Nach der Pause infolge des Sieges über die Niederlande war die Gier der Österreicher nach einer Trainingseinheit angeblich besonders groß.
APA/GEORG HOCHMUTH

Keine Sorge. Das Stadion "Auf dem Wurfplatz" steht immer noch im Berliner Olympiapark. Freitagmittag gab es ein Wiedersehen mit der österreichischen Fußballnationalmannschaft, der Entzug ist vorbei, man hat sich sofort wieder heimisch gefühlt. Der routinierte Busfahrer hat den Weg sofort gefunden. Ohne Navi. Wobei es dem Wurfplatz egal sein dürfte, der nimmt, was er bekommt, am liebsten ist ihm vermutlich die U23 von Hertha BSC, weil die Hertha hat ihn geschaffen.

Der Rasen ist nach wie vor in einem prächtigen Zustand. Marcel Sabitzer und Co hatten ihn zuletzt am Montag betreten, Anlass war das Abschlusstraining fürs Spiel gegen die Niederlande gewesen. Das wurde am Dienstag mit einem nahezu außerirdischen 3:2 absolviert. Tags darauf übte nur der kleine, feine Haufen jener, die lediglich von der Bank aus einen Beitrag geleistet hatten.

Golfen in Potsdam, Kinder im Zoo

Der Donnerstag war komplett der Freizeit gewidmet. Jeder konnte tun oder lassen, was er wollte. Oder was die jeweiligen Familienangehörigen wollten, Kinder bevorzugten einen Zoobesuch. Teamchef Ralf Rangnick spielte nahe Potsdam eine Runde Golf. Gemeinsam mit Assistent Lars Kornetka. Rangnicks Leistung soll durchwachsen, ein Handicap gewesen sein. Der Mann stellt nicht zuletzt an sich selbst hohe Ansprüche, lehnt Zufriedenheit ab. Andererseits betreut er ja nicht die europäische Auswahl beim Ryder Cup, sondern Österreichs Nationalteam bei der Fußball-EM. Insofern ist in Potsdam nichts passiert.

Es war extrem schwül in Berlin, Gewitterwolken zogen auf und wieder ab, ein Tröpfeln ist geblieben. Das Training wurde eine halbe Stunde vorverlegt, die Spieler gierten danach, die inoffizielle "Lustskala" ist nach oben hin weit offen. Medienvertreter durften wie gehabt 15 Minuten lang filmen, fotografieren, beim Aufwärmen zuschauen. Aufschlüsse konnten keine gewonnen werden, auch das gehört zur EM-Routine. Die meisten hatten zuletzt am Dienstag, kurz vor 20 Uhr, einen Ball getreten. Da wurde das Niederlande-Match im Olympiastadion abgepfiffen. Und bejubelt.

Phillipp Mwene, Leopold Querfeld, Philipp Lienhart und Gernot Trauner konnten am Freitag den Drang, die Rückkehr zum Ball, nicht ausleben. Mwene ist leicht verkühlt, Querfeld hat eine Wunde über dem linken Knie, bei Lienhart wurde die Belastung gesteuert. Das Trio wird für das Achtelfinale am 2. Juli in Leipzig gegen die Türkei bereit sein, bei Trauner (Muskelverletzung) dürfte es sich nicht ausgehen.

Florian Grillitsch hat noch in jedem Spiel bei der EM begonnen. Er hat vor allem gegen Polen und die Niederlande die Chancen genutzt, die Ralf Rangnick ihm gab.
AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Stark wie Real

Der türkische Teamchef Vincenzo Montella, Italiener seit 50 Jahren, hat gehörigen Respekt vor Österreich. Angst wäre übertrieben, aber das 1:6 Ende März im Happel-Stadion war ein Schock. "Sie haben so gute Automatismen, sind so gut eingespielt, dass Österreich aussieht wie ein Verein und keine Nationalmannschaft." Rangnicks Team ist für Montella: Real Österreich oder Österreich City, Bayern Österreich wäre fast eine Beleidigung. Für Unbedarfte: Gemeint sind die Klubs Real Madrid, Manchester City und Bayern München. Erschwerend für die Türkei kommt hinzu, dass sie auf Hakan Calhanoglu und Verteidiger Samet Akaydin verzichten muss. Beide sind gelbgesperrt. Calhanoglu ist (wäre) das Um und Auf im türkischen Team.

Der engagierten Kommunikationsabteilung des Fußballbundes ÖFB geht aufgrund der Dauer des Aufenthalts langsam das Personal aus. Fast jeder Spieler ist schon zu einem Medientermin erschienen, irgendwann muss es Wiederholungen geben. Am Freitag waren Florian Grillitsch und Andreas Weimann an der Reihe. Marco Grüll, Matthias Seidl, Niklas Hedl und Max Entrup wären noch zu haben. Bei allem Respekt, aber dieses Quartett hätte recht wenig mitzuteilen.

Der 28-jährige Grillitsch gehörte dreimal der Startelf an, er profitierte von Xaver Schlagers Kreuzbandriss, erhielt den freien Platz im zentralen Mittelfeld neben Nicolas Seiwald. Schlagers Pech war sein Glück, das er genützt hat. Er lässt sich vom 6:1 nicht blenden: "Da ist alles für uns gelaufen." Calhanoglus Fehlen sei logischerweise kein Nachteil. "Er ist die Seele, der Kapitän, der Taktgeber. Aber wir schauen auf uns, werden bereit sein. Es geht in Leipzig um alles." Grillitsch sagte noch: "Mein Energielevel ist hoch". Stürmer Weimann ergänzte: "Meiner ist höher, ich habe erst drei Minuten gespielt."

Am Samstag wird Rangnick 66 Jahre alt. Er wird von Mannschaft und Betreuerstab überrascht werden, vielleicht bekommt er zur obligatorischen Torte einen Golfschläger, der von selbst puttet. Der selige Udo Jürgens sang einst: "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an."

Für Rangnick fängt die EM am 2. Juli in Leipzig neu an. Am Samstag, Sonntag und am Montag wird trainiert. Wo? Auf dem Wurfplatz. (Christian Hackl aus Berlin, 28.6.2024)