Maria G.s Anwältin Doris Hawelka vor dem Bundesverwaltungsgericht.
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Vor exakt einem Jahrzehnt stieg die damals 17 Jahre alte Maria G. in in ein Flugzeug und schloss sich dem Islamischen Staat (IS) an. Am Freitag – und damit dem Jahrestag ihrer Ausreise – verhandelten vor dem Bundesverwaltungsgericht ihre Eltern für ihre Rückholung.

Maria G. ist seit 2019 in Gefängnislagern im Norden Syriens inhaftiert, gemeinsam mit zwei kleinen Kindern. In dem von Krieg gebeutelten Land hatte sie einen mutmaßlichen IS-Kämpfer geheiratet und mit ihm zwei Söhne zur Welt gebracht.

Das Außenministerium hat ihr – so wie auch anderen erwachsenen IS-Anhängern - bisher die Rückholung verweigert. Es bot im Gegenzug an, die Kinder ohne Maria G. nach Österreich zu bringen. Gegen den Bescheid des Ministeriums hat die Familie der jungen Frau eine Beschwerde eingebracht. Eine Entscheidung des Gerichts soll in den kommenden Wochen schriftlich erfolgen.

Radikalisierung, Trennung und Missbrauch

Die Zustände in dem Lager seien aus Sicht der Eltern desaströs. Marias Söhne, sechs und acht Jahre alt, erhielten dort keine Schulbildung. Der jüngere kennt kein Leben außerhalb des Zeltgefängnisses, der ältere war erst drei Jahre alt, als sie inhaftiert wurden. Auch die Gesundheitsversorgung in dem Lager sei nur spärlich. Immer wieder würden die Kinder erkranken.

Zugleich sei die Zeit begrenzt. Doris Hawelka, Anwältin der G.s, verwies auf die Zukunftsperspektiven der Burschen: Es gebe Berichte dazu, dass Kinder schon im jungen Alter radikalisiert würden. Auch werden junge Burschen in den Lagern ab zwölf Jahren von ihren Müttern getrennt. Die kurdisch geführten Gefängnisse begründen das damit, dass der IS auch Kinder und Jugendliche als Kämpfer missbrauche.

Laut Politikwissenschafter Thomas Schmidinger, der regelmäßig in der Region forscht, käme hinzu: Ein großer Teil der IS-Anhängerinnen würden das Gebären von Nachwuchs als einen Beitrag für den Jihad betrachten. Viele junge Knaben würden deshalb in dem Lager, in dem nur Frauen und Kinder interniert sind, vergewaltigt. Deswegen brächten die kurdischen Soldaten sie bei der Geschlechtsreife aus dem Lager. Grundsätzlich würden die Kurden eine Rückholung aller Staatsbürger begrüßen, sogar dazu aufrufen, sagte Schmidinger.

Die Lager seien überfüllt, die Zukunft der Internierten sei unklar. Nach Angaben Schmidingers, der Maria G. im Lager besuchte, habe sie sich im Gespräch mit ihm vor allem um ihre Kinder gesorgt. Sie habe befürchtet, dass sie im Camp verrohen würden.

Kinder ohne Mutter?

Das Außenministerium, das von einer Anwältin der Finanzprokuratur vertreten wurde, argumentierte damit, dass G. aus freien Stücken nach Syrien aufgebrochen sei. Dabei habe damals wie heute eine Reisewarnung bestanden. In Bezug auf die Rechte der Kinder hieß es, dass man eine Rückholung dieser erwägen könne. Schon in der Vergangenheit seien Kinder von IS-Anhängerinnen nach Österreich gebracht worden. Dabei habe das Heeresamt maßgeblich geholfen. In einem Fall war die Mutter zweier Kinder tot, in einem anderen stimmte die Mutter zu, dass ihre beiden Kinder ohne sie nach Österreich gebracht werden. Das müsse auch Maria G. tun.

