Bohrinsel
Diese romantische Bohrinsel in der Nordsee dient als Setting für "Still Wakes the Deep".
The Chinese Room

Eine Bohrinsel nahe Schottland im Jahr 1975: Drinnen ist es düster, die Infrastruktur abgewirtschaftet, das Interieur auf Funktionalität reduziert, draußen peitscht der raue Nordseewind. Also nicht unbedingt ein Ort, den man für einen romantischen Sommerurlaub auswählen würde.

Still Wakes The Deep - Launch Trailer | PS5 Games
PlayStation

Zerfällt dieses Konstrukt nun auch noch in seine Einzelteile und wird von einer finsteren Macht infiltriert, so wird das Leben auf rauer See endgültig zu jenem Horror des neuen Spiels Still Wakes The Deep, das seit 18. Juni 2024 – also pünktlich zum Beginn der Urlaubszeit – für Playstation 5, Xbox Series X und Windows PC (jeweils für 34,99 Euro) erhältlich und in Microsofts Game Pass enthalten ist.

Sammelsurium der Urängste

Hinter dem Werk steht das britische Studio The Chinese Room (Dear Esther, Amnesia: A Machine for Pigs, Everybody's Gone to the Rapture), dem zufolge auf Bohrinseln eine regelrechte Einkaufsliste an Urängsten abgehakt werden kann: Höhenangst, Klaustrophobie, Angst vor dem Ertrinken. Hinzu kommt ebenjene finstere Macht, die in diesem Game ihr Unwesen treibt.

Als Inspiration wird unter anderem John Carpenters Horrorfilm The Thing aus dem Jahr 1982 genannt, andere filmische Referenzen sind Annihilation (2018) und The Poseidon Adventure (1972). Nicht verleugnen lässt sich auch eine inhaltliche Nähe zum kosmischen Horror H. P. Lovecrafts. DER STANDARD hat das Spiel auf Windows-PC und Xbox Series X getestet.

Der Antiheld und das Böse

Spielerinnen und Spieler schlüpfen bei Still Wakes the Deep in die Rolle von Cameron "Caz" McLeary: einem Elektriker, den es auf Vorschlag seines Freundes Roy auf die Bohrinsel in der rauen Nordsee verschlagen hat. Zu Beginn des Spiels erwacht Caz in seiner Kabine und erhält einen Brief seiner Frau Suze, die eine Scheidung andeutet.

Schrittweise wird im Lauf des Spiels durch Rückblenden und Gespräche deutlich, was Caz in diese Lage gebracht hat: Nach Vorfällen in seiner Heimat will er untertauchen, bis sich die Wogen geglättet haben, wird jedoch von seiner Vergangenheit eingeholt und vor Ort mit neuen Problemen konfrontiert.

Still Wakes the Deep Screenshot
Das Böse ist immer und überall.
The Chinese Room

So wird Caz zu seinem cholerischen Vorgesetzten zitiert, der ihn kurzerhand feuert, nachdem er von seiner Vergangenheit erfährt. Als Caz jedoch in den Hubschrauber steigen und die Bohrinsel verlassen will, wird das Stahlkonstrukt erschüttert, und Caz stürzt ins Meer. Zwar kann er noch aus den Fluten gerettet werden, er findet sich jedoch anschließend in einem Szenario wieder, gegen das eine fristlose Entlassung wie ein Weihnachtsgeschenk wirkt: Auswüchse mit dem Erscheinungsbild menschlicher Adern und Muskeln breiten sich immer weiter auf der Bohrinsel aus, ehemalige Mitarbeiter sind zu furchteinflößenden Monstern mutiert und machen Jagd auf ihre einstigen Kollegen.

Schleichen statt schießen

Ab diesem Zeitpunkt ist es das vorläufige Ziel des Protagonisten, von der rostigen Plattform zu flüchten. Somit bewegt sich der Spieler oder die Spielerin in der Ich-Perspektive durch enge Gänge, klettert rostige Leitern hoch und springt über schwindelerregende Abgründe.

