Queerness Tanzquartier Wien
Dragqueen Storm knisterte zwar mit schwarzen Pailletten, bewegte aber sonst die Lippen zum Tonband: Oft steht der gute Wille fürs Werk.
Sarah Haube

Der demokratische Westen wirkt im Vergleich zu anderen Weltgegenden beinahe wie ein Paradies. "Dekadent" nennen ihn LGBT-Hasser und Demokratiezerstörer à la Putin. Weil liberale Staaten aktuell unter äußerem wie innerem Druck stehen, müssen sie stärker als bisher verteidigt werden. Nicht zuletzt zum Schutz von queeren Personen, die nur hier ihre Lebensweisen einigermaßen sicher entfalten können. Das zeigt sich bei Gelegenheiten wie der Pride im Salzkammergut oder gerade beim dreitägigen Spit-Festival im Tanzquartier Wien.

Am Donnerstag hat die fünfte Ausgabe dieser von Lisa Holzinger und Denise Kottlett kuratierten Veranstaltung begonnen. Aus künstlerischer Perspektive war’s leider kein gelungener Start. Die Dragqueen Storm trat im schillernden schwarzen Paillettenkleid vor ihr Publikum und sprach sehr kurz über ihre Vergangenheit. Anschließend bewegte sie ihre Lippen nicht besonders stimmig zu einem einzigen, vom Band gespielten Song und verschwand. Ein enttäuschender Auftritt.

Nach einer überlangen Pause folgte der zweite Act. Die Performance Maria Cencaru – A Southeast Asian Cis-Sis Reunion des aus Malaysia stammenden und in Deutschland lebenden Choreografen Raymond Liew Jin Pin ist eine Hommage an die queere Identität, wie sie sich überall präsentiert: Posing mit hübschen Kostümen und High Heels, ein bisschen Catwalk und Tanz, Musik, Gesang sowie Spielen mit dem Publikum. Akzeptabel chaotisch, teils improvisatorisch, aber das Beste war dann doch am Ende der Jubel des Publikums.

So endete der Eröffnungsabend von Spit in den viel zu engen Tanzquartier-Studios mit dem Eindruck, dass sich queere Performance allzu sehr um sich selbst dreht wie ein Karussell, das Jahr und Tag mehr oder weniger dieselbe Art von Pferdchen kreisen lässt. Bei aller Sympathie – ist da nicht noch mehr als diese enge Selbstbezogenheit drin?

Armut revisited

Kottlett beklagte in ihrem wie jedes Jahr kokett schrottigen Eingangsstatement, dass es Armut unter unseren queeren Mitmenschen gibt. Das ist wahr und ebenso traurig wie etwa die Armut von alleinstehenden Mindestpensionistinnen, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können, geschweige denn eine 24-Stunden-Pflege für derzeit rund 3000 Euro im Monat.

Das Beinahe-Paradies muss insgesamt verbessert werden. Daher könnte das junge Publikum nicht nur Theorie über "Radical Care" lesen, wie sie in der Spit-Lounge aufliegt, sondern tatsächlich aktiv werden. Zum Beispiel mit dem Einstieg in Care-Jobs, denn in Österreich bahnt sich eine handfeste Krise der Pflegeberufe an, gegen die ein "Pleasure Activism", wie er bei Spit beworben wird, wohl nur wenig nützt.

Am Freitag sind beim Festival unter anderem noch Performances wie Aaron Josi Sternbauers Bathing in Resonance oder Avantika Tibrewalas Trashed My Title und am Samstag etwa The Last Show Before We Die von Ell Potter und Mary Higgins zu sehen. (Helmut Ploebst, 28.6.2024)