Elli und ihre zwei Töchtern auf den Fahrrädern am Weg in die Schule
Elli und ihre zwei Töchter fahren jeden Tag mit den Fahrrädern in die Schule und den Kindergarten.
Zoe Opratko

Elli fährt vor, schaut nach links und rechts und streckt die Arme weit aus. "Geht schon", ruft sie und gibt ihren zwei Töchtern damit das Signal, über die Straße zu fahren. Radfahren mit Kindern in der Stadt, das heißt für Elli, dass sie immer auch für die anderen Verkehrsteilnehmer mitdenken muss: Wo könnte ein Auto aus einer Gasse preschen oder ein Fahrer ein Stoppschild übersehen? Und für Elli heißt es auch, es manchmal nicht so genau zu nehmen mit der Straßenverkehrsordnung. Etwa wenn sie ihre zwei Töchter, vier und sieben Jahre alt, mit ihren Fahrrädern auf den Gehsteig schickt.

Elli steht mit dem Fahrrad auf der Straße und hält ein Auto auf, damit ihre Kinder überqueren können.
Es ist gar nicht einfach zwei Kinder auf dem Rad durch den Verkehr zu navigieren.
Zoe Opratko

Ein ungutes Gefühl

Der Straßenverkehr ist gefährlich, vor allem für Kinder. Viele Eltern haben ein ungutes Gefühl, lassen es deshalb gleich ganz bleiben, sagt Roman Romano von der Radlobby. Vor allem bei Kindern, die sich von Natur aus gerne bewegen, sei das besonders schade. Die sicherste Variante für die Kleinen sind baulich getrennte Radwege. Auf dem Gehsteig dürfen Kinder, ausgenommen die ganz kleinen, anders als in Deutschland nicht fahren. Dafür ist es Eltern seit der jüngsten Änderung der Straßenverkehrsordnung erlaubt, neben ihren Kindern auf der Straße zu fahren, um sie vor Autos zu schützen.

Elli und ihre zwei Töchter überqueren eine große Straße mit den Fahrrädern
Um starkbefahrene Straßen zu meiden, nehmen sie auch Umwege in Kauf.
Zoe Opratko

Als Elli Mutter geworden ist, erzählt sie, habe sich ihr Blick auf die Stadt verändert. "Man fragt sich, warum die Autos so viel Platz im öffentlichen Raum bekommen und die Stadt so gefährlich für Kinder ist." Bald hat sich die Familie ein Lastenrad und ein Klimaticket gekauft und plötzlich das Auto nicht mehr gebraucht.

Sichere Routen

Nun radelt Elli, die sich mit ihrem Instagram-Account @elli_macht_mobil für klimafreundliche Mobilität einsetzt, jeden Tag mit ihren Töchtern in Schule und Kindergarten. Dafür haben sie sich nicht den schnellsten oder kürzesten Weg gesucht, sondern den sichersten. Viele Eltern würden das so handhaben, bestätigt Romano: Sie weichen auf Seitenstraßen aus. Die Radlobby stellt auf der Website radlkarte.at ein Tool zur Verfügung, das sichere Radrouten zeigt.

Wien sei sehr sicher, auch für Kinder, betont hingegen Martin Blum, der Radverkehrsbeauftragte der Stadt Wien. Im letzten Jahr habe es keinen tödlichen Radunfall gegeben. "Wir wissen, dass Eltern noch nicht auf allen Wegen ein sicheres Gefühl haben", deshalb sei man laufend darum bemüht, dem großen Wunsch aus der Bevölkerung nachzukommen, Radwege kinderfreundlich zu gestalten.

Das Mädchen steht mit ihrem Fahrrad vor einem Schild auf dem steht
In Wien ist es nicht gestattet, dass Kinder (außer ganz kleine) mit dem Rad auf dem Gehsteig fahren.
Zoe Opratko

"85 Prozent der Radwege, die aktuell gebaut werden, sind baulich getrennt oder eigene Fahrradstraßen", sagt Blum. Er hält es für eine sichere Alternative, neben den Kindern auf der Fahrbahn zu fahren, etwa in Tempo-30-Zonen, statt sie auf den Gehsteig zu schicken. Viele, vor allem ältere Fußgängerinnen und Fußgänger, hätten ein hohes Sicherheitsbedürfnis, "sie sollen sich auf dem Gehsteig wohlfühlen."

Die Radlobby fordert, Plätze vor Schulen und Kindergärten autofrei zu machen und in den Grätzln drumherum den Verkehr deutlich zu reduzieren. Was die Sicherheit der kleinen Radlerinnen und Radler betrifft, seien auch eine gute Ausrüstung sowie das richtige Verhalten wesentlich. Für Kinder gibt es in Wien vier Radübungsplätze sowie Kurse in Volksschulen. Doch auch wer alles richtig macht, ist auf der Straße mit dem Rad oft im Nachteil, weiß Elli aus Erfahrung: Ein Unfall, bei dem ein Autofahrer eine rote Ampel übersehen und mit dem Lastenrad der Familie zusammengestoßen ist, war für sie ein einschneidendes Erlebnis. "Mein Mann musste einen Alkotest machen, meine Töchter von der Rettung versorgt werden. Das Auto hatte nur einen Kratzer, der Fahrer durfte einfach weiterfahren", sagt Elli. Ihr Mann sei danach ein halbes Jahr nicht mehr mit dem Rad durch die Stadt gefahren.

Zwei Mädchen sitzen im Lastenrad und lassen die Füße raushängen.
Auf gefährlichen Routen fahren die beiden Mädchen lieber im Lastenrad bei Elli mit.
Zoe Opratko

Wie vielen Menschen das Thema ein Anliegen ist, zeigt die "Kidical Mass", ein regelmäßiges Event, bei dem zuletzt fast 10.000 Eltern und Kinder in ganz Österreich für kindersichere Fahrradwege demonstriert haben. Auch Elli und ihre Töchter waren schon dabei. Kaum etwas kann die Familie vom Radfahren abhalten, nicht einmal das Wetter. Fürs Lastenrad gibt es ein Regendach, und wenn sie selbst fahren, ziehen sie Regenjacken an. "Mir macht das nichts aus", sagt Ellis Vierjährige, "dann kann ich gleich draußen duschen." (Bernadette Redl. 29.6.2024)

Fahrradfahren in Wien: Nur für mutige Eltern?
Viele Eltern möchten gerne mit ihren Kindern in Wien Fahrrad fahren, trauen sich aber nicht. Zu Recht? Der Link zum Artikel: https://www.derstandard.at/story/2000137764253
DER STANDARD