Tschechiens Ex-Premier Andrej Babiš, FPÖ-Chef Herbert Kickl und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán Sonntagvormittag bei einer gemeinsamen Presseerklärung in Wien. Die drei Politiker unterzeichneten ein "Patriotisches Manifest", das Basis für die Zusammenarbeit sein soll.
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Es rückt politisch zusammen, was sich geografisch bereits nah ist: FPÖ-Chef Herbert Kickl, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und Tschechiens Ex-Premier Andrej Babiš haben am Sonntagvormittag bei einem überraschend angesetzten Termin in Wien erklärt, dass sie sich verbünden und auf EU-Ebene eine "neue politische Allianz, die sich aus patriotischen Kräften formiert", bilden wollen. Die drei bei der EU-Wahl am 9. Juni siegreichen Rechtsparteien aus Österreich, Ungarn und Tschechien planen, gemeinsam eine neue rechte EU-Fraktion zu gründen. Im Rahmen einer gemeinsamen Presseerklärung sprach Kickl von einem "historischen Tag, weil wir mit dem heutigen Tag in eine neue Ära der europäischen Politik eintreten".

Video: Rechtsparteien wollen neue EU-Fraktion gründen
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Überraschend kommt dieser Schritt nur zum Teil. Die mit Zweidrittelmehrheit regierende rechtsnationale Partei Fidesz von Orbán gehört aktuell keiner Fraktion im EU-Parlament an – sie wurde 2021 nach jahrelangen Konflikten aus der Europäischen Volkspartei (EVP) ausgeschlossen. Babiš' oppositionelle liberale Protestbewegung ANO verließ die liberale Fraktion Renew Europe hingegen erst nach der EU-Wahl. Sowohl Fidesz als auch ANO hatten die Wahl in ihren Ländern gewonnen und waren auf EU-Ebene auf der Suche nach politischem Anschluss.

Allianz als "Trägerrakete"

Um eine eigene Fraktion im EU-Parlament bilden zu können, brauchen die drei Rechtsparteien aber noch Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus vier weiteren EU-Ländern – obwohl FPÖ, Fidesz und ANO die erforderlichen 23 Mandate für die Gründung einer Fraktion auch allein zusammenbringen. Gemäß EU-Wahlergebnis wird die FPÖ im neuen EU-Parlament über sechs Sitze, ANO über sieben Sitze und die Liste Fidesz-KDNP über elf Sitze verfügen.

Kickl zeigte sich jedenfalls "überzeugt, dass sich in den kommenden Tagen noch viele andere anschließen werden". Es würde sich bereits jetzt abzeichnen, "dass es mehr sein werden, als manche vermuten". Ab dem heutigen Tag seien jedenfalls "alle politischen Kräfte, die das wünschen und sich einfügen wollen, herzlich willkommen", sagte Kickl, der die Allianz als "Trägerrakete" bezeichnete. Welche Parteien der Allianz beitreten wollen, wurde am Sonntag allerdings noch nicht verraten.

Orbán wiederum kündigte an, dass die Fraktion "raketenmäßig" und "bald die größte Fraktion der rechtsgerichteten Kräfte" im EU-Parlament sein werde. Babiš zählte die Ziele der Allianz "Patrioten für Europa" auf: die Verteidigung der Souveränität der Länder, der Kampf gegen illegale Migration und die Revision des Green Deal. Die drei Politiker unterzeichneten zudem ein "Patriotisches Manifest", das Basis für die Zusammenarbeit sein soll.

Sprung in Kickls und Orbáns Arme

Formal gesehen ist der Sprung der Babiš-Partei in die Arme von Kickl und Orbán besonders groß. Bis vor kurzem war sie noch Teil jener liberalen Fraktion, der auch die Neos oder die Reformpartei der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas, die nun EU-Außenbeauftragte werden soll, angehören. Babiš präsentierte sich allerdings schon bisher gerne als ideologiefreier Pragmatiker und ließ sich damit alle Spielräume offen. Zu seiner Teilnahme an einem Treffen von Rechts-außen-Kräften in Budapest im Jahr 2023 sagte er damals: "ANO ist eine Catch-all-Partei, wir sprechen alle Wähler an. Also bekennen wir uns logischerweise auch zu konservativen Werten." Restriktive Migrationspolitik und Anti-Brüssel-Rhetorik gehören schon länger zu seinem Repertoire.

Kickl begrüßte den milliardenschweren Unternehmer Babiš als "früheren und allen Umfragen zufolge auch kommenden Regierungschef" Tschechiens. In der Tat ist Letzteres nicht ausgeschlossen: In den Umfragen zur 2025 anstehenden Parlamentswahl liegt ANO stabil vorn. Die Partei stehe für Kickl für einen "Weg der Vernunft". Der FPÖ-Chef streute aber auch Orbán Rosen und lobte diesen als einzigen Regierungschef in der EU, der sich erfolgreich gegen illegale Einwanderung und einen überbordenden Zentralismus zur Wehr setze. Viel Kritik an dem gemeinsamen Auftritt kam von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos.

Gespaltenes rechtes Lager

Derzeit sind die Rechten auf EU-Ebene in zwei Lager gespalten: die Fraktion Identität und Demokratie (ID) und die Fraktion der Konservativen und Reformer (EKR). Die FPÖ und der französische Rassemblement National von Marine Le Pen zählen zu den führenden Kräften in der ID. Weiters gehören der ID die italienische Lega von Vizepremier Matteo Salvini und die Freiheitspartei (PVV) des niederländischen Wahlsiegers Geert Wilders an. Die extrem rechte Alternative für Deutschland (AfD) wurde wegen umstrittener NS-Äußerungen ihres Spitzenkandidaten Maximilian Krah kurz vor der EU-Wahl trotz Widerstands der FPÖ aus der ID-Fraktion ausgeschlossen – auch sie sucht nun nach neuen Bündnispartnern.

