Bei der Besetzung der künftigen EU-Führung wie auch bei der Erarbeitung des Arbeitsprogramms der EU-Kommission bis zum Jahr 2029 laufe alles nach Plan, "schneller als erwartet". So fasste der deutsche Kanzler Olaf Scholz in der Nacht auf Freitag die Beratungen der 27 Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel zusammen.

Tatsächlich hatten diese es geschafft, eine umfangreiche Tagesordnung in nur einem Arbeitstag (anstatt zwei wie geplant) über die Bühne zu bringen. So konnte Präsident Emmanuel Macron nach Frankreich zurückeilen, wo am Sonntag gewählt wird. Es steht ein Wahltriumph der extremen Rechten rund um Marine Le Pen ins Haus. Das könnte gravierende Auswirkungen auf die gesamte EU-Politik haben.

Zudem übernimmt Ungarn mit Premierminister Viktor Orbán am Montag den EU-Vorsitz. Mitte nächster Woche kommt auch die vom Rechtspopulisten Geert Wilders dominierte Rechtsregierung in den Niederlanden an die Macht.

Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen muss sich jetzt bei den Abgeordneten beliebt machen.
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Nicht zuletzt deshalb wurde aufs Tempo gedrückt. Der frühere portugiesische Premierminister António Costa wurde zum neuen Ständigen Ratspräsidenten gewählt, die estnische Premierministerin Kaja Kallas zur neuen EU-Außenbeauftragten. Beide sollen am 1. Dezember ihren Dienst antreten. Anders ist das bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Sie wurde mit Mehrheit nominiert und muss sich nun Mitte Juli der Wahl durch die EU-Abgeordneten im Parlament in Straßburg stellen.

Orbán gegen alle

25 von 27 Regierungschefs stimmten für diese Kandidaten, nur Orbán stimmte gegen alle drei. Italiens Premierministerin Giorgia Meloni stimmte gegen Kallas und Costa, enthielt sich bei von der Leyen der Stimme. Sie protestierte gegen das Vorgehen der drei großen Parteienfamilien von Christdemokraten (EVP), Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (RE), die das Paket im Vorfeld ohne sie vereinbart hatten, und bezeichnete es als "undemokratisch". Laut Scholz sei diese Vereinbarung der drei Parteienfamilien aber die Plattform künftiger Kooperation – ohne die Nationalkonservativen.

Aber: Über den Posten eines Vizepräsidenten in der Kommission könnte Italien gut im Spiel bleiben. EVP und S&D können mit der RE-Fraktion von der Leyen in Straßburg nur eine dünne Mehrheit verschaffen. Sie kündigte an, auch mit anderen konstruktiven Kräften im Parlament zusammenarbeiten zu wollen, mit Regierungen aller EU-Staaten sowieso.

Der Gipfel beschloss dazu auch eine "Strategische Agenda" für die nächsten Jahre, die politischen Prioritäten. Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit und eine neue Verteidigungspolitik sollen zentral sein. Mit der Ukraine wurde ein Sicherheitsabkommen vereinbart. In Richtung der moskaufreundlichen Regierung von Georgien warnte der Gipfel vor dem De-facto-Ende des Beitrittsprozesses. (Thomas Mayer aus Brüssel, 28.6.2024)