Psychotherapeut Hans-Otto Thomashoff und Familienberaterin Sandra Teml-Wall beantworten Fragen von STANDARD-Leserinnen und -Lesern zu den Themen Familie, Beziehung und Erziehung.

Zwei Burschen helfen zuhause mit, einer saugt und einer macht die Wäsche
Gemeinsam aufräumen macht mehr Spaß. Musik ein, erledigen und danach ein Eis!
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Frage:

Meine Kinder (10 und 14) helfen mir viel zu wenig im Haushalt. Ich muss sie regelrecht dazu zwingen und zumindest immer an alles erinnern. Etwa so: Wir essen gemeinsam Abend, sie stehen auf und räumen nicht ihre Teller weg. Ich bitte sie darum, es wird gestöhnt und gemault. Dabei ist das eigentlich wirklich selbstverständlich. Bei Dingen wie den Müll runterbringen oder einmal durchsaugen kommt es immer darauf an, wie sie gerade drauf sind. Entweder sie machen es anstandslos, oder die Bitte eskaliert in einem Streit. Dann werden sogar wütend Türen geknallt. Eine Zeitlang haben wir es mit Belohnungen versucht – sie haben dann fürs Geschirrspülerausräumen und -einräumen oder fürs Wäscheabnehmen und Staubsaugen Geld bekommen. Nicht viel, ein paar Euro. Aber Geld fürs Eigenes-Zimmer-Aufräumen und Kleinigkeiten wie den Müll, das sehe ich nicht ein. Ich bin langsam wirklich ratlos. Mir ist klar, dass kleine Kinder nicht viel im Haushalt schaffen, aber sie gehen nun beide ins Gymnasium, und da sollte das drinnen sein. Wie kriege ich sie denn dazu, dass sie freiwillig mithelfen? Ohne Zwang?

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Welche Regeln im Zusammenleben bei Ihnen zu Hause gelten, sollten und dürfen Sie frei festlegen, denn schließlich ist es Ihr Zuhause. Und offenkundig machen Sie das ja auch genau so. Gut ist es, wenn Eltern sich in diesen Regeln einig sind und konsequent an einem Strang ziehen. Auch das scheint mir ja bei Ihnen nicht das Problem zu sein.

"Kinder haben wie alle Menschen ihre guten und ihre schlechten Tage und damit auch ihre Launen." Hans-Otto Thomashoff, Psychiater

Das Einzige, was Ihnen Kopfzerbrechen bereitet, scheint Ihr Wunsch zu sein, dass das Mitwirken der Kinder an den Ihrem Ermessen nach passenden häuslichen Pflichten intensiver und vor allem "ohne Zwang" geschehen soll, was wohl in Wirklichkeit bedeutet, dass Sie es gerne ohne Konflikt hätten. Das gelingt je nach Tagesverfassung manchmal und manchmal nicht. Der Wunsch, dass es immer ohne Konflikt geschehen möge, erscheint mir schlichtweg unrealistisch. Kinder haben wie alle Menschen ihre guten und ihre schlechten Tage und damit auch ihre Launen. Und Kinder sind erst dabei zu lernen, sich mit diesen Schwankungen der Befindlichkeit angemessen zu arrangieren. Und da wird es oft schwierig, etwa wenn es in der Schule vielleicht einmal kompliziert ist oder wenn die eigene Identität auf dem Weg ins Erwachsenendasein erst auf wackeligen Beinen aufgebaut werden muss.

Das bedeutet, dass Sie, so schön das auch wäre, nicht erwarten können, dass Ihre Kinder immer selbstverständlich die ihnen zugeteilten Aufgaben erledigen. Manchmal sind sie eben nicht begeistert darüber. Aber das dürfen sie auch, solange sie ihre Aufgaben dann doch erfüllen. Wenn sie maulen oder gar die Türen zuschlagen, ist es klar, dass Ihnen das nicht passt, und das scheinen Sie ja auch angemessen mit einem "So bitte nicht!" deutlich zu machen. Hier gilt, dass, wenn die Gefühle hochkochen, Klären wenig bringt. Erst wenn später wieder Ruhe eingekehrt ist, ist der Zeitpunkt für die Klärung gekommen: "Ihr wollt erwachsen sein, dazu gehören nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten." Und "Wie wäre das für euch, wenn ich die Türen knalle oder bei meinen Pflichten keinen Bock habe?"

