Europäische Städte sind noch immer deutlich besser mit dem Flugzeug als mit der Bahn untereinander vernetzt. Zwischen 45 untersuchten europäischen Großstädten gibt es rund dreimal so viele Direktflüge wie direkte Bahnverbindungen. Dies geht aus einem aktuellen Bericht von Greenpeace hervor, der das Potenzial für neue Zugverbindungen in Europa untersucht hat.

Die Umweltschutzorganisation stellte fest, dass von 990 analysierten Strecken zwischen den Großstädten nur zwölf Prozent mit Direktzügen bedient werden. Gleichzeitig sind 69 Prozent dieser Strecken durch Direktflüge abgedeckt.

Umsteigeverbindungen kosten nicht nur mehr Zeit, sondern sind oft auch teurer und schwieriger zu buchen.
AP/Michael Probst

Wichtige Strecken fehlen

Selbst auf wichtigen und vielgenutzten Strecken wie Paris–Rom, Madrid–Paris oder London–Berlin, die zu den meistgeflogenen Kurzstrecken in Europa gehören, fehlen direkte Zugverbindungen, bemängelt die Umweltschutzorganisation. Dabei wären diese Distanzen in weniger als 10,5 Stunden mit dem Zug zurücklegbar.

Insgesamt hat Greenpeace 305 Strecken identifiziert, die in weniger als 18 Stunden bewältigbar seien. Damit würde sich die Anzahl der direkten Zugstrecken verdreifachen. In dem Bericht schlägt die Umweltorganisation etwa vor, bestehende Züge, etwa Paris–Barcelona und Barcelona–Madrid, zu verbinden, um eine umsteigefreie Verbindung zu schaffen. Andere Züge können wiederum verlängert werden – etwa der Nightjet von Wien nach Rom, der künftig nach Neapel fahren könnte.

ÖBB bemängelt fehlende Standards

Das doch das sei alles nicht so einfach, wie die ÖBB auf STANDARD-Anfrage mitteilte. "Während ein Pkw oder Lkw mit einem Fahrer und einem Führerschein vom Schwarzen Meer bis Rotterdam oder Helsinki bis Lissabon durchfahren kann, müssen auf der gleichen Strecke in jedem Land die Lokführer ausgetauscht und Sicherheitssysteme berücksichtigt werden", heißt es in der schriftlichen Antwort der ÖBB.

Denn auch Jahrzehnte nach der teilweisen Liberalisierung des EU-Bahnverkehrs die Bahnsysteme in Europa heute stark fragmentiert. Es gibt unterschiedliche Spurweiten, Stromsysteme und Sicherheitsstandards, die von anderen Staaten teils nicht anerkannt werden. Das führt vielerorts zu Doppelgleisigkeiten – was grenzüberschreitende Bahnfahren kostspielig und fehleranfällig machen. Auch lange Zulassungsprozesse für Rollmaterial seien laut ÖBB ein Hemmschuh. Die ÖBB setze sich aber aktiv für mehr europäische Harmonisierung im Bahnwesen ein.

Wien per Bahn am besten vernetzt

Wien ist ohnehin bereits heute gut vernetzt – und führt im Greenpeace-Report die Liste der am besten per Bahn erreichbaren Städte an. 17 europäische Großstädte sind von dort umstiegsfrei erreichbar. Dahinter folgen München, Berlin, Paris und Zürich. Dennoch nutzt selbst Wien als Spitzenreiter nur rund zwei Drittel seines Potenzials für Direktverbindungen aus. Am anderen Ende des Spektrums stehen Athen, Lissabon, Pristina, Sarajevo, Skopje und Tallinn, die keine direkten Zugverbindungen zu anderen europäischen Großstädten aufweisen. So wurde der internationale Zugverkehr nach Griechenland 2019 gekappt, der Bahnhof in der albanischen Hauptstadt Tirana 2013 aufgelassen.

Wien ist laut dem Greenpeace-Bericht die am besten per Bahn vernetzte Großstadt Europas – auch aufgrund der vielen Nachtzug-Verbindungen.
AFP/MICHELE TANTUSSI

Greenpeace fordert eine neue EU-Bahnstrategie, die Züge gegenüber Flügen priorisiert und direkte Zugverbindungen zwischen europäischen Städten fördert und stillgelegte Verbindungen reaktiviert. "Zugreisen sind umweltfreundlich, komfortabel und werden in der Bevölkerung immer beliebter. Doch es fehlt der politische Wille, Städteverbindungen in Europa ausreichend auszubauen", sagte Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace in Österreich. "Die Regierungen Europas müssen zusammenarbeiten und die vorhandene Infrastruktur für Direktzüge nutzen und weiter ausbauen."

Nicht nur fehlende durchgängige Verbindungen, sondern auch uneinheitliche Buchungssysteme machen Bahnreisen ins fernere Ausland oft kompliziert. Erleichterung hätte eine neue EU-Richtlinie (MDMS) bringen sollen, die Verkehrsunternehmen verpflichten sollte, ihre Daten zu teilen und multimodale Reiseplanungen in einer einzigen App zu ermöglichen. Die Pläne liegen aber bisher auf Eis. Stattdessen arbeiten einige Anbieter nun selbst an einer Softwarelösung, die grenzüberschreitendes Bahnfahren einfacher machen soll. (Philip Pramer, 2.7.2024)