Ohne Pause warfen US-Präsident Joe Biden und sein Vorgänger – und Möchtegernnachfolger – Donald Trump einander in der Nacht auf Freitag (MESZ) Unfreundlichkeiten an den Kopf. Während sich am Tag danach halb Amerika in seiner Sorge über Bidens hohes Alter und seine Vergesslichkeit bestätigt fühlt, geht fast unter, dass sich Trump in seinen Argumenten selbst für seine Verhältnisse überdimensional häufig Halbwahrheiten bedient hat – oder schlicht gelogen hat.

DER STANDARD hat einige von Trumps Aussagen einem Faktencheck unterzogen.

Thema Migration

Die Lage an der US-Südgrenze ist seit Jahren hitziges Debattenthema in Washington, Trump sollte damit eigentlich bei seinem Publikum punkten können. Trotzdem bediente er sich einer Unwahrheit: Biden habe die Grenzen vollständig geöffnet, und so seien seit 2021 "vielleicht 20 Millionen Menschen" in die USA geströmt. "Sie nehmen schwarze Jobs und sie nehmen hispanische Jobs weg", sagte Trump.

Tatsächlich gab es seit Bidens Amtsantritt der US-Grenzschutzbehörde zufolge insgesamt 9,8 Millionen Grenzübertritte, wovon wohl viele Mehrfachversuche sind. 1,3 Millionen Menschen wurden wieder zurück nach Mexiko geschickt. Trumps Behauptung, sie dürfte unwahr sein.

Trump und Biden auf dem Podium.
Joe Biden hatte den Lügen seines Kontrahenten meist wenig entgegenzuhalten.
AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLDS

Thema Abtreibung

Wie schon in der Vergangenheit erklärte Trump auch während des TV-Duells, dass sich "jeder" das Ende von "Roe v. Wade" (Gerichtsurteil, das 1973 Frauen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch einräumte) gewünscht habe. Zur Erklärung: 2022 hob der Supreme Court, der seit Trump über eine konservative Mehrheit verfügt, das historische Urteil auf, seither dürfen wieder die Bundesstaaten über die Legalität von Abtreibungen entscheiden. Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner, teils bis zu zwei Drittel, es lieber gesehen hätten, Roe v. Wade wäre in Kraft geblieben. Trumps Behauptung ist also unwahr.

Dass er darüber hinaus erklärte, die Demokraten wollten "Babys im achten oder neunten Schwangerschaftsmonat oder nach der Geburt töten", ist nicht nur unwahr, sondern eine groteske Lüge. 2021, so geht aus offiziellen Zahlen hervor, wurde weniger als ein Prozent der Abtreibungen nach der 21. Woche durchgeführt. Und Babys nach der Geburt zu töten ist Mord und wenig überraschend verboten.

The must-watch moments of the CNN Presidential Debate
CNN

Thema Wahl 2020

Wieder einmal brachte Trump auch seine Theorie in Umlauf, wonach ihm die Präsidentschaftswahl 2020 "gestohlen" worden sei. Ein Evergreen in Trumps Anhängerschaft: "Der Betrug und alles andere waren lachhaft." Dies ist unwahr. Trump hat die Wahl klar gegen Joe Biden verloren, es gab und gibt keinerlei Hinweise auf Wahlbetrug. Dass er die Legende trotzdem wiederholt anbringt, lässt ihn als schlechten Verlierer dastehen – und als Lügner.

Thema Wirtschaft

Mit Superlativen hat es Trump bekanntlich besonders. Und einer wie er, selbsternannter Selfmademan, der er ist, greift naturgemäß gerade beim Thema Wirtschaft zu solcherlei Übertreibungen: "Wir hatten die beste Volkswirtschaft der Geschichte", behauptete er. Richtig ist das trotzdem nicht.

Zwar fiel die Corona-Pandemie zu Teilen in Trumps Amtszeit, die US-Wirtschaft wuchs in den ersten drei Jahren aber langsamer als im Schnitt der acht Bill-Clinton-Jahre und der Präsidentschaft Bidens. Dass das für die Amerikanerinnen und Amerikaner so wichtige Benzin unter Trump zeitweise billiger war als jetzt, liegt aber mehr an der eingeschränkten Mobilität wegen Corona und der vergleichsweise stabilen Weltlage als am unternehmerischen Geschick Trumps.

Thema Klima

Das Pariser Klimaabkommen, aus dem Trump die USA nach seiner Wahl 2021 geführt hatte, sei eine "Abzockerei" gewesen, die das Land "eine Billion Dollar" gekostet habe, während China und Russland nichts zahlten, behauptete der Ex-Präsident. Dies ist unwahr. Die westliche Staatengemeinschaft hatte sich 2009 darauf geeinigt, insgesamt jährlich 100 Milliarden Dollar in besonders stark von der Klimakrise betroffene Länder zu investieren.

Eigentlich hätten die USA nach dem Willen Bidens elf Milliarden Dollar pro Jahr beitragen sollen, am Ende wurde es wegen einer Blockade der Republikaner im Kongress gerade einmal eine Milliarde – bezahlt 2022.

Trump TV-Duell und Fan.
Trumps Anhängerinnen und Anhänger dürften dessen Behauptungen nicht hinterfragen.
EPA/CRISTOBAL HERRERA-ULASHKEVIC

Thema Ukraine

Die USA hätten die Ukraine mittlerweile mit 200 Milliarden Dollar unterstützt und damit mehr gezahlt als die Europäer. Dies sei zu hinterfragen, schließlich liege "ein ganzer Ozean" zwischen Amerika und der Ukraine. Zwar mag Trump in Sachen Geografie einen Punkt getroffen haben. Dass Europa aber weniger in Kiews Abwehrkampf investiert als die USA, ist falsch: 180 Milliarden zu 100 Milliarden besagt die Zwischenrechnung – zugunsten der europäischen Staaten. Und ob es wirklich stimmt, dass es an Trumps seinerzeitigem Rüffel liegt, dass die europäischen Nato-Staaten heute weit mehr in das eigene Militär investieren als vor seiner Amtszeit, ist jedenfalls zweifelhaft. Schließlich gab es damals noch keinen Krieg vor der Haustüre der EU.

"Hätten die USA einen richtigen Präsidenten, hätte Wladimir Putin die Ukraine nicht überfallen", legte Trump dann noch nach – und meinte damit wohl nur einen: sich selbst. (flon, 28.6.2024)