Verantwortung muss eben gelernt werden, idealerweise immer am real gelebten Vorbild. Und ich finde, auch ohne Geld. Das Gleiche gilt für Konfliktführung. Auch die muss gelernt werden, damit Konflikte nicht zu einem sinnlosen Ausschütten und Zuschieben von Gefühlszuständen werden, sondern als Zwischenstufe auf dem Weg zu konkreten Lösungen. "Was können wir tun, damit das mit den Pflichten besser klappt?"

In jedem Zusammenleben sind Kompromissfindungen erforderlich, und da kann es gelegentlich zu Hause zugehen wie auf dem Basar. "Wenn du morgen ins Freibad möchtest, dann möchte ich, dass du bis dahin das und das gemacht hast, und zwar ohne Maulen."

Hans-Otto Thomashoff, Psychotherapeut
Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Er ist Aufsichtsratsmitglied in der Sigmund-Freud-Privatstiftung und als Kunsthistoriker auch Präsident der Sektion für Kunst und Psychiatrie des Weltpsychiaterverbands. Bekannte Bücher: "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018), "Versuchung des Bösen" (2022).
Regina Schulz

Bei allem, was wir uns in unserer Kultur an sozialer Absicherung und Luxus geschaffen haben, dürfen wir nicht übersehen, dass es in der Erziehung darum geht, unsere Kinder auf ihr Leben vorzubereiten. Dazu gehört, dass unser Wohlergehen uns nicht in den Schoß fällt, sondern wir uns aktiv darum kümmern müssen, für unseren Lebensunterhalt arbeiten, für unsere Gesundheit sorgen, uns für unsere Beziehungen einsetzen und dergleichen mehr. Genau das sollten Kinder in der Erziehung lernen. Für diesen Lernprozess hat die Natur uns ein Motivations- und Belohnungssystem mitgegeben, das trainiert werden muss. Nicht selten benötigt es einen anfänglichen Ansporn, doch wenn es erst einmal ausgebildet ist, dann treibt es uns ganz wie von selbst an.

Was die häuslichen Pflichten angeht, werden es Ihnen Ihre Kinder später danken, wenn sie bei Ihnen gelernt haben, wie man Ordnung hält und wie man sich eine warme Mahlzeit zubereitet. Ich habe immer wieder Patienten, die längst erwachsen sind und im Berufsleben stehen, aber sich außer einer Tiefkühlpizza, die sie immerhin in den Ofen stecken, keine warme Mahlzeit zubereiten können. Oft in bester Absicht wurden sie als Kinder so selbstverständlich verwöhnt, dass sie essenzielle Fertigkeiten für ein erwachsenes Leben nie gelernt haben. (Hans-Otto Thomashoff, 28.6.2024)

Antwort von Sandra Teml-Wall:

Es ist mir en großes Anliegen, Sie daran zu erinnern, dass Sie großartige Kinder haben, und das wieder hervorzuheben, was in Ihrer Familie gut läuft und was Ihnen allen zusammen schon gelungen ist auf dieser 14-jährigen Reise. Dieser Blick geht uns insbesondere dann verloren, wenn uns selbst schon das Wasser gefühlt bis zum Hals steht. Für eine Kurskorrektur brauchen wir wieder das Gefühl von festem Boden unter den Füßen. Ich hoffe, den bekommen Sie wieder zurück – auch mithilfe meiner Zeilen.

Ihr ältestes Kind befindet sich gerade in der zweiten großen Autonomiephase. Sein/ihr "Nein!" ist ein gesunder und kräftiger Ausdruck seiner/ihrer Autonomie und eine erneute Bekundung eines "Ich bin nicht du!" (Untertitel: "Ich weiß gerade selbst nicht so genau, wer ich bin – oder wer ich sein sollte –, aber wenn ich dagegen bin, bin ich zumindest das! Ich brauche doch keine Eltern mehr – die nerven nur! Mama, kannst du bitte mein Zimmer aufräumen!").

