Im April hat SPÖ-Chef Andreas Babler sein rotes Programm im Rahmen einer Rede präsentiert. Jetzt will er nachlegen.
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Der Countdown für die Wahl steht bei T minus drei Monate – und in der SPÖ laufen die Vorbereitungen auf den 29. September auf Hochtouren. Für die Sozialdemokraten geht es um alles oder nichts. Viele in der Partei gehen davon aus, dass eine rote Regierungsbeteiligung greifbar sein wird nach der Wahl – nach sieben bitteren Jahren in der Opposition. Das Team von SPÖ-Chef Andreas Babler hat nun ein neues Konzeptpapier zusammengestellt, das dem STANDARD vorliegt: Österreich soll damit "demokratisiert" werden.

Skizziert werden sieben Forderungen, durch die das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat wieder wachsen könne. "Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen", schreibt Babler in einer kurzen Einleitung. Die Demokratie sei in Gefahr – und dagegen müsse die Politik aktiv vorgehen. "Wir wollen neue Formate der politischen Partizipation und Mitgestaltung schaffen", erklärt Babler. Diese neuen Forderungen sollen nach seinen "24 Ideen für Österreich" den Katalog erweitern, mit dem er in Regierungsverhandlungen gehen wolle. Zum Teil – so steht es in dem Papier – würden die Vorhaben "im ersten Jahr" umgesetzt, sollte die SPÖ Teil einer Koalition sein.

Konkret geht um Bürgerbeteiligung durch "Bürger*innenräte", ein Bürgerbudget, Ideen für transparentere Regierungsarbeit und eine Reform der Entscheidungsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Vermarktet werden die Vorschläge als Konzepte für eine "Mitmach-Republik".

Am Samstag veranstaltet die SPÖ einen Kongress zum Thema Bürgerpartizipation. Am späten Nachmittag wird Babler eine Rede halten, in der er seine neuen Forderungen vorstellt. Es soll der Startschuss in den Intensivwahlkampf der Sozialdemokraten werden; im Sommer will Babler durchs Land touren. Ein Überblick über seine neuen Forderungen:

1. "Bürger*innenräte" sprechen bei Gesetzeswerdung mit

Geht es nach der SPÖ, sollen nach der Wahl "Bürger*innenräte" etabliert werden. Die Idee ist, dass sich diese Räte aus "zufällig ausgewählten" Bürgern zusammensetzen, die "repräsentativ für die Bevölkerung sind". Bei großen Gesetzesvorhaben und politischen Projekten mit "weitreichenden Folgen für das Leben der Menschen" sollen diese Gruppen gemeinsam Lösungen erarbeiten, ist dem Konzeptpapier zu entnehmen.

Bindend sollen die Vorschläge der Räte jedoch offenbar nicht sein. Viel mehr würden deren Ergebnisse im Rahmen eines Gesetzgebungsprozesses als "wesentliche Stellungnahme" eingebracht und dann in den zuständigen parlamentarischen Ausschüssen diskutiert, heißt es. Auch bei "ausgesuchten städtebaulichen Projekten und Infrastrukturvorhaben" sollen Bürgerinnen und Bürger in die Planung einbezogen werden, so die Idee.

2. Neuauflage des "Österreich-Konvents"

In den Jahren zwischen 2003 und 2005 erarbeitete der "Österreich-Konvent" – unter dem Vorsitz des Juristen Franz Fiedler – Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform. Eine zentrale Idee war, eine neue Verfassung zu schaffen und für eine bessere Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern zu sorgen. Der größte Teil der Empfehlungen wurde allerdings nie umgesetzt. Gelungen ist – im Jahr 2014 – immerhin die empfohlene Einführung der neuen Verwaltungsgerichte.

Die SPÖ strebt nun eine Neuauflage dieses "Österreich-Konvents" an – in erweiterter Zusammensetzung. Nicht nur Expertinnen und Experten sollen die Strukturen der Republik neu denken und ordnen, sondern auch Bürgerräte an dem Prozess beteiligt sein, um Perspektiven aus Sicht der Bevölkerung einzubringen.

3. Bürgerbudget zur Gestaltung der eigenen Umgebung

Bereits "im ersten Jahr" einer möglichen Regierungsbeteiligung möchte die SPÖ ein "Bürger*innenbudget" einführen. Konkret ausgeführt wird der Vorstoß in dem Konzeptpapier nicht. Nur so viel: "Damit stellen wir sicher, dass sich die Bevölkerung aktiv in die Gestaltung ihrer Umgebung einbringen kann." Geplant seien dafür auch Schulungen für Bürgerinnen und Bürger, um "Fähigkeiten zur politischen Partizipation" zu erwerben. Bezahlt werden könnten Projekte "beispielsweise" über Fördertöpfe im Bundeskanzleramt, heißt es weiter.

