Viktor Orbán vor dem Logo der EU-Kommission
Viktor Orbán ruft dazu auf, am Sonntag die Augen auf Paris und Wien zu richten.
AFP/MIGUEL MEDINA

Der ungarische Premierminister Viktor Orbán heizt zwei Tage vor der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch seine Regierung am Montag die Gerüchteküche über die Bildung einer neuen, rechten Fraktion im EU-Parlament an. Am Sonntag werde es zwei entscheidende Ereignisse geben, schrieb er am Samstag in der Zeitung Magyar Nemzet, eines in Paris und eines in Wien: "Rechte Parteien sollten starke Gruppen im Europäischen Parlament bilden, und dann eine Kooperation zwischen ihnen entwickeln". Und weiter: "Wir sollten unsere Augen auf Paris und Wien richten."

Paris am Sonntag, Ja. Aber warum Wien? Das fragten sich prompt politische Beobachter quer durch den Kontinent. Dass die Welt an diesem Wochenende nach Frankreich schaut, ist klar. Es finden von Präsident Emmanuel Macron nach den EU-Wahlen am 9. Juni überraschend ausgerufene Parlamentswahlen statt.

RN-Sieg erwartet

Dabei könnte der "Rassemblement National" von Marine Le Pen laut Umfragen einen Triumph feiern, auf Platz eins kommen mit guten Chancen, nach der Stichwahl in einer Woche mit Parteichef Jordan Bardella den Premierminister zu stellen. Die regierenden Liberalen von Macron dürften eine schwere Niederlage erleiden, weil sie wohl hinter dem Linksblock aus Linken, Sozialisten und Grünen auf Platz drei landen. Macron wäre zur "Cohabitation" mit einem radikalen Regierungschef gezwungen, schwer geschwächt, mit entsprechenden Wirkungen auf die europäische Politik.

Dass Orbán daher auf Paris verwies, ist logisch. Warum er auf Wien verwies wurde später am Nachmittag klarer, als ein Medientermin bekannt gegeben wurde: Am Sonntag um 10 Uhr will Orbán mit Herbert Kickl und Andrej Babiš in Wien vor die Presse treten. In sozialen Netzwerken machte vor Verkündung des Termins die Runde, dass Orbán mit dem "wichtigen Ereignis" in Wien auf einen Auftritt von FPÖ-Chef Herbert Kickl in der Ö3-Radiosendung "Frühstück bei mir" mit Claudia Stöckl verweisen wollte. Das wäre bei einem Premierminister, der gerade den EU-Vorsitz übernimmt, dann doch überraschend, obwohl manche Kritiker Orbán inzwischen fast alles zutrauen.

Treffen zwischen Szijjártó und Hafenecker

Zuvor fand schon ein von der breiten Öffentlichkeit bisher weitgehend unbeachteten Besuch des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó mit FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in der österreichischen Hauptstadt statt. Er ist einer der engsten Vertrauten in Orbáns Team und ein besonders rechter Scharfmacher.

Die beiden hatten beim Wiener Treffen im Parlament die Notwendigkeit betont, dass "die Souveränisten und patriotischen Kräfte in der Europäischen Union Einigkeit zeigen müssen, um der Dominanz des liberalen Mainstreams etwas entgegenzuhalten". Sie betonten die Wichtigkeit der Kollaboration dieser "patriotischen Bewegungen", insbesondere zwischen Fidesz und FPÖ.

Inhaltlich wollen sie die EU-Migrationspolitik umkehren und "Frieden in der Ukraine statt Waffenlieferungen". Und sie lehnen die wegen des Angriffskrieges von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland strikt ab.

Gespaltene Rechte

Solche Gespräche und Treffen sind kein Zufall. Seit den EU-Wahlen gibt es quer durch Europa vielfältige Bemühungen von Rechtspopulisten bis extrem rechten Parteien, sich in Straßburg neu zu formieren und eine neue Fraktion aufzustellen. Derzeit ist das rechte Lager in zwei Fraktionen gespalten: die ID-Gruppe („Identität und Demokratie“), der die Le-Pen-Partei, die Lega aus Italien, FPÖ, Vlaams Belang aus Belgien und auch die Freiheitspartei des Niederländers Geert Wilders angehören. Letzterer dominiert die neue Regierung in Den Haag, die nächste Woche antritt.

Neben der ID gibt es die Fraktion der Konservativen und Reformer (EKR). Sie wurde bisher von den polnischen Nationalkonservativen der PiS dominiert. Nach dem fulminanten Wahlsieg von Giorgia Melonis "Fratelli", die nun die Führung bei EKR beanspruchen, treten Brüche auf.

Die Fidesz von Orbán wiederum hat zwar Mandate verloren, ist derzeit fraktionslos und sucht nun eine neue Fraktion.

Neue "Souveränisten"-Gruppe?

Das alles ist der Stoff, aus dem die Gerüchte um die Neugründung einer "Souveränisten"-Gruppe gemacht sind. Le Pen möchte gerne mit Meloni zusammenarbeiten, lehnt aber die deutsche AfD, die vor den Wahlen aus der ID ausgeschlossen wurde, ab. Zudem will sie in Frankreich als gemäßigte Rechtspartei wirken und 2027 Staatspräsidentin werden. Das geht nicht, wenn sie mit extrem Rechten im Parlament in einem Boot sitzt.

Orbán hofft wohl auch, dass die Rechtsparteien am Sonntag durch einen Wahlerfolg in Frankreich den nötigen Push in der Öffentlichkeit bekommen, um ihren neuen Einfluss auf die europäische Politik zu forcieren. Die FPÖ mischt im Hintergrund seit langem mit, wenn es um die Kreation einer rechtsgerichteten Gruppe geht. Spitzenkandidat Harald Vilimsky stellte sich trotz aller schweren Bedenken gegen die AfD bis heute stets voll hinter die extrem rechte Partei und kämpfte um deren Einbindung im EU-Parlament.

An diesem Wochenende findet auch der AfD-Parteitag statt, bei dem es um die Bestätigung der Parteispitze geht. Bewegung gibt es aber auch in anderen Nachbarländern von Österreich: So verließ die stark rechtsliberale Delegation des früheren tschechischen Premiers Andrej Babiš die Fraktion der Liberalen in Straßburg und sucht nun Anschluss an eine neue Gruppe. Das EU-Parlament konstituiert sich Mitte Juli.

Bis nächste Woche muss beim Präsidium eingemeldet werden, wer eine Fraktion bilden will und mit wem. Die Rede ist davon, dass sich rund um Orbán und Kickl ein zentraleuropäischer "rechter Block" bilden könnte, der eine exponierte EU-skeptische Linie fährt. Das könnte mit der Ankündigung in Wien zusammenpassen. (Thomas Mayer aus Brüssel, 29.6.2024)