"Wiener Blut" , choreografiert von Martin Schläpfer bei der Nurejew-Gala in der Staatsoper.
Staatsballett / Ashley Taylor

Mit Rudolf Nurejew, diesem Säulenheiligen der Wiener Ballettkultur, wird Martin Schläpfer, Direktor des Staatsballetts, nicht wirklich warm. Das hat er am Samstag bei der zweiten von ihm kuratierten "Nurejew-Gala" im Haus am Ring noch einmal bewiesen. Die Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie konnten ihre teils herausragenden Talente bei dieser Gelegenheit trotzdem zeigen.

Manuel Legris – Schläpfers Vorgänger – hatte die Gala vor 13 Jahren eingeführt und damit bis 2020 regelmäßig zum Saisonabschluss Triumphe gefeiert. Legris war dem Superstar Nurejew künstlerisch sehr verbunden und fand immer wieder neue, spannende Blickwinkel auf dessen Werk. Für Schläpfer bedeutete die Gala sichtlich eine Pflichtübung.

Verbindung unklar

Von den elf Programmpunkten seines Abends stammten drei von ihm selbst: das Solo Ramifications zur Musik von György Ligeti, mit überzeugendem Ausdruck getanzt von Sonia Dvořák, ein Pas de deux aus Schläpfers Dornröschen und das Gruppenwerk Wiener Blut. Was diese Stücke mit Nurejew verbinden soll, hat sich nicht erschlossen.

Als Gäste traten die beiden Étoiles des Balletts der Pariser Oper Valentine Colasante und Marc Moreau in zwei Duetten auf, darunter ein Pas de deux aus Nurejews Schwanensee. Einem Vergleich mit diesem exzellenten Paar hielt etwa das Staatsballett-Gespann Ioanna Avraam und Arne Vandervelde durchaus stand.

Eine letzte Saison

Diese "Nurejew-Gala" kann als Überleitung in die kommende Ballettsaison an der Wiener Staats- und Volksoper verstanden werden. Sie war die letzte unter der Schläpfers Leitung, bevor Alessandra Ferri mit Beginn der Spielzeit 2025/26 die Wiener Compagnie übernimmt.

Ab kommendem Herbst stehen insgesamt fünf Uraufführungen auf dem Programm, starten wird Schläpfer aber am 16. September in der Staatsoper mit einem Nurejew-Klassiker: Schwanensee. Eine gute Gelegenheit, das museale Stück inhaltlich neu zu entdecken. Denn darin findet sich das unsere Gegenwart durchseuchende Prinzip Fälschung, Täuschung und Betrug wieder, wenn der Zauberer Rotbart dem Prinzen Siegfried eine falsche Geliebte unterjubelt: Odile. Dieser Klon von Odette, Siegfrieds wahrer Liebe, verwirrt den Königsspross so sehr, dass er fatalerweise Odile mit der vom Zauberer entführten und in einen Schwan verwandelten Odette verwechselt.

Der Übergang von finsterer Magie zur Technik ist fließend. In Fritz Langs Film Metropolis etwa wird Rotbart zum "Robotiker" Rotwang, der aus der guten Protagonistin Maria eine böse "künstliche Intelligenz" und Doppelgängerin macht. Diese vernebelt den Verstand aller, die ihr beim Tanzen zuschauen. Im Ballett taucht der Prototyp eines solchen Automaten bereits bei Coppélia (1870) nach E. T. A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann auf. Ab 1. Oktober ist Pierre Lacottes 1973 entstandene Fassung der Coppélia in der Wiener Volksoper zu sehen.

Meister des Handlungsballetts

Die erste Staatsballett-Premiere kommt am 19. November mit Christopher Wheeldons The Winter's Tale nach Shakespeares Drama Das Wintermärchen im Haus am Ring. Der 51-jährige englische Choreograf gilt als Meister des zeitgenössischen Handlungsballetts.

Weiter geht es im Jänner 2025 an der Volksoper mit der Premiere von Kaiserrequiem des Deutschen Andreas Heise über einen Populisten, der sich als Erfinder der Unsterblichkeit aufspielt. Das Ballett basiert auf Viktor Ullmanns Kammeroper Der Kaiser von Atlantis und Mozarts Requiem d-Moll KV 626 in der musikalischen Fassung von Omer Meir Wellber.

Der April bringt einen Triple-Abend in die Staatsoper mit Werken von George Balanchine und Merce Cunningham im Zusammenspiel mit der Uraufführung von Martin Schläpfers Stück Pathétique. Ebenfalls drei Stücke werden im Juni unter dem übergreifenden Titel "Kreationen" an der Volksoper vorgestellt. Diese Uraufführungen stammen von Alessandra Corti, Louis Stiens und Martin Chaix aus einer jüngeren Generation von Ballettschaffenden. (Helmut Ploebst, 30.6.2024)