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Elizabeth Strout, "Am Meer". Übersetzt von Sabine Roth. € 25,50 / 288 Seiten. Luchterhand, München 2024
Luchterhand

Schräge Zeit

Mit "Am Meer" hat Elizabeth Strout gegen jede Vernunft einen Pandemieroman geschrieben. - Eugen Freund hat in seinen Kriminalroman "Die Festplatte" Medienberichte eingeflochten.

Der Titel führte mich in die Irre. Von einem Roman mit dem Titel Am Meer hatte ich mir irgendwie etwas anderes erwartet. Eine Urlaubsbegegnung, überraschende Wendungen und insgeheim ein Wiedersehen mit Olive Kitteridge, Elizabeth Strouts sperriger Heldin. Das Cover im freundlichen Blau-Gelb, die Autorin – das reichte mir, den Klappentext las ich erst gar nicht.

Was für ein Irrtum – und was für ein Gewinn. In Am Meer verhandelt Strout die Pandemie, und das ist eigentlich unerhört. Corona ist im Kunstverarbeitungsbetrieb tabu, weil unverkäuflich.

Elizabeth Strout hat gegen jede Vernunft einen Pandemieroman geschrieben – und was für einen! Die Heldin Lucy Barton ist Strout-Leserinnen und -Lesern gut bekannt. Die Schriftstellerin verlässt mit Ex-Mann William New York und zieht nach Maine. Sie tut es nicht freiwillig, doch William besteht darauf. Wir befinden uns am Beginn des Ausbruchs, William ahnt, was kommen könnte. Und es kommt.

Geisterstädte

Lockdown, Isolation, Geisterstädte, sie hält Abstand, lehnt Besuche ab und wird abgelehnt. An der Windschutzscheibe ihres Autos findet Lucy einen Pappkarton, auf dem steht: "Haut ab, New Yorker! Verschwindet!" Sie hasst das geborgte und einigermaßen abgewohnte Haus und ihr isoliertes Leben. Sie trauert um ihren kürzlich verstorbenen Mann, sie vermisst ihre Töchter, mit denen sie nur telefoniert, nach Zweisamkeit mit dem Ex ist ihr zunächst nicht. So manches ungelöste Problem bricht auf, dazwischen sterben Menschen. Aber Lucy knüpft auch neue Beziehungen. In dem Hauseigentümer Bob findet sie einen aufmerksamen Gesprächspartner. Und in all dem darf dann trotz alledem so etwas wie Nähe und Verbundenheit entstehen.

Ich habe Am Meer am Strand gelesen und mich in Lucy praktisch andauernd gefunden und teils ungläubig gestaunt über diese unfassbar schräge Zeit, die auch viel über mich erzählt: Irre, war das wirklich so? Ja, genau so war das. Und das Allerbeste an Am Meer: Olive Kitteridge ist auch wieder dabei. (Doris Priesching)

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Eugen Freund, "Die Festplatte". € 22,– / 220 Seiten. Wieser-Verlag, Klagenfurt 2024
Wieser

Heiße Ware auf Reisen

Eugen Freund hat in seinen Kriminalroman "Die Festplatte" Medienberichte eingeflochten.

Angenommen, man hätte die letzten Jahre offline auf einer sehr einsamen Insel verbracht und bekäme den Krimi von Eugen Freund in die Hände: Es würde einem sehr absurd vorkommen, eine Geschichte über eine verschwundene Festplatte zu lesen. In Wahrheit waren es fünf: "Ein Regierungsangestellter trägt heimlich fünf Festplatten mit womöglich heiklen staatlichen Daten aus dem Amt, bringt sie unter Vortäuschung einer falschen Identität zu einem privaten Aktenvernichter und lässt sie zu Staub schreddern. Dabei unterläuft ihm ein Fehler: Er vergisst, die Rechnung zu zahlen, die Schredderfirma forscht nach und kommt ihm auf die Schliche." So fasste DER STANDARD die Vorkommnisse vom Mai 2019 zusammen.

Bei Freund heißt der Mitarbeiter aus dem Bundeskanzleramt Erich Grössling. Der hat die Festplatte über Nacht bei sich zu Hause gebunkert, weil die Firma Reisswolf schon zuhatte. Erich erliegt der Versuchung, die Festplatte zu kopieren, und will sich mit dem Journalisten Bülent Erdovan in einem abgelegenen Haus in Kärnten treffen. Aber Killer aus Montenegro waren schon dort. Nun beginnt eine Schnitzeljagd, bei der eine Frau vom MI5 mitmischt, die gerade ein Sabbatical macht und sich mit Computern auskennt. Das mag alles etwas dick aufgetragen sein, aber man ist hierzulande ja schon einiges gewohnt.

