Roland Weißmann
Bleibt Roland Weißmann über die volle Spielzeit bis Ende 2026 als ORF-General auf dem Feld? Die Wahl im Herbst und schon wieder ein neues ORF-Gesetz könnten sie verkürzen. Eine Ablöse würde teuer.
Heribert Corn

Der öffentliche Rundfunk stellt diesen Sonntag seinen Betrieb ein. Mit 1. Juli wird per Gesetz eine neue öffentliche TV- und Radioanstalt gegründet, in den ersten Monaten verwaltet vom Stellvertreter des Staatspräsidenten, bis ein neues, der Regierung nahestehendes Aufsichtsgremium und ein neuer Generaldirektor bestellt ist.

Die formale Neugründung der öffentlichen Rundfunkanstalt in der Slowakei ermöglicht der Regierung des Linkspopulisten Robert Fico, den Generaldirektor der Anstalt zwei Jahre nach seiner Bestellung für fünf Jahre vorzeitig abzusetzen.

Türkis-blaue ORF-Sprengmeister

Dieselbe Idee geisterte schon durch eine rechtskonservative österreichische Bundesregierung. Mit einer Einstellung und Neugründung des ORF könnte man besonders gut dotierte, praktisch unkündbare Vertragsverhältnisse im ORF loswerden, träumten ab 2017 vor allem blaue Medienstrategen.

Sebastian Kurz, damals Bundeskanzler und ÖVP-Chef, hielt öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach eigenen Worten ohnehin für verzichtbar.

Seine ÖVP freilich wollte und will lieber möglichst großen Einfluss auf den reichweitenstärksten Medienkonzern des Landes. Das Ibiza-Video über Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Straches mediale Machtfantasien von Krone bis ORF sprengte im Mai 2019 die Koalition gerade noch rechtzeitig, bevor sie ein fixfertiges neues ORF-Gesetz einbringen konnte. Von einer Neugründung wie nun in der Slowakei war dort keine Rede mehr.

Halbzeit für ORF-Chef

Fünf Jahre später hat die ÖVP ihren Generaldirektor an der Spitze des ORF. Ohne neues Gesetz hat sie 2021 Wunschkandidat Roland Weißmann mit ÖVP-Mehrheit im ORF-Stiftungsrat durchgesetzt. Es hätte die Stimmen des Regierungspartners, der Grünen, nicht gebraucht, nicht den blauen Stiftungsratschef und ebenso wenig zwei Betriebsrätinnen.

Diesen Sonntag ist schon Halbzeit für Roland Weißmann an der Spitze des ORF. Und an diesem Punkt ist nicht gesetzt, dass er die volle reguläre Spielzeit bis Ende 2026 als General auf dem Platz bleibt. Um ihn früher einzuwechseln, braucht es keine so radikalen Maßnahmen wie eine Auflösung und Neugründung des ORF. Dafür kann schon eine Nationalratswahl in wenigen Wochen reichen.

ORF zur Wahl

Die FPÖ will den ORF auf einen "Grundfunk" zusammenstreichen und statt des gerade von ÖVP und Grünen eingeführten ORF-Beitrags, nicht gerade politikferner, aus dem Bundesbudget finanzieren. Die Freiheitlichen führen seit langem in den Umfragen. Bei der EU-Wahl lagen sie erstmals bundesweit vorn, wenn auch knapper als erwartet.

Es braucht aber auch keine Regierungsbeteiligung der FPÖ, um eine ORF-Führung vorzeitig abzulösen. Eine Koalition mit Blau schließen die anderen Parteien, jedenfalls mit Parteichef Herbert Kickl, ohnehin gerade aus.

Aber: Die ÖVP wirkt über das Wirken ihren einstigen Wunschkandidaten Weißmann seit seinem Amtsantritt nicht rundum begeistert.

Wahlkampfmunition ORF-Beitrag

Das liegt nicht an Tatenlosigkeit in der ersten Spielzeit als Alleingeschäftsführer des ORF.

Weißmann hat, mit der bürgerlichen Mehrheit im Stiftungsrat zur Seite, einiges erledigt, was über Jahre liegengeblieben war. Etwa eine Neuorganisation der ORF-Information über alle Medien mit (teils) neuer Chefredaktion, neuem Redaktionsstatut und neuem "Ethikkodex", der Social-Media-Auftritte und Nebenjobs strenger regelt.

Mit Unterstützung von ÖVP und Grünen schaffte Weißmann ein neues ORF-Gesetz mit einem ORF-Beitrag, unabhängig vom Empfang, mit neuen digitalen Möglichkeiten im Streaming und auf Social Media, um jüngere Zielgruppen anzusprechen: mit der neuen Streamingplattform ORF On.

