Mann mit rotem Auto, Taxi
Hans-Jürgen Zinner bietet regelmäßig Mitfahrgelegenheiten an. Am schönsten findet er die netten Gespräche.
Regine Hendrich

Eigentlich ging es ihm immer nur ums Plaudern, sagt Hans-Jürgen Zinner. Im Jahr 2015 hat er zum ersten Mal in die Facebook-Gruppe geschrieben: "Hätte drei Plätze für morgen Sonntag von Zwettl nach Wien 1100 anzubieten. Abfahrtzeit wäre 15.30 Uhr." Seither hat er sein An­gebot zigmal wiederholt, bis heute. Am Ende der Arbeitswoche geht es rauf, am Sonntagabend wieder runter, wie die Waldviertlerinnen und Waldviertler ihren Weg in die Heimat liebevoll beschreiben.

Organisiert wird das Mitfahren über Facebook-Gruppen, drei gibt es insgesamt. Die größte hat mehr als 3000 Mitglieder. Ange­lika Starkl hat die "Waldviertler Fahrgemeinschaften" im Jahr 2012 erstellt. Damals habe sie Facebook intensiv genutzt und zunächst nur über private Einträge ihre Freundinnen und Freunde gefragt, ob jemand eine Mitfahrgelegenheit am Wochenende hat. Schon bald war das Interesse so groß, dass eine Gruppe daraus wurde. Eine, die bis heute besteht.

Denn bis heute hat sich auch an den Gegebenheiten nicht viel geändert: Die Fahrt ins Waldviertel, etwa nach Zwettl, dauert mit dem Auto eine Stunde und 20 Minuten, mit den Öffis, je nach Strecke, zwei bis zweieinhalb Stunden. Das Waldviertel besteht aus über 1000 Ortschaften, das bringe den öffentlichen Nahverkehr an seine Grenzen, weiß Josef Wallenberger, Standortexperte für das Waldviertel bei der Wallenberger & Linhard Regionalberatung.

Dazu kommt der Preis. Die Fahrt nach Zwettl kostet ohne Vorteilscard 28,60 Euro. Fürs Mitfahren im Auto waren es früher fünf, heute sind es sieben Euro, wie Hans-Jürgen Zinner erzählt. "Was kriegst du?", heißt es am Ende jeder Fahrt, dann wird gezahlt. Je voller das Auto besetzt ist, desto höher ist für den Fahrer oder die Fahrerin der Zuschuss zu den Spritkosten.

An zwei Orten daheim

"Mein Leben, meine Freunde, mein ganzer sozialer Lebensmittelpunkt war im Waldviertel und nicht in Wien, auch wenn ich dort viel mehr Zeit verbracht habe", sagt Angelika Starkl über ihre ersten Jahre als Studentin.

Auch Thomas, der seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will, fährt jedes zweite Wochenende ins Waldviertel, weil er dort einen Laienchor leitet. Multilokalität nennt Josef Wallenberger das, also dass Menschen zwei Lebensmittelpunkte haben. Bei vielen Waldviertlerinnen und Waldviertlern in Wien sei diese Verflechtung mit der Heimat besonders stark ausgeprägt. "Die Strecke ist wie eine Drainage, viele fahren jahrelang jedes Wochenende rauf, zur Probe des Musikvereins oder zum Fußballtraining."

Thomas’ Motivation ist auch, dass er seinen CO2-Fußabdruck zumindest mit anderen Mitfahrerinnen und -mitfahrern teilen kann. Diesbezüglich hält auch Josef Wallenberger die Initiative für sinnvoll, womöglich könnten solche Mitfahrgemeinschaften sogar dazu beitragen, dass manche auf ein zweites oder drittes Auto verzichten.

Reportage: Mitfahrgelegenheit ' Waldviertel '; Hans- Jürgen Zinner
Organisiert wird das Mitfahren über Facebook-Gruppen, drei gibt es insgesamt.
Regine Hendrich

Wenn Thomas Menschen aus anderen Regionen von den Mitfahrgelegenheiten erzähle, seien diese immer ganz erstaunt: "Was, wildfremde Leute nimmst du mit?" Doch diesbezüglich hatte Thomas noch nie Bedenken, wie er sagt: "Wir Waldviertler haben da wohl ein gewisses Grundvertrauen." Nur einmal habe er bisher eine schlechte Erfahrung gemacht und einen Mitfahrer nach einer Fahrt auf Facebook blockiert, weil er betrunken eingestiegen ist und im Auto rauchen wollte.

"Bevor es die Gruppe gab", erinnert sich Angelika Starkl, "haben wir vor den Ticketautomaten in Spittelau oder Heiligenstadt einfach Menschen angesprochen und gefragt, ob sie sich ein Einfach-raus-Ticket mit uns teilen möchten." Damit kann eine Gruppe von zwei bis fünf Personen zu einem vergünstigten Preis reisen. Auch deshalb habe sie damals die Gruppe gegründet, um sich hier zusammenzufinden. Facebook habe vieles erleichtert.

Zugfahren ist bei den Pendlerinnen und_Pendlern ins Waldviertel auch heute wieder vermehrt Thema. Viele hätten sich ein Klimaticket gekauft, sagt Josef Wallenberger. Es sei für die Region ein "Gamechanger" gewesen – "wenn es auch nur auf den Hauptrouten etwas bringt, die gut ausgebaut sind."

Jetzt würden viele die längere Reise doch gerne auf sich nehmen, glaubt auch Thomas. Er hat beobachtet, dass vor allem in den letzten eineinhalb Jahren weniger Menschen die Mitfahrgelegenheiten nutzen. Gab es auf den beliebten Treffpunkten am Sonntagabend, etwa auf dem Platz vor dem Feuerwehrhaus in Zwettl, ein reges Kommen und Gehen, ist heute weit weniger los.

Nicht mehr auf Facebook

Auch Corona hatte hier seine Finger im Spiel. "Viele hatten damals Angst vor einer Ansteckung und wollten gar nicht mehr mitfahren. Falls doch, sind wir in der Zeit immer mit Masken gefahren", sagt Thomas.

Außerdem seien vor allem die Jungen, die Studierenden, deren Bedarf für günstige Mitfahrgelegenheiten am größten wäre, längst nicht mehr auf Facebook. Sie wüssten oft gar nicht, dass es die Gruppen überhaupt gebe, sagt Angelika Starkl.

Hans-Jürgen Zinner findet das schade. Auch er erzählt, dass es oft Wochen gebe, wo niemand mehr mitfahren wolle. Die netten Begegnungen und Gespräche würden dann fehlen. "Im Sommer reden wir immer über den Urlaub, im Winter übers Skifahren", sagt er. Vor allem die Studierenden hätten immer interessante Geschichten zu erzählen oder man redet über gemeinsame Bekannte. Und davon gibt es im Waldviertel so gut wie immer welche. (Bernadette Redl, 28.6.2024)