Reale Zitate

Die flatternde Fahne der Fantasie wird mithilfe von realen Zitaten aus den Medien an der Realität festgetackert. Berichte aus den Printmedien und dem ORF werden eingeflochten, und das ist alles irre genug. Ein angeklagter Bundeskanzler, die Wirecard-Affäre, die Signa-Pleite, die Petitesse falsch ausgezählter Wahlstimmen – egal, jede einzelne Meldung wäre schon eine Geschichte für sich.

Und was ist wirklich auf der Festplatte? Fortsetzung möglich. Zum Beispiel ein bissel was über Spionage? Da haben wir eine ehrwürdige Tradition. Aber wahrscheinlich überholt einen die Realität während des Schreibens. (Ingeborg Sperl)

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Layla Martínez, "Heiligenbilder und Heuschrecken". Übersetzt von Christiane Quandt. € 23,50 / 160 Seiten. Eichborn, Köln 2024.
Verlag

Feige Männer und böse Flüche

Layla Martínez’ gelungene Rachegeschichte "Heiligenbilder und Heuschrecken". - Gerald Heidegger holt in seinem Essay "Österreicher bist du erst in Jesolo" weit aus.

In diesem elenden Dorf in Mittelspanien ist alles wie immer, und es wird sich nie etwas ändern. Bis sich dann doch alles für immer ändert. Wir sind "in diesem Haus", in dem die Alte mit ihrer Enkelin wohnt, und dann wohnen darin noch die titelgebenden Heiligenbilder und Heuschrecken, die Schatten und die Toten – die, die im Haus eingemauert sind, und die, die durch die Türe ein und aus gehen. Dazu die Engel, die keine Locken und hübschen Gesichter haben, wie wir alle meinen, sondern wie Gottesanbeterinnen aussehen mit tausenden Augen und Greifzangen am Maul.

Begonnen hat es mit dem Urgroßvater, der im Dorf die Frauen zu Huren machte, sie für sich arbeiten ließ und eine von ihnen zur Frau nahm und zur Mutter machte. Sie mauerte ihn ein, als der Feigling nicht in den Krieg ziehen wollte, hinter einem Schrank, den man bis heute zur Seite schieben kann. Dann ließ sie ihn dort sterben.

Großgrundbesitzer und Elende

Seither lebt in diesem Haus die Alte, die dieses Kind war und den Leuten den bösen Fluch schicken, aber auch Zahnschmerzen heilen kann, mit ihrer Enkelin, die am Ende hinter diesem Schrank noch zwei weitere Tote erkennen wird. Denn es gibt in diesem Dorf auch noch die Jarabos, die Großgrundbesitzer, die hier alles und alle besitzen. Die Elenden schuften für sie im Weinberg und müssen sich verhöhnen lassen, nur die Alte tat das nie, sie sorgte lieber mit dem bösen Zauber dafür, dass sie die Treppe hinunterfallen und Unfälle haben.

Ihre Tochter aber gebar die Enkelin, die nun auf den Jüngsten dieser Jarabos aufpassen soll. Dieser verschwindet, und mit seinem Verschwinden beruhigt sich das Haus, verschwinden die Schatten und hören die Türen auf sich zu bewegen.

Der 37-jährigen Layla Martínez ist mit Heiligenbilder und Heuschrecken eine dynamisch erzählte Rachegeschichte gelungen, voll erfreulicher derber Ausdrücke und ungeschönter Schilderungen, in der zwei Bevölkerungsgruppen ihr Fett wegkriegen, die uns schon lange auf die Nerven gehen: "die Reichen" und "die Männer". (Manfred Rebhandl)

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Gerald Heidegger, "'Österreicher bist du erst in Jesolo'. Eine Identitätssuche". € 25,– / 186 Seiten. Bahoe Books, Wien 2024
Verlag

Sehnsuchtsblicke in den Süden

Gerald Heidegger holt in seinem Essay "Österreicher bist du erst in Jesolo" weit aus.

