SPÖ-Chef Andreas Babler.
"Die Menschen verabschieden sich von der Politik, weil sich die Politik von ihnen verabschiedet hat", versuchte SPÖ-Chef Andreas Babler um die Gunst der Nichtwählerinnen und Nichtwähler zu buhlen.
APA/MAX SLOVENCIK

Es gab eine Anekdote in der SPÖ, über die man am Samstagnachmittag besonders genüsslich lachen konnte. "Heast, des ist leiwand", soll ein hochrangiger niederösterreichischer Genosse in einer Runde von Vertrauten so dahin gesagt haben. "I bin jetzt seit 25 Jahren bei jeder Bundesparteiveranstaltung, oba da kenn i kan."

Ausgeplaudert hat das Klaus Seltenheim, Bundesgeschäftsführer der Roten. Aber Seltenheim ist stolz darauf.

Am Wochenende pilgerten nämlich dutzende Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten trotz brütender Hitze in die alte Wirtschaftsuniversität im neunten Wiener Bezirk. Das ist ein dicker Betonblock mit etwas Grün am Dach. Und offenbar machten der SPÖ diesmal nicht nur die immer gleichen roten Offiziellen die Aufwartung. Sondern auch andere, gefühlt viele Ältere darunter, mit denen sich eingefleischte Parteikader erst bekannt machen mussten.

Auf dem ehemaligen Unigelände fand der erste sogenannte Mitmachkongress der SPÖ statt. Angeblich sollen über den Tag verteilt bis zu 1000 Menschen da gewesen sein. Überprüfen lässt sich das nicht. Der Kongress sollte jedenfalls einem großen Versprechen der Partei ein Gesicht verleihen: die SPÖ zu demokratisieren. Damit ist Andreas Babler vor gut einem Jahr im Duell um den Parteivorsitz angetreten.

Sein größter Erfolg in dieser Frage bisher: Den SPÖ-Vorsitz wählt künftig die Basis. Am Samstag wurde das rote Konzept zur "Demokratisierung" der Republik bekannt. Es dreht sich um Bürgerräte, öffentliche Hearings für Spitzenposten und eine ORF-Reform. DER STANDARD berichtete.

Die SPÖ müsse raus aus den Hinterzimmern, sagte Babler dann einmal mehr bei der Eröffnung vor der Uni. In den Räumlichkeiten wartete dann getreu dem Motto allerlei zum Mitmachen: Tischtennis und Tischfußball im Erdgeschoss. Daneben eine Videostation, bei der sich Babler-Fans mit "Herz und Hirn"-Schildern, dem neuen offiziellen Parteimotto, für ein Erinnerungssouvenir in Szene setzen konnten. Passende T-Shirts wurden von großer Zahl feilgeboten. Manch einer ließ sich auch eine rote Sonne als Abwaschtattoo mit dem Schriftzug "Gegen den Rechtsruck" auf dem Körper kleben. Auf Wänden konnten Genossinnen und Genossen mit Post-its ausdrücken, was sie für den "Babler-Effekt" in der Republik machen wollen: "Das blaue Grätzl drehen!" stand da unter anderem. Oder schlicht: "Hausbesuche".

Es gab Speedating mit Mandatarinnen und Mandataren, etwa mit Parlamentsklubchefin Eva-Maria Holzleitner oder Nationalrat Kai Jan Krainer. Und es fanden jede Menge Vorträge zu großen Fragen statt, von Künstlicher Intelligenz, Kapitalismus bis hin zur Globalisierung. In Workshops wurde über Strategien für Hausbesuche und Telefonaktionen debattiert. In einem anderen Lehrgang durfte Interessierte erfahren, was die SPÖ so auf Social Media treibt.

"Wir wissen, wo sie wohnen"

Quasi der Erfinder der Mitmach-SPÖ ist Hermann Arnold, ein Unternehmer Ende vierzig. Arnold hat eigentlich vor Jahren die Neos mitbegründet, unterstützt für gewöhnlich Start-ups und beschäftigt sich aber auch mit demokratischer Unternehmensführung. Seit Bablers Parteiübernahme sitzt er im roten Expertinnenrat. Vermutlich ging es auch auf Arnold zurück, dass Fragen im Audimax nur über eine App per QR-Code gestellt werden können. Gestellt wurden die, die am meisten Zuspruch im Publikum bekamen, und nicht die von jenen, die sich am ehesten melden.

