Alice Weidel und Tino Chrupalla stehen lächelnd nebeneinander.
Alice Weidel und Tino Chrupalla bleiben auch weiterhin die Chefs der AfD.
IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Die Rache der Stadt Essen ist bunt. Vor der Grugahalle im Messepark wehen zahlreiche Regenbogenfahnen, auch Europafahnen sind zu sehen. Für ein offenes und tolerantes Miteinander wirbt die Stadt in Nordrhein-Westfalen, die an diesem Wochenende den AfD-Parteitag in ihrer Messe beherbergen muss.

Muss – weil sie es eigentlich nicht wollte. Wenige Wochen vor dem Delegierten hat sie der AfD den Mietvertrag gekündigt. Doch diese wehrte sich per Gericht gegen Rauswurf und bekam Recht.

"Wir sind hier – und wir werden bleiben!" Laut und hämisch ruft AfD-Chefin Alice Weidel dies zur Begrüßung in den Saal. Sie dankt auch allen Polizisten und Polizistinnen, die den Parteitag schützen.

Mit diesen liefern sich draußen in der Hitze Demonstranten und Demonstrantinnen heftige Auseinandersetzungen. Zehntausende sind nach Essen gekommen, um ihren Unmut gegen die AfD kundzutun. Sie schaffen es immerhin, den Beginn des Parteitages um 30 Minuten zu verzögern. Einige Delegierte müssen über Absperrungen klettern, um überhaupt in die Halle zu kommen. Die Medien Zeit online und Der Westen berichten, dass ein AfD-Delegierter einen Demonstranten ins Bein gebissen hat.

Mehrere Polizisten schwer verletzt

Am Rande des Parteitags wurden laut Polizei 28 Beamte verletzt, einer von ihnen schwer. Insgesamt hätten 32 Gegendemonstrationen stattgefunden, so die Polizei. Die Menschen haben demnach größtenteils friedlich für ihr Anliegen demonstriert. Auch Protestierende erlitten Verletzungen, etwa durch Pfefferspray und den Einsatz von Schlagstöcken. Die Anzahl der verletzten Demoteilnehmerinnen und -teilnehmer wurde zunächst nicht bekanntgegeben.

In der Halle ist man unter sich. Es dominiert die Parteifarbe Blau, viele Deutschland-Fahnen sind zu sehen. Wenn der Thüringer Rechts-Außen Björn Höcke irgendwo erscheint, dann sind immer noch sofort viele Kameras auf ihn gerichtet.

Und als "weißer Elefant" steht Maximilian Krah, der Spitzenkandidat für die EU-Wahl, in der Halle. Diesem hatten die Parteichefs Weidel und Tino Chrupalla wenige Wochen vor der Wahl ein Auftrittsverbot erteilt – wegen seiner engen und dubiosen Kontakte nach China und weil er die Waffen-SS verharmlost hatte.

Viele fanden das Vorgehen der Parteichefs nicht in Ordnung, sie hätten sich mehr Unterstützung für Krah, einen Juristen aus Sachsen, gewünscht. "Maximilian Krah hat nichts Falsches gesagt", steht in schwarz-rot-gold auf Aufklebern, die im Foyer verteilt werden. Manche tragen T-Shirts mit Krahs Konterfei. Allerdings zieht der Landesverband Bayern dann doch seinen Antrag zurück, in dem Krah deutlich der Rücken gestärkt wird.

Massives Aufgebot an Polizei in Essen.
Die Polizei musste den AfD-Bundesparteitag in Essen mit massivem Aufgebot schützen.
IMAGO/Jochen Tack

Es hat geruckelt

Weidel erwähnt Krah nicht beim Namen, sagt aber über den Wahlkampf: "Es hat geruckelt und gekracht." Sie verteidigt, dass Krah dann regelrecht versteckt wurde: "Auch talentierte Spieler können sich verrennen. Niemand ist perfekt." Aber dann müsse das Trainerteam auch mal gezwungen sein "taktische Auswechslungen" vorzunehmen. Das bedeute aber nicht, dass jemand "aus dem Kader geflogen" sei.

Dann arbeitet sich Weidel an der Ampel ab. Von Deutschland als "Ponyhof" ist die Rede, von "wokem Hippie-Wahn". Die Ampel fordert Weidel auf: "Haut ab, packt die Koffer, macht den Weg frei für Neuwahlen." Und sie erklärt auch, was die AfD als erstes machen werde, wenn sie in Regierungsverantwortung komme: "Am Tag Eins" das neue Einwanderungsgesetz, das kürzere Fristen für die Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft vorsieht, abschaffen und das Selbstbestimmungsgesetz auch. Dieses erlaubt die Auswahl des Geschlechts.

Und während draußen rund um die Halle der Protest lautstark weitergeht, ist es drinnen, im Kühlen, sehr ruhig. Konzentriert und unaufgeregt, ohne Schärfe oder Streit, werden die Anträge abgehandelt.

Co-Parteichef Chrupalla gefällt diese Disziplin. "Wir müssen vorsichtig sein", sagt er und kommt auch noch einmal – ohne Krah beim Namen zu nennen – auf den EU-Wahlkampf zu sprechen. "Durch unprofessionelles Verhalten haben manche auch Angriffsfläche geboten", meint er und kündigt an: "Wir müssen unsere Kandidaten genauer ansehen."

Demonstranten und Demonstrantinnen zeigen Transparente gegen die AfD.
Zehntausende Menschen demonstrieren in Essen gegen die AfD.
REUTERS/Christian Mang

Besseres Ergebnis erhofft

Chrupalla erinnert an die 15,9 Prozent, die die AfD bei der EU-Wahl eingefahren hat und sagt: "Richtig ist auch, wir hätten 20 Prozent holen können." Bei einer Nachwahlkampf-Betrachtung hätten 67 Prozent der Befragten erklärt, ihr Bild von der AfD sei im Laufe des Wahlkampfes "schlechter geworden".

Gut hingegen läuft es zunächst für Chrupalla. Ein Antrag für eine Einzelspitze in der AfD wird klar abgelehnt. Man bleibt bei der Doppelspitze, die AfD wird auch weiterhin von zwei Personen geführt. Delegierte, die dafür geworben hatten, hatten auf die drei Landtagswahlen im Osten (Thüringen, Sachsen, Brandenburg) im September verwiesen. Man müsse für diese breit aufgestellt bleiben.

"Wir brauchen eine geschlossene Partei", mahnt Chrupalla dann auch in seiner Bewerbungsrede für die Wiederwahl. Denn: "Wir wollen regieren – erst im Osten, dann im Westen, dann im Bund." Nur so könne man das Land "vom Kopf auf die Füße stellen". Er wird mit 82,7 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Das ist ein durchaus respektables Ergebnis, angesichts der Unruhe, die doch in der Partei vor dem Delegiertentreffen geherrscht hatte.

Chrupalla schlägt dann Weidel als seine "geliebte Co-Sprecherin" zur Wahl vor. Diese dankt dem "geliebten Tino" in ihrer Bewerbungsrede und verspricht, sich in der Kommunikation zu besssern. Weidel: "Das habe ich mir persönlich in mein Lastenheft geschrieben, wir erklären noch zu wenig." Und noch etwas kündigt sie an: Die "unsäglichen Brandmauern" einzureißen. Mit der AfD will ja keine der anderen Parteien regieren. Auch Weidel wird wiedergewählt, sie bekommt 79,7 Prozent Zustimmung, etwas weniger als Chrupalla. Das überrascht viele dann doch. Denn eigentlich gilt sie als die beliebtere im Duo. (Birgit Baumann aus Essen, red, APA, 29.6.2024)