Eine Tankstelle in Wien-Floridsdorf spielt in dieser Geschichte eine ganz besondere Rolle.
Collage: derStandard/Monika Köstinger Credit: Imago, Adobe Stock

Cvetan V. ist verschollen. Nur ein überfüllter Postkasten am Shop einer aufgelassenen Tankstelle in einem Wiener Randbezirk erinnert zum Jahreswechsel noch daran, dass es ihn wirklich gab. Die Briefe sind teilweise aufgerissen, die Absender Behörden, Rechtsanwälte, Inkassounternehmen. Der Russe mit bulligem Gesicht und bulgarischem Pass hat sich aus dem Staub gemacht. Wo er ist, weiß damals nur er selbst.

Cvetan V. ist ein mutmaßlicher Krimineller. Jemand, der Österreichs Banken um mehr als drei Millionen Euro betrogen haben soll. Es könnte aber noch viel mehr gewesen sein.

Möglich gemacht haben soll das ein ausgeklügeltes System. Cvetan V. wird gewerbsmäßiger Leasingbetrug vorgeworfen. Dafür habe V. im Vorjahr zig Autohäuser abgeklappert. Mit gefälschten Papieren und unter Angabe einer Alibifirma erschlich er sich vermutlich bei mehreren Banken Autokredite, die er nie vollständig bezahlen wollte. Damit soll V. erfolgreich gewesen sein, sehr sogar.

"Ich musste nur ein paar Rechnungen schreiben (...) Das war Kleinarbeit."
Ein Autohändler fingierte mutmaßlich Verträge.

Mit diesem System soll sich V. einen Fuhrpark aufgebaut haben, der am Ende 38 Autos zählte. Dazu gehörten zig Lkws im Wert von mehreren Hunderttausend Euro. Aber auch Sportwagen, etwa ein Maserati.

V. fuhr mit den Edelkarossen aber nicht protzend durch Wien. Er soll die Autos möglichst kurz behalten und im Ausland zu Geld gemacht haben. Ein neuer Audi Q8 wurde in Moskau sichergestellt. Mit dem Maserati war längst eine Deutsche aus Rosenheim unterwegs. Zwei der Lkws entdeckten Ermittler per Peilung im Iran. Teilweise wurden die Autos im Konvoi nach Ungarn gefahren. Was darauf hindeutet, dass es Mitwisser geben könnte.

Im verbrecherischen Autobusiness wäre Cvetan V. bei weitem kein Einzelkämpfer. Die Betrügerszene in Wien floriert. Ihre Wurzeln hat sie auf dem Balkan, vorwiegend in Serbien. Und diese Szene zockt mit einer Schwäche in der Finanzbranche: mit Ratenkrediten von Banken wie Santander, VKB oder Abcfinance.

Die Methode

Laut Szeneinsidern lassen sich diese Banken leicht austricksen. Die Erfolgsquote spricht Bände: Zu circa 85 Prozent gehen Kreditbetrügereien wie diese durch, erzählen Kriminalbeamte dem STANDARD. Für einen Autocoup reichen ein gefälschter Ausweis, Meldezettel und Lohnnachweis.

Denn die Sicherheitsschranken der Banken haben Grenzen: Sie verfügen über keinen Zugang zu den Daten öffentlicher Behörden, um die Dokumente zu überprüfen, erklärt etwa Santander. Der Check ist formeller Natur. Sonst wäre aufgefallen, dass die Nummer auf V.s Ausweis, laut Ermittlungsstand, vermutlich auf einen anderen Bulgaren gelaufen, das Original seit Jahren abgelaufen sein soll.

Passieren die gefälschten Dokumente die Kontrollen, fehlt nur noch eine im Verhältnis zum Kaufpreis kleinere Anzahlung, und die Autoschlüssel wandern in die Hände der Betrüger. Später begleichen die Abzocker - wenn überhaupt - noch ein paar Kreditraten, ehe sie den Geldhahn zudrehen. Bis die Banken Alarm schlagen, sind die Autos weg. Oft samt ihrem Besitzer.

Der Betrug verspricht schnelles Geld: Für eine sportliche Limousine, Kaufpreis rund 70.000 Euro, soll V. 10.000 Euro angezahlt haben. Dazwischen liegt eine hohe Gewinnspanne, selbst wenn das Auto unter Wert verkauft wird. Deshalb ist der Leasingtrick nicht nur für Banden attraktiv. Die viel gängigere Variante im Abzockerbusiness ist der Einzeltäter oder die Einzeltäterin, etwa die Arbeitslose Mitte vierzig, die ein paar Tausend Euro braucht, ehe sie sich aus Österreich absetzt.

Der Meister: "Bobby"

Der Beutezug von Cvetan V. soll im Oktober 2021 begonnen haben. Knapp einen Monat vor dem vierten Corona-Lockdown tauchte er in Österreich auf. V. bezog ein Zimmer in der Wohnung einer Spielsüchtigen Anfang vierzig. Gleichzeitig übernahm er eine Wiener Firma, die Tankstellen betrieb. Wohl nicht zufällig: Die Firma war kreditfähiger als V. selbst. Sie soll das Vehikel seines Betrugs gewesen sein. Und das Gelände rund um eine der Tankstellen in Floridsdorf kennen Ermittler bereits bestens. Es hat eine krumme Geschichte.

