Ein Frau sitzt auf einem Sofa und isst eine Salamipizza.
Der entspannte Umgang mit Essen wird zwar gern inszeniert, viel dahinter ist allerdings nicht.
Getty Images/iStockphoto

Zahlen und Einschätzungen von Expert:innen zeigen, dass Essstörungen stark zunehmen. Vor allem bei Mädchen und Frauen, doch auch bei Burschen und Männern nehmen Bulimie, Binge-Eating-Disorder und Anorexie zu. Letztere ist jene psychische Erkrankung, die die höchste Todesrate aufweist – und sie betrifft vor allem jüngere Frauen und Mädchen.

Wie kann das sein? Nachdem seit weit über zehn Jahren immer mehr Werbesujets mit unterschiedlichen und vor allem mit dickeren Körpern zu sehen sind? Oder Bewegungen wie Body-Posititiy bis Body-Neutrality für erhöhte Aufmerksamkeit sorgen, um gegen den Körperhass von Frauen anzukommen? Auch auf zahllosen Instagram- oder Tiktok-Accounts stellen Frauen ihre Körper selbstbewusst zur Schau, ohne sich an irgendein Schönheitsideal anzupassen. Manchmal scheint es fast so, als wären wir auf einem guten Weg hin zu einem gelasseneren Umgang mit unseren Körpern, mit Essen, mit Bewegung. Das wäre schon mal viel, denn mal ehrlich: Wie viele Frauen kennen Sie in Ihrem Umfeld, die ihrem Essverhalten und ihrem Körper gelassen bis gleichgültig gegenüberstehen? Eben.

Doch es gibt Gegenströmungen, die offenbar stärker sind. Zu denen gehört etwa die Erzählung, es geht bei den ganzen Food- und Fitnessinfluencerinnen oder den Body-Positivity-Werbekampagnen auch oder vor allem um das Innere, um etwas Ganzheitliches, um Wohlbefinden, Gesundheit, um ein besseres Leben.

Diät? Wie mühsam!

Das Schlimmste ist inzwischen, dass der Umgang mit dem eigenen Körper auch den Hauch einer Unterwerfungsgeste hat. Sie wissen schon: Empowerment! Kaum gibt noch wer zu, des Hinterns wegen weniger essen zu wollen. Stattdessen heißt es, man würde auf dieses oder jenes "verzichten", denn das täte einem einfach gut oder verlängere gar das Leben, Stichwort Intervallfasten. Kurzum: Die Arbeit am Körper, die Schönheitsarbeit, darf nicht mehr als Qual gelten. Jedes noch so hart nachgeturnte Fitnessvideo, jeder noch so schwer umsetzbare Ernährungstrend, der Unzählige hungrig ins Bett schickt, wird als schier lebensverändernd bejubelnd. Der Umgang mit Essen ist noch mehr als früher zu einem Distinktionsmittel geworden. Es geht um "Inszenierung von Selbstdisziplin, Sinnsuche oder ästhetische Standards", sagt der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl in einem Bericht des STANDARD.

Da lobt man sich fast die Zeiten, in denen Frauen sich Cola-light-trinkend die Ohren über die Mühen des Abnehmens vollgejammert haben und das Ende einer unerträglichen Diät herbeisehnten. So blieb es wenigstens beim Äußeren, an der Oberfläche. Jetzt muss es Fun und Erfüllung sein, und der Körper und Essen sind wohl so wenig wurscht wie noch nie.

Der gesellschaftliche Diskurs um Gesundheit und Selbstverantwortung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert. Wir müssen verstehen, wodurch heute Essstörungen entstehen – und vor allem, wie junge Menschen davor bewahrt werden können. Denn die Lage ist ernst. (Beate Hausbichler, 1.7.2024)