Zumindest Teile der ÖVP freilich sehen den Grant über den ORF-Beitrag unabhängig vom Empfang auf sie zurückfallen; die FPÖ setzt ihn längst als scharfe Wahlkampfmunition ein. Und die ÖVP hat sich offenkundig von einem Wunschkandidaten, wenn er auch nach eigenen Angaben keiner Partei angehört, deutlich freundlichere Behandlung in der ORF-Berichterstattung erwartet.

Höchstgericht legt Ball auf

Der Verfassungsgerichtshof legte den Ball auf für eine Neubestellung der ORF-Führung. Bis 1. April 2025 verlangt er vom Gesetzgeber, die Bestellung der ORF-Gremien neu zu regeln. Solche Umbauten nutzten Regierungen schon zweimal, um auch die jeweils gerade nicht genehme Führung des Österreichischen Rundfunks auszutauschen – 1974 die SPÖ und 2001 die Regierung von ÖVP/FPÖ.

Einer der medienpolitischen Schlüsselspieler dabei war 2001 Peter Westenthaler, der nun wieder als Vertreter der FPÖ den ORF-Stiftungsrat aufzumischen versucht. Westenthaler rechnet fix mit einer Neubestellung der ORF-Führung, wenn die Besetzung der Gremien neu geregelt wird.

Unabhängig abhängig

Die Ironie am Szenario, dass eine Regierung eine ORF-Gremienreform womöglich für eine noch genehmere ORF-Besetzung nutzt: Der Verfassungsgerichtshof hob die bestehende Besetzung der ORF-Gremien als zu regierungsnah und damit verfassungswidrig auf.

Verwerten kann die Vorlage des Verfassungsgerichts eher nur noch die nächste Bundesregierung. Ein Entwurf der Medienabteilung im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts für eine rasche Reparatur der ORF-Gremien lag schon wenige Tage nach der Aufhebung durch das Höchstgericht fixfertig vor. Er versandete im überschaubaren Gestaltungswillen der ÖVP für eine etwas politikfernere Besetzung der ORF-Gremien. Noch, weil sie weit größer ist als ihr Regierungspartner.

Diesen Sonntag ist schon Halbzeit für ORF-Chef Weißmann.
APA/GEORG HOCHMUTH

Einfach sitzen bleiben

Mit der vertanen Chance auf eine womöglich tatsächlich regierungsferne Gestaltung der ORF-Gremien wird das Szenario erst richtig skurril.

Denn: Die laut Höchstgericht nach verfassungswidrigen Bestimmungen bestellten Stiftungsräte können einfach bis zum Ende der regulären Amtszeit im Mai 2026 weiter Budgets und Programmschemata beschließen und unternehmerische Entscheidungen für den ORF treffen wie bisher.

Das geht aus einem Gutachten des Grazer Staatsrechtlers Christoph Bezemek für das Bundeskanzleramt hervor, und das bestätigen mehrere profunde Kenner des Rundfunkrechts.

Neue Regierung, alte Bestellung

Noch ein Stück skurriler: Bis Ende März 2025 sind noch die verfassungswidrigen Regeln in Kraft, wonach neue Regierungen nach Wahlen ihre neun von 35 Stiftungsräten austauschen können. Eine neue Regierung kann also fast ein Viertel des entscheidenden Gremiums einwechseln und bis zum Ende der regulären Amtszeit weiterwerken lassen.

Die Funktionsperiode des Stiftungsrats endet regulär im Mai 2026, wenige Wochen vor der nächsten regulären Generalswahl.

ORF-Generäle haben ihre Jobs schon mehrfach über die volle Amtszeit gerettet, indem sie Direktoren oder Chefredakteure austauschten. Das ist zumindest etwas günstiger als den General selbst.

Teurer Transfer von der ORF-Spitze

Denn: Die Verträge der ORF-Führung verlangen die Auszahlung der Bezüge über die volle Amtszeit, auch bei vorzeitiger Ablöse. Der ORF-General hat ein Grundgehalt von rund 380.000 brutto, die erste ORF-Transparenzliste wies ihm für 2023 mit Boni 426.000 Euro aus. Direktorinnen liegen bei 270.000 bis 280.000 Euro.

SPÖ-Chef Andreas Babler spielt unterdessen in einer anderen Welt. Er dachte laut über ein Recht auf Spiele der Nationalmannschaft im Free TV nach. Das schreibt ohnehin seit 2001 ein Gesetz vor. Babler verwechselte nur Free TV mit ORF. Die Spiele laufen bei Servus TV, ebenso frei empfangbar. (Harald Fidler, 29.6.2024)