"Wie wollt ihr Kernthemen der SPÖ besser in der Öffentlichkeit platzieren?", "Wann geht es die SPÖ an, das Delegiertensystem auf Landes- und Bezirksebene zu demokratisieren?" oder "Wie wollen wir Nichtwählerinnen zur Wahl bringen?" Das Führungsgespann aus der roten Parteizentrale Klaus Seltenheim und Sandra Breiteneder versuchte jede der Fragen artig zu beantworten. "Ob wir sie wollen oder nicht", sagte Arnold. "Das ist mitmachen."

Jene Frage rund um die Nichtwähler wird Babler, der am Samstag viel Zeit im Audimax verbrachte, am Samstagabend in einer Rede noch in besonders emotionaler Art aufgreifen. Davor gab aber Breitenender noch zum Besten: "Wir helfen euch, die Nichtwähler zu finden". Denn: "Wir wissen, wo sie wohnen." Gelächter und Geklatsche im Saal. Damit meint die SPÖ aber bloß: Sie wisse, in welchen Wahlbezirken sie bisher nur wenig oder nichts gerissen hat.

Republik an einer Weggabelung

Am frühen Abend entschuldigte sich Babler bei seiner Rede im Audimax mehrfach bei den Nichtwählern, rund 44 Prozent bei der abgelaufenen EU-Wahl. "Wir verstehen euch", versuchte der SPÖ-Chef jene direkt anzusprechen, die sich vom politischen System abgewandt haben. "Die Menschen verabschieden sich von der Politik, weil sich die Politik von ihnen verabschiedet hat", führte Babler aus und schloss die SPÖ mit ein. "Wir haben verstanden."

Der Traiskirchner könne verstehen, dass viele Menschen der Politik den Rücken kehren: "Wenn das Auto in die Werkstatt muss und das Kind deshalb nicht zum Skikurs kann, wenn man ein Leben lang arbeitet, aber die Pension nicht reicht, warum sich eine Frau in Teilzeitarbeit nicht abgeholt fühlt, wenn es keine Kinderbetreuung gibt, um arbeiten zu können, wenn man all diese Fragen nicht beantwortet bekommt."

Hinzu kämen die Scharmützel der Politik, die nichts mit den Lebensrealitäten der Menschen zu tun hätten: die Streitigkeiten der türkis-grünen Bundesregierung, aber auch in anderen Parteien oder ob es im Herbst ein Dreierduell gebe. "Was soll die Message sein für Menschen, die sich verabschiedet haben?"

Aber Babler wolle nicht nur im Verzeihung bitten, sondern auch das Versprechen abgeben, die Lebensrealitäten der Menschen tatsächlich zu verbessern: "Geben Sie uns die Chance."

Österreich sieht der rote Kanzlerkandidat an einer Weggabelung. Die eine Seite lasse "böses erahnen". Aus Bablers Sicht sei das "fünf Jahre Blau-Schwarz, fünf Jahre Pensionen attackieren, fünf Jahre Angriffe auf Soziales, Medien, Justiz, Demokratie, wenn man das will, wer das will, ja, das ist deine Abzweigung, aber es gibt eine Alternative: die heißt Sozialdemokratie, das sind wir."

Die Hölle der Steuererklärung

Im Nachgang gab es minutenlange Standing Ovations für den SPÖ-Chef. Fast so laut wurde es auch bei Paul Schober. Der 13-jähriger Schüler ist ein glühendes Mitglied der SJ Floridsdorf – und soll quasi sinnbildlich dafür stehen, wer in der sogenannten Mitmachpartei plötzlich gehört wird. In seiner Zwei-Minuten-Präsentation stellte Schober ein neues Schulfach vor, das so gut wie alle Fragen des Lebens behandeln soll. Nicht zuletzt: "Was zur Hölle ist eigentlich eine Steuererklärung?"

Am Mitmachkongress wurde Schober schon zu etwas wie einer kleinen Legende. Dem Parteichef höchstpersönlich habe er schon angekündigt, dass er um 17 Uhr einen "Pitch" für politische Ideen der SPÖ machen werde, frohlockte Babler in seiner Rede und appellierte lautstark an seine Anhänger für den Wahlkampf. "Genau das müssen wir machen, einen Pitch."

Jetzt, drei Monate vor der Wahl, sei aus Bablers Sicht die Zeit der zweiten Halbzeit. Und der passionierte Fußballfan blieb in seinem Schlusswort im Fußballjargon: "Anpfiff." (Jan Michael Marchart, 29.6.2024)