Die EKR-Fraktion wurde bisher von den polnischen Nationalkonservativen der PiS dominiert. Nach dem Wahlsieg der Fratelli d'Italia ist dort nun Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni führende Kraft. Le Pen wird wiederum nachgesagt, ein Bündnis mit Meloni schließen zu wollen.

Salvini von der Lega kann der neuen Allianz jedenfalls etwas abgewinnen. Schließlich arbeite seine Partei schon "seit Jahren" daran, ein möglichst starkes, patriotisches und kohärentes Bündnis zu schmieden. "Wir begrüßen die heutigen Äußerungen anderer Parteichefs, dass sie bereit (zur Zusammenarbeit, Anm.) sind." Die AfD dürfte zwar vorerst nicht an Bord sein, hält einen Beitritt zu einem späteren Zeitpunkt aber für möglich. "Kurzfristig werden wir nicht dazustoßen, aber wer weiß, was wir mittel- und langfristig machen", hielt sich die am Wochenende wiedergewählte Co-Parteichefin im ARD-Interview die Option am Sonntag offen.

Auf EU-Ebene gibt es schon seit Jahren Bemühungen, die beiden Rechtsfraktionen unter einem Dach zu vereinen. Mit der Schaffung einer einzigen rechten Fraktion, so der Traum der Rechten, könne der Umbau der EU gelingen. Zögen sie nämlich alle an einem Strang, wären sie im EU-Parlament die zweitstärkste Kraft. Dass dieses Vorhaben bislang erfolglos blieb, überrascht nicht: Es liegt wohl einfach in der Natur von rechtspopulistischen bis extrem rechten Parteien, dass eine internationale Zusammenarbeit schwierig ist, weil jede Partei in erster Linie ihre nationalen Interessen im Sinn hat. Für Kickl beweise die Sonntagvormittag präsentierte Allianz hingegen, dass "die Internationale der Nationalen" kein "Ding der Unmöglichkeit und Widerspruch" sei. Dennoch: Statt Vereinigung droht nun weitere Zersplitterung.

Bis zum 15. Juli muss beim Präsidium jedenfalls eingemeldet werden, wer eine Fraktion bilden will und mit wem. Am 16. Juli konstituiert sich dann das neue EU-Parlament.

"Augen auf Paris und Wien"

Bereits am Samstag heizte Orbán die Gerüchteküche über die Bildung einer neuen rechten Fraktion im EU-Parlament an. Am Sonntag werde es zwei entscheidende Ereignisse geben, schrieb er in der ungarischen Tageszeitung Magyar Nemzet: "Rechte Parteien sollten starke Gruppen im Europäischen Parlament bilden, und dann eine Kooperation zwischen ihnen entwickeln." Und: "Wir sollten unsere Augen auf Paris und Wien richten."

Dass die Welt an diesem Wochenende nach Frankreich schaut, ist wenig überraschend. Dort finden schließlich Parlamentswahlen statt, die Präsident Emmanuel Macron nach der EU-Wahl überraschend ausgerufen hat. Dabei könnte der rechtsextreme Rassemblement National von Le Pen laut Umfragen einen Triumph feiern und Platz eins erringen. Die regierenden Liberalen von Macron könnten hingegen eine schwere Niederlage erleiden und hinter dem Linksblock aus Linken, Sozialisten und Grünen auf Platz drei landen.

Nachbarschaftliche Beziehungen vertiefen

Blaue Spitzenvertreter pflegen jedenfalls seit vielen Jahren beste Kontakte zu Orbán und seiner Fidesz-Partei. Orbáns Politik wird von den Freiheitlichen in vielen Bereichen, insbesondere in Asyl- und Migrationsfragen, als "Vorbild" bezeichnet. Erst vor zwei Wochen wurde die Regierung Orbán vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu einer Strafe von 200 Millionen Euro verurteilt, weil sie gegen EU-Asylregelungen verstoßen hatte.

Und erst diese Woche fand ein Besuch von Ungarns Außenminister Péter Szijjártó mit FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in Wien statt – und zwar im Rahmen eines Austauschs der bilateralen parlamentarischen Gruppe Österreich-Ungarn.

Im Zuge seines Besuchs verkündete Szijjártó, dass die ungarische Regierung mit seiner Regierungspartei Fidesz ihre engen Beziehungen zur FPÖ weiter ausbauen und Kooperationen vertiefen wolle. Schließlich sei man in allen wichtigen EU-Themen einer Meinung und habe ähnliche Antworten darauf. Inhaltlich wollen FPÖ und Fidesz etwa die Asyl- und Migrationspolitik der EU umkehren und "Frieden in der Ukraine statt Waffenlieferungen". Und sie lehnen die von der EU wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verhängten Sanktionen gegen Russland ab. Szijjártó und Hafenecker betonten außerdem die Notwendigkeit, dass "die Souveränisten und patriotischen Kräfte in der Europäischen Union Einigkeit zeigen, um der Dominanz des liberalen Mainstreams etwas entgegenzuhalten".

Orbáns Regierung übernimmt übrigens am Montag für ein halbes Jahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Das mit Verfahren wegen Rechtsstaatsverletzungen belegte Land stellt seine Präsidentschaft unter das Motto "Make Europe Great Again" – angelehnt an den Wahlkampfslogan "Make America Great Again" von Ex-US-Präsident und Präsidentschaftskandidat Donald Trump. (Sandra Schieder, Thomas Mayer, Gerald Schubert, 30.6.2024)