Lignano, Bibione, Caorle, Jesolo und als Höhepunkt ein Tagesausflug nach Venedig: Für Österreicher, die in den 60er-Jahren den Tourismus entdeckten, waren das die ersten Sehnsuchtsorte. Über den Brenner, vor allem aber durch das Kanaltal ging es mit dem eigenen Auto nach Süden, wo es aber auch häufig Enttäuschungen gab – der legendäre Lamentierhatscher Strada del Sole von Rainhard Fendrich endet bekanntlich mit der Zeile "Auf Jesolo pfeif i" (gereimt auf den näherliegenden Sehnsuchtsort Gänsehäufl).

Der Journalist Gerald Heidegger hat jetzt mit "Österreicher bist du erst in Jesolo". Eine Identitätssuche ein Buch über diesen Blick nach Süden vorgelegt, das auch am Strand unter dem Sonnenschirm gut in der Hand liegt, das man aber besser auf einem schattigen Hotelbalkon und vielleicht sogar mit Papier und Bleistift bei der Hand liest. Denn es geht nur sehr am Rand um eine Phänomenologie des Sonnensuchens.

Phantomschmerzen

Heidegger hat vielmehr einen weit ausholenden Österreich-Essay vorgelegt, der in der Zeit, in der die italienischen Länder noch "zu uns" gehörten, eine leitende Inspiration findet. Im Übergang von Joseph dem Zweiten zu Franz dem Ersten (vom 18. zum 19. Jahrhundert) findet er spannende Topoi für das Verhältnis von Aufklärung und Illusion im intellektuellen Haushalt der inzwischen kleinen Republik, die immer noch Phantomschmerzen der einstigen Weltgeltung verspürt. Mit einer enormen Vielzahl an Bezügen und spannenden Zitaten streift Heidegger einmal durch die österreichische Kultur- und Geistesgeschichte und spitzt seine Identitätsfragmente gern auch manchmal feuilletonistisch zu.

Heute ist Wien wieder eine europäische Metropole, in der 1982 die Künstlerin Margot Pilz ironisch zu erkennen gab, dass die Zeit des Tourismus eigentlich schon wieder vorbei ist: Sie ließ auf dem Karlsplatz (Caorleplatz) einen Sandstrand aufschütten. Von Gerald Heidegger können wir lernen, was wir immer schon wussten: Wer liest, reist am weitesten. (Bert Rebhandl)

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Hiroko Oyamada, "Das Loch". Übersetzt von Nora Bierich. € 23,50 / 128 Seiten. Rowohlt, Hamburg 2024
Verlag

Anatomie eines Falls

In Hiroko Oyamadas "Das Loch" hat der Umzug aufs Land fantastische Konsequenzen. - Percival Everett nimmt sich in "James" Mark Twain unter neuem Vorzeichen vor.

Manche stellen ihre Bücher gern nach Farben geordnet im Regal auf; ich habe einen anderen Vogel. Ich lese gerne saisonal. Sprich: Wenn es draußen heiß ist, greife ich gern zu Büchern, die im Sommer spielen; wenn ich schwitze, sollen es die Charaktere auch tun. Die ungewöhnlich große Hitze, die Hiroko Oyamadas Das Loch beherrscht, ist also ganz nach meinem Geschmack. Es ist nicht das einzig Ungewöhnliche am zweiten Roman der Japanerin, der im Original bereits 2014 erschienen ist und nun von Nora Bierich ins Deutsche übertragen wurde, immerhin bezieht das Buch seinen Titel daher, dass die Ich-Erzählerin Asahi in ein Loch fällt, als sie ein schwarzes, anscheinend völlig neuartiges Tier verfolgt. "Sind Sie etwas Alice im Wunderland?", wird Asahi gefragt, als sie die Geschichte ihrem Schwager, oder zumindest einem Mann, der sich als solcher ausgibt, erzählt. Aber bereits vor dem Auftauchen des Lochs baut Oyamada, die Kafka zu ihren Einflüssen zählt, eine Stimmung zwischen Unheimlichkeit und Unwohlsein auf. Dabei ist zu Beginn noch alles recht realistisch: Asahis Ehemann wird in sein Heimatdorf versetzt; das Ehepaar zieht also von der Stadt aufs Land ins Haus neben Asahis Schwiegereltern. Da keine Miete zu bezahlen ist und ihr Mann nun genug verdient, wird die Erzählerin von einem auf den anderen Tag Hausfrau.

