Die Ökonomen stehen vor einem Rätsel. Die heimischen Konsumenten üben sich in Kaufzurückhaltung, und keiner kann genau sagen, woran das liegt. Die Zahlen sind spektakulär. Von Jänner bis Mai wurden in Österreich 104.000 Pkws neu zugelassen. Das sind um 40.000 weniger als im selben Zeitraum 2019, also vor der Inflations- und Corona-Krise. Nicht nur Autos bleiben im Schauraum. Auch der Möbel- und Elektronikabsatz schwächelt, wie die neuen Zahlen des Forschungsinstituts Wifo zeigen, das vergangene Woche seine Wachstumsprognose für die Jahre 2024 und 2025 vorgelegt hat.

Aus den Zahlen geht hervor, dass die heimischen Verbraucher heuer nominell um fast fast zwei Milliarden Euro weniger für Autos, Kühlschränke und andere langlebige Güter ausgeben werden als noch im Dezember erwartet. Das allein wäre noch nicht das große Drama, wenn es in der restlichen Wirtschaft rundlaufen würde. Doch genau das tut es nicht. Seit Mitte 2022 sinkt die heimische Wirtschaftsleistung tendenziell, einmal abgesehen von kurzen Unterbrechungen. Im vergangenen Jahr war Österreich in der Rezession, heuer sieht es nach Nullwachstum aus.

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Das Land kommt und kommt nicht aus der Schwächephase. Die Gründe sind vielfältig: Die hohen Zinsen haben die Bauwirtschaft in eine Krise gestürzt, die Zahl der Neubaubewilligungen ist am tiefsten Stand seit den 1970er-Jahren. Die international Schwache Nachfrage führt dazu, dass die Industrie mit einer Auftragsschwäche kämpft. Der Tourismus entwickelt sich zwar gut, das reicht aber nicht aus, um die Kennzahlen ins Plus zu drehen. Blieben die Konsumentinnen und Konsumenten. Doch die wollen nicht.

Aber warum eigentlich nicht? Die Durststrecke bei den Einkommen ist zu Ende: Das real verfügbare Haushaltseinkommen ist wegen der hohen Inflation im vergangenen Jahr zwar gesunken. Inzwischen steigen die Einkommen aber wieder. Zwar nicht in allen Gruppen, vor allem die Einkünfte der Selbstständigen sind noch deutlich unter dem Niveau von 2019. Aber die meisten Beschäftigten haben wieder mehr im Börsel. Und die Arbeitslosigkeit ist im Vergleich zu den Werten aus den vergangenen 15 Jahren immer noch moderat. Die Beschäftigung steht sogar auf einem Allzeithoch.

Die Bereitschaft der Menschen, in dauerhafte Konsumgüter zu investieren, verharrt seit gut eineinhalb Jahren auf einem Allzeittief, sagt der Wifo-Ökonom Christian Glocker. Dazu beitragen dürfte eine ausgeprägte Angst vor einem Arbeitsplatzverlust. Aktuell fürchtet ein ähnlich großer Anteil der Leute um den eigenen Job wie im Jahr 2015. Bloß war damals die Lage eine völlig andere: Damals kamen 14 Jobsuchende auf eine offene Stelle. Heute sind es drei. Die Verunsicherung ist also größer, als es angebracht erscheint.

Der Kanzler verunsichert die Konsumenten

Woher kommt das? Ökonomen haben vor allem psychologische Erklärungsansätze parat. Einer lautet, dass die Menschen den "Inflationsschock" der vergangenen zwei Jahr noch nicht richtig verdaut haben. Die Löhne steigen nun zwar wieder, aber das dürfte bei vielen Menschen noch nicht richtig angekommen sein nach der langen Phase, in der nur die Preise gestiegen waren. "Menschen überschätzen die Inflation und unterschätzen ihr Einkommen"; sagt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria. Das ist nicht die einzige Erklärung: Wifo-Chef Felbermayr spricht davon, dass die Politik zu der Unsicherheit beiträgt.

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Er nennt als Beispiel die Debatten über das Verbrenner-Aus. Die Leute seien unschlüssig, auf welche Technologie sie nun setzen sollen. Die vielen Autogipfel von Karl Nehammer (ÖVP) gegen das Verbrenner-Aus könnten also sogar zur Absatzschwäche am Automarkt beigetragen haben.

Was sicher ist: Der reichere Teil der Bevölkerung, die oberen 30 bis 50 Prozent, sparen derzeit deutlich mehr weg als in den vergangenen zehn Jahren. Aktuell legen Haushalte von 100 Euro an Einkommen rund zehn Euro weg. In den Jahren zwischen 2010 und 2019 waren es bloß etwas mehr als sieben Euro gewesen. Das zeigt wohl auch, dass die üppigen, oft per Gießkanne ausgeteilten Staatshilfen der vergangenen Jahre bei Wohlhabenderen tendenziell am Sparbuch gelandet sind.

Verunsichert sind allerdings nicht nur Haushalte, sondern auch Unternehmen. Befragungen zeigen, dass heimische Industriebetriebe ihre eigene Position im internationalen Wettbewerb so negativ einschätzen, wie das Betriebe in keinem anderen EU-Land tun. Solche Werte sind immer mit Vorsicht zu genießen, ist die Stimmung einmal schlecht, neigen Managementetagen zu kollektiven Untergangsszenarien. Aber es gibt auch Gründe, sich zu sorgen.

Wo bleiben die Vorschläge der Parteien?

Weil die Inflation in Österreich höher war als in den meisten anderen Euroländern, sind die Löhne zeitverzögert stärker gestiegen. In Österreich um 23 Prozent seit 2019, in Deutschland um 15 Prozent. Gut möglich, dass heimische Betriebe deshalb im Ausland Marktanteilen verlieren werden. Die Verunsicherung ist wohl mit ein Grund, dass die Unternehmen wenig investieren. Verunsicherte Konsumenten und Unternehmen, ein schwacher Bausektor, eine schwächelnde Industrie. In einem für ihn ungewöhnlich alarmistischen Ton sprach Wifo-Chef Gabriel Felbermayr diese Woche von "sechs verlorenen Jahren", weil die heimische Wirtschaftsleistung pro Kopf aktuell unter dem Wert von 2019 liegt. Angesichts dieser Aussagen ist es bemerkenswert, wie wenig von der Politik kam. Eilig einberufene Pressekonferenzen, in der die wahlwerbenden Parteien Konzepte für mehr Wachstum vorlegen? Fehlanzeige.

Warum ist die Konsumlaune so schlecht? Ökonomen rätseln.
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Dabei könnte sich die Situation bald zusätzlich verkomplizieren. Seit Ende April gelten wieder strenge EU-Regeln fürs Schuldenmachen. Österreich schafft aktuell kein Wachstum, der Staat gibt aber viel Geld aus. Nach dem Fiskalrat kritisiert das nun auch der Rechnungshof. Gut möglich, dass die kommende Regierung bald nach Amtsantritt ein Sparpaket wird vorlegen müssen. Gut möglich, dass bis zum Herbst die Wirtschaftslage besser wird: Die globale Nachfrage könnte anziehen, wofür es Anzeichen gibt. Das würde der Industrie helfen. Ewig werden sich auch die heimischen Verbraucher nicht in Kaufzurückhaltung üben. Geld wäre ja da. Aber was, wenn sich die Anzeichen dafür verdichten, dass die Schwächephase auch ein drittes Jahr andauert? Im Wahlkampf wird es gut sein, genau hinzusehen, wer darauf welche Antworten liefert. (András Szigetvari, 1.7.2024)