav an die Uni, studierte Germanistik und Anglistik in Heidelberg. Zugleich bewegte er sich um die Jahrtausendwende auch schon in der lokalen Punkszene von Kaiserslautern.

"Spackofürst von ganz Rheinland-Pfalz"

Sein erster Text erschien standesgemäß 2004 in einem Zine, das ein befreundeter Schlagzeuger herausgab. Auf einem Instagram-Post bezeichnet Sila sich in dieser Zeit als "Spackofürst von ganz Rheinland-Pfalz". In dem Text waren aber schon Motive enthalten, die 2017 in seinem autobiografisch grundierten Debütroman Tierchen unlimited auftauchten. 2018 folgte die negative Utopie Die Fahne der Wünsche, 2021 verarbeitete er seine Szeneerfahrungen als Punk in dem Roman Krach. Während der Pandemie starb Silas Vater, das wurde zum Ausgangspunkt für Radio Sarajevo.

Heute lebt er als Berufsschullehrer und Autor in Kaiserslautern, mit seiner Frau Lena Schneider, mit der er auch ein Kinderbuch veröffentlicht hat: "Eine Ehe, in der man sich gegenseitig lektoriert, ist für die Ewigkeit." Tijan Sila trägt einen Künstlernamen, der auch so etwas wie ein Trost gegen Ausrupfungen sein könnte. Denn Sila bedeutet: Macht, Kraft, Gewalt. Literatur als gewaltlose Macht, das ist ein denkbarer Schlüssel zum Schreiben von Tijan Sila. (Bert Rebhandl, 30.6.2024)