Eigenwillige Landschaft

Die ersten Seiten von Das Loch lesen sich noch wie eine Kritik an der japanischen Überstundenkultur, an prekären Arbeitsbedingungen an gewissen weiblichen Rollenbildern – Oyamada schließt hier thematisch sicherlich auch an ihren Erstling Die Fabrik an –, sobald der Umzug aufs Land aber vollzogen ist, geht es mit den Kuriositäten los. Vom Konkreten bewegt sich die Autorin ins Symbolhafte. Die Handlung rückt in den Hintergrund und die Atmosphäre – vor allem in Form einer recht eigenwilligen Landschaft – übernimmt.

Ein Buch, das weniger wegen seines Inhalts, aber wegen des angenehm irritierenden Gefühls, das es beim Lesen hinterlässt, in Erinnerung bleibt. (Amira Ben Saoud)

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Percival Everett, "James". Übersetzt von Nikolaus Stingl. € 27,50 / 336 Seiten. Carl Hanser, München 2024
Hanser

Klassiker, subversiv erzählt

Percival Everett nimmt sich in "James" Mark Twain unter neuem Vorzeichen vor.

Mark Twains Die Abenteuer des Huckleberry Finn ist ein Klassiker. Das heißt auch, dass er alt ist, veröffentlichte wurde er 1884. Obwohl antirassistisch eingestellt, tut 140 Jahre später eine Betrachtung des Stoffes unter neuen Vorzeichen also vielleicht gut. Die leistet Percival Everett mit seinem heuer auf Englisch und Deutsch erschienenen Roman James.

Der 1956 in Georgia geborene, vielfach ausgezeichnete schwarze Autor rückt dabei den schwarzen Sklaven Jim, der Huck begleitet, mehr ins Zentrum: Huck begleitet Jim. Everett biegt dafür den Plotverlauf des Originals zurecht, lässt im ehrwürdigen Angesicht seiner Intention vieles zur Nebensache schrumpfen, erfindet dafür ein paar ganz neue Situationen: Jim blackfacet sich in einer Szene etwa, um in einer Minstrel-Gruppe aufzutreten.

Zudem gibt er Jim eine würdige Stimme, mit der dieser seine Geschichte – den vorliegenden Roman – selbst erzählen kann. Neben dieser schönen, wahren Sprache steht ein schiefer Slang, den die Sklaven ihren Herrschaften vorspielen. Denn die "Weißen erwarten, dass wir auf eine bestimmte Weise klingen, und es kann nur nützlich sein, sie nicht zu enttäuschen. (...) Wenn sie sich unterlegen fühlen, haben wir darunter zu leiden", bringt Jim seiner Tochter Lizzie bei. Man darf nie mehr wissen als ein Weißer!

Hochkomische Lektionen

Nicht nur diese Lektionen sind hochkomisch. Erst voriges Jahr wurde Everetts satirischer Roman Erasure über einen afroamerikanischen Hochschullehrer, der gezielt schwarze Klischees bedient, um als Romanautor durchzustarten, als American Fiction verfilmt. Mit ebenso subversivem, schlauem Witz einerseits und der Kenntnis von Voltaire und Montesquieu als Kämpfer für die Freiheit und Gleichheit aller Menschen verlassen Jim und Huck also das Haus von Miss Watson, treiben den Fluss hinab, geraten in Abenteuerlichkeiten. Huck ist Jim oft eine Last, doch liegt der Bursche ihm am Herzen. So hat der famos erzählte Roman alles: Gravitas, aktuelle Diskursflughöhe, Wärme. (Michael Wurmitzer)

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Alexandra Stahl, "Frauen, die beim Lachen sterben". € 24,– / 224 Seiten. Jung und Jung, Salzburg 2024
Jung und Jung

Katzenbabys und Midlifekrisen

Alexandra Stahls feministischer Pandemieroman "Frauen, die beim Lachen sterben".

Auf der griechischen Insel landet Iris nur, weil es Freundin Ela ihr, nein nicht empfohlen, sondern schlichtweg befohlen hatte. Also fliegt Iris, die nie zuvor in Griechenland war und gar nichts mit Griechenland am Hut hat, von Berlin aus dahin ("Der Flug war schlimm"). Sie will zunächst nur eine Woche bleiben, nämlich "um herauszufinden, wie es weitergeht" in ihrem über 40-jährigen Leben, und bleibt dann fast drei Monate.

