Knapp fünf Kilo an Knabbergebäck isst ein Österreicher im Schnitt im Jahr. Er selbst vertilge locker 15 bis 20 Kilo, sagt Markus Marek und beißt genüsslich in einen Pom-Bären, dessen neue Textur noch ein Betriebsgeheimnis ist. Wie er die tägliche Kalorienbombe ohne viel Sport in Energie verwandle? Indem er im Garten arbeite und mit Nachbars Hund spazieren gehe.

Markus Marek zwischen Polstern statt Packerln: "Wir reden von Knabbergebäck, nicht von Tofu."
Florian Sulzer

STANDARD: Was lässt die Österreicher öfter ins Chipspackerl greifen: Tore, die sie bei der Fußball-EM schießen, oder Tore, die sie kassieren?

Marek: Wichtig ist die Euphorie.

STANDARD: Sind Fußball-Großereignisse wie das Achtelfinale für Kelly Weihnachten und Ostern zugleich?

Marek: Es ist wie Weihnachten und Silvester. Geknabbert und geknistert wird vor allem dann, wenn viele Leute zusammenkommen.

STANDARD: Steigert das Ihren Umsatz gleich einmal um ein Drittel?

Marek: Damit sind Sie gut dabei.

STANDARD: Sie produzieren Impulsprodukte. Die einen essen sie, um sich zu belohnen, die anderen aus Frust.

Marek: Ob aus Frust oder aus Belohnung: Man weiß bei uns, was man isst. Und wir produzieren alles regional in Wien und der Steiermark.

STANDARD: Corona machte viele Menschen zu Coachpotatoes. Wie lange zehrte Kelly vom Heißhunger auf Knabbergebäck während der Krise?

Marek: Als alle daheim im Homeoffice saßen und sich mit Soletti bevorrateten, sorgte das natürlich für einen Peak. Der Markt für Knabbergebäck wächst aber seit Jahren stetig und nicht erst seit Corona. Innovationen sind wichtige Impulsgeber. Wir sind auch fast die Einzigen, die dafür Werbung machen.

STANDARD: Herzstück Ihrer Chips-Produktion ist die Fritteuse. 700 Liter Öl fließen stündlich durch ihre Trommel. Preise für Gas und Öl sind infolge der Pandemie und des Ukrainekrieges explodiert. Wo hat Kelly gespart, um die höheren Kosten zu bewältigen?

Marek: Es gab interne Maßnahmen. Auf der anderen Seite mussten wir die höheren Kosten weitergeben. Es verteuerte sich ja nicht nur das Erdgas für die Fritteuse. Warum zog der Preis für Europaletten etwa binnen kurzer Zeit von neun auf 23 Euro an? Unsere Kosten stiegen schneller, als wir die Preise erhöhen konnten.

STANDARD: Werden Ihre Snacks wieder günstiger?

Marek: Die Preise für Kartoffeln und Fracht werden jedes Jahr höher. Wir erzeugen einen Teil unseres Stroms selber. Wenn wir versuchen, CO2 zu verringern, werden auf der anderen Seite automatisch die Preise steigen.

STANDARD: Reagieren Konsumenten bei Genussmitteln wie Chips, Soletti und Snips weniger sensibel auf gesalzene Preise als bei Grundnahrungsmitteln?

Marek: Knabbergebäck hat einen Aktionsanteil von mehr als 60 Prozent. Eigenmarken des Handels waren in den vergangenen Jahren die großen Gewinner der Teuerung.

Markus Marek gibt nicht viel aufErnährungsexperten. "Mir wäre eine verpflichtende Turnstunde in der Schule lieber."
Florian Sulzer

STANDARD: Gleicher Preis, idente Verpackung, aber weniger Inhalt: Verstehen Sie den Ärger vieler Kunden über versteckte Preiserhöhungen?