Nach Ansicht der Familie sei es aber nicht zumutbar, die Kinder von ihrer Mutter zu trennen. Sie sei ihre einzige Bezugsperson. Maria G. sei erst 17 Jahre alt gewesen, als sie sich dem IS anschloss. Damit war sie noch minderjährig – und habe ohne Erlaubnis ihrer Eltern nicht in das Flugzeug steigen dürfen. Ihre Mutter erzählte von ihrer schwierigen Kindheit: Nachdem Maria G. bei einem Unfall ihre Wirbelsäule verletzte, sei sie viele Jahre traumatisiert gewesen. Sie habe an Panikattacken gelitten, lange Jahre habe sie kaum Kontakt mit Freundinnen gehabt. "Maria war anders. Vorsichtiger. Verletzlicher", sagte ihre Mutter. Als Teenagerin habe sie sich dann schleichend radikalisiert. Über ihren damaligen Freund sei sie in Islamistenkreise geraten.

Auf den Verweis ihres Alters kommentierte ein Vertreter des Ministeriums, dass man mit 17 Jahren "bereits wählen" könne. Nach Ansicht des Ministeriums sei eine Rückholung grundsätzlich eine Sicherheitsgefahr. Sie würde von Beamten aus der Verwaltung durchgeführt. Die Lage in Syrien sei volatil, mögliche Risiken kaum abzuschätzen.

Radikalisierung unklar

Auf die Frage, wieso dies anders wäre, wenn man Maria G. zurücklassen und lediglich ihre Kinder mitnehmen würde, verwies ein Vertreter des Außenamts darauf, dass die Beamten nicht garantieren könnten, dass G. nach Österreich kommt, wo sie ein Strafprozess erwartet. G. sei, so die Ansicht des Ministeriums, jahrelang beim IS gewesen und habe erst nach der Zerschlagung den Wunsch nach einer Rückkehr geäußert. Wenn eine Anhängerin versuchen würde, zu flüchten, gebe es zu wenige Möglichkeiten, um dies zu verhindern.

Über manche Aspekte sprach das Ministerium nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei verwies es auf einen fünfseitigen, nicht klassifizierten Bericht der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), zu Maria G. Er wurde nichtöffentlich verhandelt, da er laut Richterin den "höchstpersönlichen Lebensbereich" von Maria G. betreffe. Durch Andeutungen ließ sich aber darauf schließen, dass es um den Stand der Radikalisierung der Salzburgerin gehen dürfte.

In dem autonomen Gebiet in Syrien, das von Kurdinnen und Kurden mit Unterstützung der USA kontrolliert wird, gebe es keine staatliche Vertretung, argumentierte das Ministerium. Auf diesem Wege könne somit keine Unterstützung durch Sicherheitskräfte gewährleistet werden, da es keinen Staat gebe, mit dem dies verhandelt werden könne. Dazu komme, sagte der Vertreter des Außenamts, dass im Vorjahr der internationale Haftbefehl gegen G. aufgehoben worden sei. Dadurch sei eine rechtsstaatliche Behandlung ihrer möglichen Verbrechen erschwert, da sie nicht etwa im Irak in ein Flugzeug nach Wien einsteigen könne.

EU-Staaten schwenken um

Andere EU-Staaten, darunter Frankreich und Deutschland, haben inzwischen IS-Anhängerinnen mit Kindern zurück ins Land gebracht. Begründet wird dies unter anderem mit dem Kindeswohl. Auch G.s Eltern wollen, dass ihre Tochter in Österreich vor Gericht gestellt wird. Anstatt eines Prozesses warte sie aktuell ohne Aussicht in Bedingungen, die einer Haft gleichkommen, wie Politikwissenschafter Schmidinger sagte.

Am Freitag wurde acht Stunden lang zu der Causa verhandelt. Das Bundesverwaltungsgericht wird in den kommenden Wochen schriftlich eine Entscheidung treffen. (Muzayen Al-Youssef, 28.6.2024)