Gretchen Whitmer, (noch) im Schatten von Joe Biden.
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Es hätte der Startschuss für eine Aufholjagd sein sollen, geworden ist es ein absolutes Desaster. US-Präsident Joe Biden wirkte im ersten TV-Duell gegen Vorgänger und Herausforderer Donald Trump genau so, wie ihn seine Kritiker und Kritikerinnen zeichnen: als älteren Mann, der sich oft verhaspelt, den Faden verliert und dann einfach gar nichts mehr sagt. Ein Sieg über den in allen Umfragen deutlich voran liegenden Trump ist noch einmal ein gutes Stück unwahrscheinlicher geworden.

Und so flammt einmal mehr die Debatte auf, ob die Demokraten nicht noch im letzten Moment eine Alternative aufbieten könnten. Das wäre schwierig, aber nicht unmöglich. DER STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen dazu:

Frage: Wie ist der aktuelle Stand im demokratischen Präsidentschaftskandidatenrennen?

Antwort: Diversen Altersdebatten zum Trotz hat Biden bereits im Frühjahr 2023 deutlich gemacht, wieder antreten zu wollen. Und da es Usus ist, innerparteilich nicht gegen einen amtierenden Präsidenten anzutreten, hat sich das Kandidatenfeld rasch gelichtet. Von einigen nicht ernstzunehmenden Konkurrentinnen und Konkurrenten blieb nur noch Sachbuchautorin Marianne Williamson bis zum Schluss im Rennen.

Bei den demokratischen Vorwahlen hat Biden wenig überraschend schon sehr früh die notwendige Anzahl an Delegiertenstimmen eingeheimst, um beim Parteitag von 19. bis 22. August in Chicago auch offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekürt zu werden.

Frage: Könnten die Delegierten angesichts der zunehmenden Zweifel an Biden nicht trotzdem für jemand anderen stimmen?

Antwort: Die Delegierten sind in großer Mehrheit an die Ergebnisse in ihren Bundesstaaten gebunden – das sehen die Parteiregeln so vor. Diese können vom zuständigen Parteikomitee geändert werden, allerdings kontrolliert Biden die meisten dieser Gremien beziehungsweise hat sie mit seinen Anhängern besetzt. Abgesehen davon wäre das auch ein riesiger Affront gegen das amtierende Staatsoberhaupt.

Frage: Könnte überhaupt noch jemand ins demokratische Kandidatenrennen einsteigen?

Antwort: Die demokratischen Vorwahlen starteten am 23. Jänner in New Hampshire und endeten am 8. Juni in Guam und auf den Virgin Islands. Also nein, das Rennen ist eigentlich gelaufen.

Frage: Das heißt, Biden wird auf alle Fälle antreten?

Antwort: Nein, es gibt auch andere Szenarien, etwa wenn Biden aus gesundheitlichen Gründen ausfällt oder von sich aus den Weg frei macht, weil er etwa seine Chancenlosigkeit einsieht. Dann wären die Delegierten auf dem Parteitag nicht mehr an die Vorwahlergebnisse in ihren Bundesstaaten gebunden und könnten in Chicago einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin küren.

Blickt man in die Annalen, findet sich im Jahr 1968 ein ähnlicher Fall. Amtsinhaber Lyndon B. Johnson gab am 31. März via TV-Ansprache seinen Rückzug bekannt. Die von ihm verfügte Ausweitung des Vietnamkriegs ließ seine Zustimmungswerte drastisch sinken, im parteiinternen Rennen gegen seinen Vize Hubert H. Humphrey und den aufstrebenden (und Monate später ermordeten) Robert F. Kennedy hätte dem Demokraten wohl eine Niederlage gedroht, zudem war er gesundheitlich angeschlagen. Geholfen hat es nichts, Humphrey verlor die Wahl gegen Richard Nixon.

Frage: Würde nicht automatisch Vizepräsidentin Kamala Harris nachrücken?

Antwort: Nein, formell hat Harris als amtierende Vizepräsidentin und erneute Vizepräsidentschaftskandidaten in spe – auch sie muss am Parteitag offiziell nominiert werden – keinen Anspruch auf die Präsidentschaftskandidatur. Aber sollte jemand anderes noch ins Rennen gegen Trump geworfen werden, gäbe es parteiintern sicherlich massiven Erklärungsbedarf. Schließlich hätte sonst Harris als erste schwarze Frau die Chance auf das Präsidentenamt. Allerdings hat auch sie sehr schlechte Umfragewerte.

Video: TV-Duell: Biden entsetzt selbst Demokraten, Trump lügt
AFP

Frage: Was passiert eigentlich, wenn Biden erst nach dem Parteitag aus dem Präsidentschaftsrennen ausscheidet?

Antwort: Dann müsste laut Parteistatuten das Nationale Komitee der Demokraten einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin ernennen. Ihm oder ihr würde aber die demokratische Legitimität durch einen Erfolg bei den Vorwahlen fehlen.

Frage: Wer würde überhaupt infrage kommen?

Antwort: Zumeist genannt werden Gavin Newsom (56), Gouverneur von Kalifornien, Gretchen Whitmer (52), Gouverneurin von Michigan, und Josh Shapiro (51), Gouverneur von Pennsylvania. Ihnen allen werden Ambitionen für die Wahl 2028 nachgesagt. Ein klarer Favorit oder eine klare Favoritin findet sich unter den Demokraten aber nicht. Bliebe noch Ex-First-Lady Michelle Obama, die für viele Demokraten vermutlich die absolute Traumkandidatin wäre. Und ein Duell zwischen ihr und Trump wäre auch für neutrale Beobachter sicherlich reizvoll. Doch die 60-Jährige hat politische Ambitionen immer wieder dementiert. (Kim Son Hoang, 28.6.2024)