Marek: Wir gingen bei Soletti aus Effizienzgründen von 250 auf 230 Gramm herunter. Das war vor drei Jahren, das darf man nicht immer wieder aufkochen. Damals wussten wir nicht, ob wir übermorgen noch Mehl kriegen oder nicht. Wir loben das jedoch auf der Verpackung aus und haben dadurch zig Tonnen Verpackungsmaterial eingespart. Auch die Chipspackerl wurden damals im Vergleich zu vor fünf Jahren kleiner.

STANDARD: Kelly hat zuletzt Verluste verbucht. Wie viel davon ist einer internen Systemumstellung geschuldet, die für Lieferunterbrechungen sorgte?

Marek: Es lag an mehreren Faktoren. Es war zum einen die Systemumstellung, vor allem aber auch die Preiserhöhung, die wir viel zu spät weitergegeben haben. 2023 sah es aber wieder ganz gut aus. Heuer setzen wir diesen Weg fort.

STANDARD: Kelly macht in Österreich 90 Prozent des Geschäfts mit drei Handelsketten. Können Sie es sich leisten, bei einer aus dem Regal zu fliegen?

Marek: Schwierig. Aber ich bin auch für die Schweiz und für Slowenien zuständig. Ich sehe dort keine großen Unterschiede zu Österreich. Die Konzentration wird sich weiter verfestigen. Die Großen werden überall größer. Als ich vor 31 Jahren im Handel begann, gab es noch einen Konsum, einen Meinl und Pampam. Ich war im Einkauf und im Vertrieb. Ich kenne beide Seiten. Irgendwie muss man versuchen, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

STANDARD: Markenhersteller weichen Eigenmarken des Handels, die auch Kelly erzeugt. Ein Balanceakt?

Marek: Wir stehen zu Handelsmarken und haben früher noch mehr davon produziert. Überall wo Österreich draufsteht, sind wir drin.

STANDARD: Sind die Rezepturen und Rohstoffe für Handelslabels andere?

Marek: Das verrate ich nicht. Aber die Unterschiede sind gravierend.

Markus Marek über über die Marktmacht des Handels: "Ich kenne beide Seiten. Irgendwie muss man versuchen, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen."
Florian Sulzer

STANDARD: Ihre Konkurrenten sind Lorenz, Kellogg und Pepsico. Lässt der Markt noch Platz für junge Start-ups?

Marek: Start-ups sind eine tolle Sache. Es braucht aber Mindestauflagen eines Produkts. Wir investieren gerade in Feldbach in eine Maschine plus ein bisserl Zubehör 20 Millionen Euro. Das muss man dann halt auch wieder hereinbringen.

STANDARD: Rund ein Drittel Ihrer Produktion geht in den Export. Warum hat sich Kelly aus einigen Exportländern zurückgezogen?

Marek: Wir konzentrieren uns auf den Heimmarkt und sind mit unseren drei Ländern gut ausgelastet.

STANDARD: Ein Österreicher isst im Schnitt jährlich gut 4,7 Kilo Knabbergebäck. Studien zufolge haben Chips mit Drogen wie Nikotin mehr gemein als mit Lebensmitteln. Ärgert Sie das?

Marek: Dann essen Sie halt keine Chips. In einem Packerl sind rund 70 Prozent österreichische Erdäpfel, 30 Prozent feinstes Sonnenblumenöl und ein bisserl österreichisches Salz – was soll daran schlimm sein? Diese Studien sind wie Meinungsumfragen. Man kann sie so oder so lesen. Die Ernährungswissenschaft wird nicht empfehlen, Chips in der Früh, mittags und abends zu essen.

STANDARD: Wer einen Chip kostet, widersteht nur schwer dem Rest der Verpackung. Es ist die Mischung aus Fett und Kohlenhydraten, die uns süchtig macht. Rechtfertigt das nicht ein Werbeverbot für ungesundes Essen?

Marek: Wir machen keine Werbung für Kinder, wir gehen in keine Schulen und in keine Kindergärten. Wer sich näher mit dem Nutri-Score beschäftigt, fragt sich, warum er etwas Natürliches als schlechter kennzeichnet als etwas Künstliches. Wir haben als einer der wenigen in der Branche kein Glutamat in unseren Produkten. Wir reduzieren Salz, wir verarbeiten nur natürliche Stoffe ...