Frauen, die beim Lachen sterben ist wie ein Überraschungsei: Midlifekrisen-, Freundinnen- und Pandemie-Roman gleichzeitig. Das alles ist zudem ausgesprochen feministisch und obendrein saukomisch, ein Wort, das die deutsche Autorin Alexandra Stahl ihrer schnoddrigen Berliner Bobo-Protagonistin wahrscheinlich so nie in den Mund legen würde, aber vieles andere schon, und das mit unverblümter Direktheit.

Tatsächlich zum Totlachen

Stahl schickt Iris auf die Insel und verhandelt in der unaufgeregten Stille einer touristischen Nebensaison und mit viel ironischer Distanz, aber tatsächlich zum Totlachen das verlorengegangene Leben ihrer bemerkenswerten Antiheldin, die auch langsam ahnt, dass das Leben (in Berlin), so wie es war, erst einmal vorüber ist. Mit Iris zusammen hocken wir auf dieser Insel und kommen langsam runter, während sieche Katzenbabys, "unglückselige Geschöpfe, die keiner haben wollte", den Terrassenboden vollkacken.

Stahl ist eine unglaublich begabte Beobachterin. Ohne jedes Klischee und mit viel Detailreichtum erschafft sie einen geradezu tragikomischen Kosmos und lässt die immer wieder wirren Lebensstationen dieser Iris vorüberziehen wie die tägliche Fähre am Horizont auf ihrem Weg weiter nach Athen: Ihre Arbeit mit Künstlern, die mit der Pandemie einfach endet. Eine Beziehung zu einem Mann, den sie eigentlich nie mochte, die dann zu Bruch geht. Die Freundschaft zu Katja, die ihr schmerzhaft verloren geht.

Aber klar, es taucht auch Neues auf, auch wenn es dazu ein paar drastische Maßnahmen braucht. (Mia Eidlhuber)

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Beate Maly, "Mord in der Wiener Werkstätte". € 17,– / 256 Seiten. Emons-Verlag, Köln 2024
Verlag

Künstlerinnen auf der Spur

Beate Malys Krimi "Mord in der Wiener Werkstätte" lässt die Vergangenheit lebendig werden.

Wer gern Krimis liest und Autorinnen und Autoren bevorzugt, die nicht nur schockieren, sondern auch erzählen können, steht über kurz oder lang vor einem Nachschubproblem. Vieles an der zeitgenössischen Spannungsliteratur, die in Buchhandlungen gleich beim Eingang liegt, ist uninspirierte Massenware. Davon heben sich die Werke der Wiener Autorin Beate Maly wohltuend ab. Die Vielschreiberin – seit 2008 hat sie an die 40 historische Romane und Krimis veröffentlicht – beherrscht es, Figuren mit Persönlichkeit zu schaffen, die sie vor dem Hintergrund ihrer Zeit platziert: vielfach Frauen in früheren Jahrhunderten und häufig in Wien.

Das trifft auch auf Liliane "Lili" Feigl zu, Hauptdarstellerin von Malys historischem Kriminalroman Mord in der Wiener Werkstätte: eine aufgeweckte, Mitte 20-jährige Frau aus dem verarmten Proletariat der Kaiserzeit vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Nachdem sie am Naschmarkt beim Stehlen von ein paar Bissen ertappt und im Polizeipräsidium vom jungen Kommissar Max von Krause mit Ermahnungen entlassen wurde, stolpert sie in der Neustiftgasse in die Kündigung einer Putzfrau hinein.

Atelier der Frauen

Spontan bietet sie sich als Ersatz für den Job an – und gerät auf diese Art ins Atelier der Frauen der Wiener Werkstätte. Als Tochter eines alkoholkranken Malers und Fälschers am Ratzengrund, einem Slum im heutigen Bezirk Mariahilf, hat sie Zugang zu dem damals als zweitrangig abgetanen, weil aus Frauenhand stammenden Schaffen der Künstlerinnen.

Dieses wird von zwei Morden unterbrochen. Lili gerät kurzfristig selbst in Tatverdacht und macht sich als blutige Laiin ans Ermitteln. Dabei trifft sie erneut den attraktiven Kommissar, der den Mörder zum Teil mit ihr durch adelige Salons und grindige Spelunken jagt, in denen Militärangehörige ihren Sold verspielen: eine abwechslungsreiche Handlung, die in einer etwas pastellfarben-verklärt dargestellten Vergangenheit angesiedelt ist, aber hohen Unterhaltungswert hat. (Irene Brickner)