Viktor Orbán und Herbert Kickl in Wien: Feindbild "europäische Eliten", Vorbild Donald Trump.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Mit der Vorstellung einer neuen "Patriotischen Allianz" ist der FPÖ und ihrem Parteichef Herbert Kickl ein Marketingcoup gelungen. Das am Sonntag präsentierte Manifest dazu enthält inhaltlich nichts Neues. Man hat das im EU-Wahlkampf seitens rechtspopulistischer und extremer Gruppen quer durch Europa oft gehört und gelesen.

Es zielt darauf ab, die EU mit offenen Grenzen, den Euro und starke politische Integration zu zerschlagen, durch ein nebulöses "Europa der Vaterländer" zu ersetzen – was Putin-Verharmloser, Migrationsgegner und Rechtsstaatsignoranten seit langem verbreiten. Ihr Feindbild ist "Brüssel", die angeblich "linkslinken Eliten" dort, wie sie das nennen.

Kickls Erfolg liegt in etwas anderem. Timing, Ort und Personen, mit denen der FPÖ-Chef die "Geburtsstunde" einer neuen rechten Bewegung im EU-Parlament zelebrierte, waren perfekt: ausgerechnet am Tag der Wahlen in Frankreich, wo Marine Le Pens Rechte auf Platz eins kommen könnte, diese Initiative zu starten; ausgerechnet im zentraleuropäischen Wien; ausgerechnet mit Ungarns Premierminister Viktor Orbán als Stargast, der tags darauf den EU-Vorsitz übernimmt. Der tschechische Ex-Premier Andrej Babiš war Aufputz. Das wurde EU-weit registriert.

Privater Orbán ignoriert Kanzler Nehammer

In Österreich war es nur drei Monate vor den Nationalratswahlen eine maximale Provokation, die Rechtspopulisten anbringen konnten. In propagandistischer Inszenierung sind sie den anderen Parteien weit voraus. Es wirkt, weil ÖVP wie SPÖ und auch die Grünen in Sachen Europapolitik kräftig schleudern.

Orbáns Besuch in der Bundeshauptstadt war eine demonstrativ verächtliche Geste Richtung Regierung und Karl Nehammer. Protokollarisches Detail: Er kam privat, nicht als Regierungschef, traf den Oppositionschef Kickl, aber nicht den österreichischen Kanzler, mit dem er in Staats- und EU-Geschäften sonst zusammenarbeiten muss.

Nun kann Orbán tun und lassen, was er will. Er ist EU-Bürger, darf in Europa ohne Visum umherreisen, seine Meinung sagen, wo er will, nicht nur in Ungarn, wo er als Premier die Medien- und Meinungsfreiheit mit Füßen tritt und Ausländern im eigenen Land das Leben schwermacht. Worauf er mit Kickl hinauswill, hat er in einem Zeitungsbeitrag beschrieben: Mit dem föderalen Europa, das seit 1989 entstanden ist, müsse Schluss sein. Abermilliarden an EU-Fördergeldern hat Ungarn kassiert. Nehammer, der sich stets als glühenden Europäer beschreibt, wird sich entscheiden müssen, ob er im Umgang mit Orbán und der FPÖ weiter laviert.

Vorbild Trump

Um sich durchzusetzen, wollen Kickl, Orbán und Babiš in Straßburg die größte Fraktion kreieren. Ob es gelingt, wird man sehen. Derzeit ist Fidesz fraktionslos, so wie die ANO. Die FPÖ sitzt mit Le Pen in der extrem rechten ID-Fraktion. Mit dieser (und mit der AfD) will aber Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nichts zu tun haben. Sie ist mit den Fratelli scharfe Putin-Kritikerin. Was Le Pen in Straßburg tun wird, hängt von den Wahlen ab. Es könnte im EU-Parlament drei statt zwei Rechtsfraktionen geben.

Klar ist aber: So offen haben Orbán, Kickl und Co selten dargelegt, was ihr Ziel ist. Sie streben ein illiberales Europa an – und Donald Trump ist ihr großes Vorbild. Orbán sprach es offen aus, während Kickl daneben nur nationalistisch säuselte. Der Wahlkampf um Österreichs EU-Kurs wird nun noch härter werden. (Thomas Mayer, 30.6.2024)