Dort tauchte schon Boban I. auf, der in der Szene nur "Bobby" gerufen wird. Er gilt als Meister seiner Zunft. Der flüchtige Austroserbe, der Österreichs Banken mit Leasingbetrug um zig Millionen Euro gebracht haben soll, pachtete auf dem Gelände hinter der Tankstelle zwei Jahre zuvor Parkplätze für zwei Dutzend Mercedes, Audis und Škodas. Die sollen "Bobby" und Konsorten zuvor auf bekannte Weise in Tschechien geklaut haben.

"Bobby", mehrfach einschlägig vorbestraft, habe die Betrugsmasche über Jahre in ein gut gehendes Gewerbe verwandelt, heißt es. Der heute 32-Jährige habe vor seiner Flucht auf ein internationales Netzwerk an Abzockern zählen können, das Autohäusern selbst Luxuskarossen wie Lamborghinis abgeluchste, teils mit frei erfundenen Identitäten.

Themenwoche: Kriminalität, Sicherheit und Radikalisierung
Illustration/ STANDARD

Sehr oft greifen Autodealer für ihre Betrügereien auf Strohmänner zurück, etwa auf Obdachlose aus Osteuropa. Der Grund: Das minimiert das Risiko, selbst geschnappt zu werden. Für die Polizei sind die Strohmänner nach dem Betrug kaum greifbar. Werden sie doch ausgeforscht, können sie über die Hintermänner oft nichts preisgeben, da sie "innerhalb der Informationshierarchie losgelöst agieren", erklärt das Bundeskriminalamt.

"Bobby" zog angeblich sogar Autoverkäufer auf seine Seite: Gemeinsam mit einem serbischen Händler aus Wien soll er mit falschen Verträgen den Kauf eines Audi A8 per Leasing vorgetäuscht haben - und so an 95.000 Euro in bar gelangt sein. Der Händler wurde zum Bankomaten. Für seine Hilfe bekam er 1000 Euro. "Ich musste nur ein paar Rechnungen schreiben und einen Vermittlungsauftrag aufsetzen", sagte der mutmaßliche Komplize zur Polizei. "Das war eine Kleinarbeit für mich."

85 Prozent
So hoch ist die Erfolgsquote bei Kreditbetrügigereien laut Bundeskriminalamt.

Das Geschäft der Abzocker ist ein altbekanntes Phänomen, das wieder Fahrt aufnimmt. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Kreditbetrug in den ersten fünf Monaten auf 140 Fälle verdoppelt, der Schaden geht in die Millionen. Das zeigen Daten des Bundeskriminalamts. In die Zahlen fließen zwar auch Betrügereien mit Handys und Konsumkrediten ein. Das Gros der Schadenssumme betrifft aber Autos.

Auch Santander, die einzige Bank, die auf Anfragen des STANDARD reagiert, sieht sich mit einem wachsenden Problem konfrontiert. Wie hoch ihr Verlust durch Leasingtricks ist, will die Bank nicht sagen. Allein der Fall Cvetan V. könnte sich für Santander mit fast 300.000 Euro niederschlagen. Kreditausfälle wie diese seien wie bei anderen Banken "in der Risikovorsorge berücksichtigt", erklärt das Institut.

Der Betrugsfälle würden "im Verhältnis zu unseren stetig steigenden Abschlüssen, nur einen sehr geringen Wert ausmachen", präzisiert der österreichische Verband der Leasing-Gesellschaften. Dennoch appelliert der Verband an die Politik, einige Regeln im Datenschutz zu überdenken, die aktuell die Betrugsprävention einschränken würden.

Es werde bei Santander laufend daran gearbeitet, Abzocker früh genug zu erkennen. Mittels einer Datenbank gelinge es etwa öfter, Doppelfinanzierungen zu vermeiden. Die Polizei stelle zudem "immer wieder" gestohlene Fahrzeuge sicher, was den Schaden minimiere. Aber selbst dem greifen die Täter vor, indem sie die Ortungssysteme der Autos deaktivieren. Zu weiteren Vorkehrungen will die Bank aus "taktischen Gründen" nichts sagen.

Zufällig festgenommen

Aber wie bekommt man die mutmaßlichen Täter zu fassen? Manchmal ist es Zufall. In den Abendstunden des 2. Mai etwa hielt die Polizei in einer schmucklosen Gegend Bratislavas, in der sich ein klobiges Wohnhaus an das nächste reiht, routinemäßig das Auto eines Unbekannten an. Die Beamten wollten seinen Ausweis sehen. Es war: Cvetan V.

Mittlerweile wurde der mutmaßliche Autoschieber in ein Wiener Gefängnis überstellt. Ihm drohen wegen gewerbsmäßigen Betrugs bis zu fünf Jahre Haft. Aber sein Fall könnte noch eine brisante Wendung nehmen.

Cvetan V., so behauptet ein Zeuge, sei nur ein kleines Licht, ein Strohmann einer wahren Größe der Szene. Jener Mann soll eine Generalvollmacht für V.s Tankstellenfirma gehabt haben, in dessen Namen er auf Einkaufstour gewesen sei. Das aber wäre ein Trick, der sogar Meister "Bobby" staunen ließe. V. war über seine Verteidigung nicht erreichbar. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Jan Michael Marchart, 4.7.2024)