In seinem Kommentar nach der Europawahl schreibt Gerald John, die SPÖ müsse sich der "Ausländerfrage" stellen. Ich benutze diesen Begriff hier und jetzt nur ein einziges Mal, schockstarr, analytisch, danach werfe ich ihn hinten, den Geschichtshaufen hinunter, zu anderen Fragen, die gestellt wurden und für die Lösungen gesucht wurden, ich schaue zu, wie er fällt, lese, dass Herr John ja nicht nur eine Frage gestellt haben will, nein, er möchte eigentlich, wie er schreibt, einen Plan, nicht nur als "einen versteckten Link" auf der SPÖ-Homepage präsentiert, sondern offensiv beworben, und bevor ich an Potsdam denke, wo vor kurzem gut versteckt ein Plan offensiv beworben wurde, wie die sogenannte Lösung dieser Frage aussehen könnte, da frage ich mich, wie denn so eine mögliche Antwort am Ende aussehen kann.

Männer und Frauen mit dem Rücken zu den Betrachtenden stehend
Die Debatte über Migration wird hart geführt. Sie betrifft aber immer auch Menschen.
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Der Diskurs um die Frage nach "Ausländer:innen" beginnt als politisches Thema in Österreich mit dem Wahlkampf 1990, genauer gesagt mit der versuchten Unterbringung von 800 rumänischen Asylwerbern, es waren, soweit ich das recherchieren konnte, tatsächlich nur Männer, in Kaisersteinbruch, vierzig Minuten von Traiskirchen entfernt, was zu Kundgebungen, Demonstrationen und einer Wende in der österreichischen Migrationspolitik führte und einen Begriff aufs Parkett hob, der von nun an die Wahlkämpfe der kommenden Jahre bestimmen sollte: Migration.

Diffuse Angst

Und es war, Plot-Twist, vielleicht überraschend aus heutiger Perspektive, die Sozialdemokratie, die das Thema und damit die Frage schon früh setzte, bereits im Jänner und Februar 1990 von "Strömen von Türken" und dem "Schlepperunwesen" (beides Innenminister Franz Löschnak) sprach, um die Arbeitsmärkte ("unsere Arbeiter:innen") zu schützen, vor den "Massen" die aus "dem Osten" drohten. Das mit einer diffusen Angst besetzte Thema wurde dankend von der FPÖ übernommen, die es zu ihrem Markenzeichen machte – und nicht nur das: Die SPÖ verlor im Wahlkampf im Herbst 1990 0,3 Prozentpunkte, die ÖVP 9,2 und es waren die ersten Höhenflüge der FPÖ, die 6,9 Prozentpunkte auf 16,6 Prozent zugewinnen konnte, was die internationale Presse auf sie aufmerksam machte. Und spätestens mit dem "Österreich zuerst"-Volksbegehren von 1992 war der ausländische Körper in Österreich das Diskursgebiet, auf dem man sich bis heute abarbeitet.

Wie heißt es in Thomas Bernhards Heldenplatz: Die Roten und die Schwarzen, sie spielen alles den Nazis in die Hände. In Österreich wurde es normal, innenpolitische Fragen auf dem Rücken von Menschen zu verhandeln, die darum nie gebeten haben. Verfehlte sozialpolitische Maßnahmen? "Der Ausländer" ist schuld! Fehlende Jobperspektiven? Die Migration muss geklärt werden! Ungewisse Zukunftsperspektiven? Grenzen zu! Die Ausbreitung des Coronavirus? Kommt über die Balkanroute! Was auch immer nicht funktionierte in einer liberalen Marktwirtschaft, in der natürlich zunehmend immer weniger funktionierte, weil der Neoliberalismus sich zusehends ungehemmt durch alle Bereiche fraß, wurde zu einem Problem gemacht, das irgendwie mit Migration zu tun hatte.

Es sind Ersatzdebatten

Dabei ist doch völlig klar, dass der Begriff "Ausländer:in" als solcher schon kein politisch sinnhafter, kein unschuldiger, kein neutraler Begriff ist, dass er völlig ideologisch ist. Politisch meint damit niemand bundesdeutsche Menschen, weiß gelesene Personen oder Menschen, die aus westlichen Regionen kommen. Es meint seit 1990 diffuse "Ströme" von "anders aussehenden Körpern", es schwingt immer auch eine Abwertung des Ostens mit, des Globalen Südens, des arabischen Raums, es ist ein Begriff, der einen rassifizierten, biologistischen Diskurs reproduziert. Es ist also ein markierender, kein unschuldiger Begriff, alleine deshalb sollte er im politischen Diskurs und der medialen Analyse nicht einfach zum Alltag werden, noch dazu in Verbindung mit irgendwelchen Fragen, denn erstens normalisieren der Begriff und entsprechende Fragen rechtes bis rechtsextremes Denken in der Gesellschaft und im politischen Diskurs. Zuerst schleichend, dann rasend schnell. Und zweitens und am wichtigsten: Die Menschen, ihre Mitmenschen, die damit gemeint sind, spüren das, wieder und wieder, wenn sie durch Debatten der Mehrheitsgesellschaft in ein Zentrum gerückt werden, in dem sie nie sein wollten. Dabei sind es Ersatzdebatten.

Denn anstelle dieser Frage könnte über sozialpolitische Verfehlungen und fehlende Gleichheitsansprüche in spätmodernen Demokratien gesprochen werden, stärker werdende Wohlstandseinbußen, fehlende Maßnahmen zur Umverteilung, eine fehlende Aussicht auf die Rückkehr inklusiven Wachstums, fehlende Maßnahmen am Wohnungs- und Immobilienmarkt, über den technologisch bedingten Verlust von Jobs im Dienstleistungssektor und damit einhergehende zugespitzte Konkurrenzkämpfe und negative Zukunftsaussichten – ganz zu schweigen von drohenden Umsatzeinbußen quer durch die agrarischen und touristischen Sektoren aufgrund von klimatischen Änderungen. Allesamt also Probleme, Probleme, Probleme, Fragen über Fragen, über die es lohnen würde, zu sprechen.

"Die Idee, einen Wahlkampf mit diskursiven Mitteln von rechten bis rechtsextremen Parteien zu gewinnen, wird nach hinten losgehen."

Und während bereits rechtsextreme Parolen zu Popsongs auf der Alm und auf der Insel gebrüllt werden und der vorpolitische Raum schon aufgewärmt wird mit dem Verlangen nach Lösungen auf sogenannte Fragen, würde ein Blick nach Nordeuropa genügen, um festzuhalten: Die Unfähigkeit, sozialpolitische Maßnahmen zu setzen, zu erarbeiten, zu kommunizieren, hat die EU-Wahl entschieden und nicht irgendwelche diffusen, fremdenfeindlichen Fragen, um die nie jemand gebeten hat, außer diejenigen, die damit ihren politischen Umsatz garantieren. Die Idee, einen Wahlkampf mit diskursiven Mitteln von rechten bis rechtsextremen Parteien zu gewinnen, wird nach hinten losgehen. Weil unfreiwillig in jeder Diskussion darüber ebenjene rechten bis rechtsextremen Parteien auf den Plan gerufen werden, die das Thema besetzen und zwar seit Jahren. Sie sind darin schneller, glaubwürdiger, geübter und vor allem skrupelloser und radikaler.

Und es wird dazu führen, dass das Thema nicht verschwindet, dass Xenophobie, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus normalisiert werden und die tabuisierbare Grenze dessen, was gesagt werden darf und was nicht, sich auflöst. Und das ist das erklärte Ziel der rechten Unterwanderung von politischen Diskussionen. (Thomas Köck, 29.6.2024)