Geben Sie diesem Selbstausdruck Ihres Kindes einen Raum, sagen Sie sich vielleicht diesen Satz "Du bist nicht ich!" wie ein Mantra vor, wenn er/sie mault, dann haben Sie schon die Erfahrung gemacht, dass ihr Kind kooperieren wird - das beschreiben Sie auch in Ihrer Frage: Beide machen mit und maulen. Die Teller sind abgeräumt. Mit Maulen – und abgeräumt.

Ich stelle mir Sie gerade vor, wie Sie vor dem Zimmer Ihrer Kinder stehen und ins Chaos blicken. Der Tag war lang, Sie stemmen die Hände in die Hüften und schnauben vor Wut und Empörung über die zusätzliche Arbeit. Ihre Stirn liegt in Falten, Ihre Augen blitzen: "Räumt jetzt endlich das Zimmer auf!" Würden Sie mit dieser Frau zusammenarbeiten wollen?

So, wie Sie hier nicht mehr in Ihrem "grünen Bereich" sind, sind es Ihre Kinder manchmal auch nicht. Sie schreiben, dass Ihre Kinder Ihren Bitten nachkommen – und zwar dann, wenn Sie einmal durchgeatmet haben und bitten statt befehlen. Dann können Ihre Kinder Ja sagen – und nicht Jawoll! Und manchmal auch Nein. Weil es heute einfach nicht mehr geht.

Sandra Teml-Wall, Familienberaterin
Sandra Teml-Wall ist Paarcoach, Elternberaterin nach Jesper Juul, Mutter von drei Kindern und Bestsellerautorin. Sie setzt sich nachhaltig für einen emotionalen Klimawandel in Familien ein und praktiziert in der "Wertschätzungszone" in Wien. Bekannte Bücher: "Mama, nicht schreien!" (2022), "Keine Angst, Mama!" (2021), "Ent-Eltert euch!" (2023) gemeinsam mit Ehemann Martin Wall.
Theresa Pewal

Sie haben ein Klima geschaffen, in dem ein Nein einen Platz haben darf. In dem alle ihre Grenzen ausdrücken dürfen – auch Sie. Vielleicht gelingt das manchmal etwas unglücklich. Vor allem dann, wenn die Anspannung schon hoch ist.

"Sie brauchen Ihre Kinder für Mitarbeit nicht belohnen. Kinder sind gerne Teil einer Gemeinschaft und tragen gerne etwas bei." Sandra Teml-Wall, Familienberaterin

Sie brauchen Ihre Kinder für Mitarbeit nicht belohnen. Kinder sind gerne Teil einer Gemeinschaft und tragen gerne etwas bei. Sie wollen sich wertvoll fühlen und gleichwürdig behandelt werden.

Vielleicht ist es an der Zeit, sich zu viert zusammen zu setzen und über Verantwortungen zu philosophieren. Möglicherweise gehören die jetzt, wo die Kinder größer sind, neu verteilt: Wer kann wofür die Verantwortung übernehmen? Das bedeutet: In wessen Kopf ist zum Beispiel der Müll? Wer ist dafür zuständig? Wer kann welche Aufgabe übernehmen – die gehört dann ihm oder ihr, und Sie haben sie nicht mehr auf dem Schirm, weil Sie die Aufgabe jemand anderem anvertraut haben. (Unter uns Frauen: Etwas wirklich abzugeben ist manchmal gar nicht so leicht!)

Schreiben Sie das Ergebnis auf, und treffen Sie sich nach zwei Wochen wieder zu einer Nachbesprechung. Bleiben Sie als Erwachsene einladend und kooperativ. Ich bin überzeugt, dass sie vier einander in der nächsten Zeit noch mal besser kennenlernen werden. Vielleicht entsteht jetzt auch der eine oder andere neue Konflikt. Die werden so notwendig wie konstruktiv sein. Den destruktiven, zermürbenden Konflikten jedoch haben Sie damit ein Ende gesetzt. (Sandra Teml-Wall, 30.6.2024)