Die in Hamburg lebende Österreicherin Johanna Sebauer las nicht nur über Essiggurkerl, sie hatte auch welche in Klagenfurt mit dabei.
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Ein Buch mit Eigenleben eröffnete den dritten Lesetag und zeigte sich prompt widerspenstig dagegen, gelesen zu werden. Semi Eschmamp führte dann noch ein auf den Boden gefallenes Lächeln, eine heute besonders "unruhige" Zeitung und die personifizierte Angst beim Strandurlaub auf. In der Tradition der fantastischen Literatur des 19. Jahrhunderts erfreute der Text mit seinen personifizierten Abstrakta und belebten Gegenständen Thomas Strässle. Schön, dass sowas mal hier in Klagenfurt ist! Dieses "Surreale" und "Absurde" und manche der Bilder fanden auch seine Kollegen "reizvoll". Letztlich war man aber generell enttäuscht: Strässle fand "einige philosophische Quatschszenen" schon weniger gut; alles nur Begriffe, bedauerte Philipp Tingler, aber kein Innenleben. "Es war schon oft so, dass wir Texte nicht verstanden haben, und dann war klar, es sind halt Schweizer Texte", feixte Klaus Kastberger. "Wir verwenden auch Wörter und verständigen uns nicht in Urlauten", wurde Strässle patriotisch.

Die in Hamburg lebende, 1988 geborene Österreicherin Johanna Sebauer, deren Debütroman Nincshof voriges Jahr erschienen ist, erzählte dann aus einer Lokalzeitungsredaktion, die ein bisschen Essigwasser, das dem meinungsstarken Kolumnisten des Blattes aus einem Essiggurkerlglas ins Auge spritzt, zum Debattenthema des Sommerlochs hochjazzt. Kommentare, Gegenkommentare, Interviews, die sozialen Netzwerke steigen darauf ein, es formieren sich Proteste und bald muss man aufpassen, an welcher Wursttheke man sich anstellt. Also eine sehr lustige, schnelle Satire auf aktuelle Empörungskultur, aus dem Ruder laufende Diskussionen und Polarisierung. Die "Diagnose der Dummheitsdynamik"(Philipp Tingler) verstanden alle, auch handwerklich gefiel das: "Großes Vergnügen", "elegant", "brillant", "geschickt", "hochaktuell", "unfassbar gut komponiert", "extreme Feinheit in der Beobachtung". "Eine Satire, die gute Literatur ist, weil die Figur vollkommen glaubwürdig ist", so Mithu Sanyal. Ein bisschen Österreichpatriotismus darf dieser Tage nicht nur im Fußball sein!

Sprache als Material

Bei Miedya Mahmod wurden dann Laute, Worte und Syntax zum Material für ein reizvolles, aber nicht leicht zu verfolgendes Konventionenbrechen. Transgenerationale Traumata, ein zersplittertes Ich, eine Heimatsuche und Sprachverlust begann die Jury einige Themen aus dem "Stream of Consciousness" hervorzuziehen. Ein Text, der laut gelesen und vorgelesen werden muss wie eine "Partitur", war man sich einig – Mahmod kommt ja auch aus dem Spoken Word. Nur Philipp Tingler wollte nicht ins wortreiche Lob des Textes, "der eine Überforderung darstellt" (Strässle), einstimmen: "Es gibt auch so etwas wie eine Herausforderung durch Verunklarung". – "Wo?" – "You can pick any Stelle, die du möchtest"; er sei "immer skeptisch, wenn das kuratorische Begleitnarrativ für Texte Vortragscharakter annimmt". Tingler mache den Text, so wie er ihn lese, kaputt, verteidigte Kastberger den Beitrag, es gebe darin zudem durchaus auch "Andockstellen für das, was das Feuilleton für einen schönen Text hält", etwa Gleichklänge. Strässle: "Ich war sehr gespannt auf diese Diskussion und wurde nicht enttäuscht". Ob sich das aber in einen Preis ummünzen lässt?

"Absolute emotionale Dringlichkeit“ attestierte Jurorin Mara Delius dem Text von Tamara Štajner. Die wurde gegen Ende ihrer Lesung denn auch emotional.
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Mit einem "hoch komplexen, extrem interessanten" Brief an die Mutter (Mara Delius) ging der Tag zu Ende: Tamara Štajner, in Wien lebende gebürtige Slowenin, spannte ihren Text zwischen einer Gegenwart in Wien und der Kindheit in den 1990ern am kriegsgebeutelten Balkan auf. Diese Historie grundiert das Kinderbewusstsein, ebenso sonntägliche Disneyfilme – und die Angst vor der Waage, falls man zugenommen hat. „Wer soll sowas heiraten?“, würde die Mutter in dem Fall fragen. Nur ein Beispiel von vielen für das erzählte "psychotische Gefängnis", die "Gewalterfahrung einer Mutter-Tochter-Beziehung" (Delius). De Weck erfuhr auch viel über die übersehenen Frauen im Krieg, auch von der Metaphorik (Strässle) bis zur "Intensivierung des Tons" (Tingler) imponierte der Beitrag der Jury. Schwens-Harrant lobte, dass der Monolog emotional nicht "einseitig" werde: "Man spürt die Wut in der Liebe und die Liebe in der Wut und, das muss man erst einmal hinkriegen." Klingt stark preisverdächtig – am Sonntag ab elf Uhr wird man es wissen. (Michael Wurmitzer, 29.6.2024)