STANDARD: ... die natürlich hochverarbeitet sind, wie Experten warnen.

Marek: Gott sei Dank gibt es neun Millionen Österreicher, die keine Ernährungsexperten sind, die gut leben, nicht dick sind und Sport machen. Mir wäre eine verpflichtende Turnstunde in der Schule lieber.

STANDARD: Zwingen Steuern auf Fett und Zucker die Industrie dazu, ihre Rezepturen zu ändern?

Marek: Wir machen das laufend.

STANDARD: Beschwerden sich Kunden, wenn’s anders schmeckt?

Marek: Der Laie merkt es nicht. Es muss aber nach was schmecken. Wir reden immer noch von Salzgebäck, nicht von Tofu.

Markus Marek über Bio: "Dafür gibt es Spezialisten. Wir schreiben uns Regionalität auf die Fahnen. Die Frage ist, was einem wichtiger ist."
Florian Sulzer

STANDARD: Sie sind der zweitgrößte industrielle Kartoffelabnehmer Österreichs. Wie stark verändert der Klimawandel den Erdäpfelanbau?

Marek: Wir haben mehr als 90 Vertragsbauern. Sie laden bei uns ab, wenige Stunden später werden die Erdäpfel gewaschen, geschält. Spätestens nach zwei Tagen ist die Ware beim Kunden. Klar ist, dass sich Sorten und Anbaugebiete verändern. Früher kamen die besten Erdäpfel aus dem Waldviertel. Heute braucht man dort dafür teils schon Beregnungen. Glaskugel haben wir keine.

STANDARD: Wurden Erdäpfel auf Druck der Industrie in Regionen wie dem Seewinkel angebaut, die sich dafür schlichtweg nicht eignen?

Marek: Hat Soja dort was verloren? Die meisten unserer Bauern kommen von hier bis Mistelbach.

STANDARD: Was muss die ideale Chips-Kartoffel können?

Marek: Jede ist anders, man stellt es sich manchmal einfacher vor, als es ist. Das Ganze ist hochwissenschaftlich. Unsere Kartoffel-Manager sind dafür das ganze Jahr über auf dem Feld. Schwankungen in der Qualität gibt es immer. Zu viel Regen, zu wenig Regen, Insekten, andere Böden. Jede Charge wird auf unterschiedliche Kriterien hin untersucht.

STANDARD: Der nachhaltigere Anbau von Kartoffeln wäre ein wichtiger Hebel für mehr Klimaschutz. Warum ist Bio für Kelly kein Thema?

Marek: Wir haben eine Linie. Vor jeder Bioproduktion braucht es eine Abnahme und eine komplette Reinigung. Unsere Produkte sind 20 Wochen haltbar. Was machen wir mit dem Öl? Wir bräuchten eine komplette zweite Linie. Für Bio gibt es Spezialisten. Wir schreiben uns Regionalität auf die Fahnen. Die Frage ist, was einem wichtiger ist.

STANDARD: Kelly brachte heuer auf Wunsch der Kunden Essiggurkerl-Snips auf den Markt. Was wurde aus Chips, die nach Spiegelei schmeckten?

Marek: Wir lassen die Österreicher einmal im Jahr wählen. Dann kommen 200.000 bis 300.000 Packerl als Sonderedition raus. Nach einem halben Jahr beurteilen wir, wie sie performt hat.

STANDARD: Sie haben heuer vergeblich für Schwammerl gevotet.

Marek: Ich bin ein Schwammerlfan. Aber ich konnte mich gegen 49.000 andere nicht durchsetzen.

STANDARD: Wie viele Innovationen mussten Sie schon zu Grabe tragen?

Marek: Manches verliert an Attraktivität, und man tauscht es gegen anderes ab. Wir hatten einmal die Geschmacksrichtung Pizza Margherita. Jeder liebt Jesolo, Bibione. Aber daraus wurde nichts. Die Österreicher sind halt eher konservativ und probieren nicht gern was Neues aus. (Verena Kainrath, 30.6.2024)