Ein ähnliches Projekt wurde in der SPÖ-geführten Stadt Wien vor ein paar Jahren gestartet: In sogenannten Klimateams können dort Bürgerinnen und Bürger selbst über ein gewisses Budget verfügen, um Maßnahmen zum Klimaschutz in ihrem Grätzel umzusetzen. Das Projekt findet Anklang in der Bevölkerung, die Auswahl der Maßnahmen war jedoch auch als intransparent kritisiert worden. Dieser Punkt wurde später nachgebessert.

4. Öffentliche Hearings für wichtige politische Posten

Ziel der SPÖ sei eine "transparente und rechenschaftspflichtige Regierung". Deshalb müssten Entscheidungen und Prozesse nachvollziehbar sein. Eine Forderung sei deshalb, dass Bewerberinnen und Bewerber für politische Spitzenposten öffentlich angehört werden. Als Beispiel wird die Bestellung von EU-Kommissaren angeführt, für die es ein öffentliches Hearing geben müsse. Solche Hearings, wird erklärt, sollten zuerst als Livestream und danach als Video-on-Demand für jeden abrufbar sein.

5. Veröffentlichung der Protokolle von Regierungsbeschlüssen

Jedes Unternehmen müsse Beschlüsse des Vorstands protokollieren und veröffentlichen, heißt es in dem SPÖ-Papier – die Regierung hingegen mache das nicht. Und das wolle die SPÖ ändern.

Zumeist trifft sich die Bundesregierung ein Mal pro Woche am Mittwoch für einen Ministerrat. Dort wird unter anderem festgelegt, welche Vorhaben die Regierung dem Nationalrat weitergeben möchte – und in der Regel werden diese Vorhaben später im Parlament von den Regierungsparteien mit gemeinsamer Mehrheit beschlossen.

Derzeit ist es so, dass zwar Ministerratsbeschlüsse veröffentlicht werden, die Protokolle der Sitzungen jedoch nicht. Bis in die frühen 2000er-Jahre war das noch anders – es wurden auch die Protokolle zur Verfügung gestellt. Dann wurde die Praxis geändert. Babler möchte nun, dass Beschlüsse im Ministerrat protokolliert und wieder veröffentlicht werden – allerdings nur "sofern möglich", wie festgehalten wird.

6. "Umfassende Reform" der ORF-Gremien

"Die Unabhängigkeit des ORF ist unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen mangelhaft", heißt es in dem roten Papier. Deshalb sei eine "umfassende Reform der ORF-Gremien" notwendig. Ziel sei es, den Einfluss von Bundeskanzler und Bundesregierung zu reduzieren, den Publikumsrat des ORF aufzuwerten und den Stiftungsrat zu einem "operativ arbeitsfähigen Aufsichtsorgan" zu machen. Darüber hinaus fordert die SPÖ die Wiedereinführung von geheimen Wahlen sowie "qualifizierten Mehrheiten" bei der Wahl des Generaldirektors sowie "transparente Personalentscheidungen" und "Hearings bei der Personalwahl". Konkreter ist das Konzept an dieser Stelle nicht. Der ORF wird als "zentral für die öffentliche Meinungsbildung" bezeichnet.

7. Förderung der Medienbildung in Zeiten von KI

Babler möchte darüber hinaus die Medienkompetenz in der Bevölkerung fördern. Dafür brauche es eine "umfassende Strategie" sowie eine "angemessene Finanzierung", heißt es in dem Papier etwas schwammig. Das neue Pflichtfach Digitale Grundbildung in Schulen müsse sich "noch stärker der Medienbildung widmen", meinen die Sozialdemokraten. Auch für Erwachsene soll es Kursangebote geben, wird gefordert. Denn: "Durch die rasante Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz gewinnt dieses Thema nochmals an Dringlichkeit."

Außerdem werden in dem Konzeptpapier ein paar altbekannte Forderungen wiederholt: Eine "Millionärssteuer" betrachtet die SPÖ in diesem Zusammenhang als "Grundlage fürs Mitmachen". Auch Bablers Vorstoß, dass alle zwischen 16 und 30 Jahren um bis zu 150 Euro pro Jahr ein Abo bei einem Medium der eigenen Wahl abschließen können sollten, wird noch einmal vorgebracht. Die neuen Ideen seien im Rahmen des von Babler vor einigen Monaten einberufenen roten "Expert*innenrats" entwickelt worden, heißt es seitens der SPÖ.

Neues Statut als Problem für Bablers Kritiker

Von Beginn an war Babler mit dem Versprechen angetreten, die SPÖ zur "Mitmach-Partei" zu machen. In einem zentralen Punkt ist ihm das bereits gelungen: SPÖ-Vorsitzende werden künftig immer durch eine Befragung aller Parteimitglieder gewählt – und nicht mehr bloß durch die höchsten Gremien. Entsprechend wurde das rote Statut abgeändert.

Aus Sicht von Bablers parteiinternen Kritikern ist das ein Problem: Er lässt sich nicht schnell und unauffällig abmontieren – entscheiden müsste darüber die gesamte Basis. (Katharina Mittelstaedt, 28.6.2024)