Still Wakes the Deep Screenshot
Können wir vielleicht mit diesem Rettungsboot von der Bohrinsel flüchten?
The Chinese Room

Dass Caz kein Held ist, wird auch im Gameplay klar: Geschossen wird in Still Wakes the Deep nicht, stattdessen ist man meist damit beschäftigt, vor den Bedrohungen davonzulaufen oder sich zu verstecken. Ein Grund, weshalb das Spiel auch im Genre der Walking-Simulatoren verortet wird – eine etwas irreführende Bezeichnung, denn das Gefühl eines gemütlichen Spaziergangs wird durch die beklemmende Atmosphäre kein einziges Mal vermittelt. Vielmehr werden manchmal Erinnerungen an das ebenfalls bedrückende Alien: Isolation aus dem Jahr 2014 wach.

Schwer zu verstehen, schön anzusehen

Für ebendiese Atmosphäre wurde von den Developern an verschiedenen Schrauben gedreht. So wühlte man sich durch Archive, um die Ästhetik von Bohrinseln der 1970er-Jahre möglichst authentisch wiedergeben zu können. Grafisch dargestellt wird dies mithilfe der Unreal Engine 5, zu beobachten ist dabei eine große Liebe für Details: Von den Rostflecken auf den gelben Leitern bis zu den Regentropfen an den Fensterscheiben, alles fühlt sich äußerst realistisch an.

Ergänzt wird dies durch ein ausgeklügeltes Sounddesign: Oft hört man die Monster, lange bevor man sie erblickt, ihr Kreischen, Fauchen und Toben sorgt für Gänsehaut. Als Sprecher wurden wiederum Menschen aus dem schottischen Sprachmilieu gewonnen. Damit wirkt auch dieser Aspekt äußerst authentisch – wer mit dem schottischen Slang jedoch nicht allzu firm ist, sollte die Untertitel aktivieren.

Schwachpunkte

Schade ist, dass das Spiel an manchen Stellen dennoch schwächelt. Auf technischer Ebene sei etwa zu erwähnen, dass die Gliedmaßen der Antagonisten aufgrund von Grafikfehlern manchmal auf unrealistische Weise Türen und Wände durchdringen.

Still Wakes the Deep Screenshot
Auf technischer Ebene profitiert das Spiel von der Unreal Engine 5 – wenn auch nicht immer.
The Chinese Room

Zudem dürfte das Spielprinzip nicht jeden Gamer begeistern – und zwar nicht nur, weil kein einziges Mal geschossen wird. Auch folgt man meist einem linearen Pfad, von dem man schwer abweichen kann: Schlägt man doch einmal einen anderen Weg ein, so weist Caz sogar darauf hin. Das verhindert zwar entsprechenden Frust durch Verlaufen, ein Entdeckerfeeling kommt aber auch kein einziges Mal auf.

Schließlich sei noch zu erwähnen, dass Still Wakes the Deep mit einer Spielzeit von maximal sechs Stunden äußerst kurz ist – und sich Gamer außerhalb des Games-Pass-Ökosystems somit fragen müssen, ob sie dafür wirklich knapp 35 Euro lockermachen wollen.

Fazit: Ein kurzer, aber gelungener Gruselspaß

Still Wakes the Deep ist somit ungeeignet für jene, die sich in einem Spiel wie Helden fühlen, wild um sich schießen und nachher ihre Performance in Statistiken vergleichen wollen – für diese Zielgruppe gibt es genügend andere Spiele. Und auch wer sich gern in offenen Welten verliert, sich viele Nebenquests oder eine lange Handlung erwartet, ist hier an der falschen Stelle.

Gut bedient sind mit Still Wakes the Deep hingegen jene, die eine lineare Story in einer beklemmenden Atmosphäre – technisch bis auf wenige Patzer gelungen umgesetzt – erleben wollen, sowie Menschen, die bereits die eingangs genannten Filme und die Werke H. P. Lovecrafts genossen haben.

Wer zu dieser Zielgruppe gehört und ein Game-Pass-Abo hat, der kann guten Gewissens einen Ausflug in die raue Nordsee wagen. Für alle anderen zahlt es sich wohl aus, eine entsprechende Rabattaktion abzuwarten. (Stefan Mey, 29.6.2024)