Christoph Wiederkehr, Sigrid Maurer im Interview
Sigrid Maurer bezweifelt, dass pinke Speedboote den roten Tanker in Wien umsteuern können. Christoph Wiederkehr findet, die Grünen machen bei parteipolitischen Personalbesetzungen mit.
Regine Hendrich

Sigrid Maurer verhandelt im Bund mit der ÖVP, Christoph Wiederkehr in Wien mit der SPÖ. Beide sind sich einig: Ihre Koalitionspartner brauchen Nachhilfe in Sachen Transparenz. Über das Wie diskutieren die beiden leidenschaftlich. Ein Gespräch über personelle Konsequenzen und umstrittene Postenbesetzungen.

STANDARD: Die Neos regieren in Wien mit, die Grünen im Bund. Gibt es Dinge, die Sie in der Position Ihres Gegenübers anders gemacht hätten?

Maurer: Die Neos haben das Thema Transparenz immer propagiert, aber in der Umsetzung gibt es für mich Fragezeichen. Ein paar Dinge sind in Wien schon passiert. Aber Themen wie die Wien Energie und die Kleingartenaffäre dem Koalitionspartner SPÖ einfach so sang- und klanglos durchgehen zu lassen – das haben wir in vergleichbaren Fällen im Bund anders gehandhabt.

Wiederkehr: Wir haben das Krisenmanagement von Wien Energie massiv kritisiert und als Konsequenz daraus ein großes Transparenzpaket präsentiert. Für mich ist wesentlich, dass es Verbesserungen gibt. Wir haben Oppositionsrechte gestärkt. Und über unseren Regierungsmonitor ist unsere Arbeit für die Bevölkerung abrufbar. Ich bin froh, dass das Informationsfreiheitsgesetz im Bund gekommen ist, aber es ist ein schmerzhafter Kompromiss: Für kleinere Gemeinden gibt es Ausnahmen von der aktiven Veröffentlichungspflicht. Es war allerdings auch für uns viel Arbeit, dass Wien hier eine klare Haltung für die Informationsfreiheit einnimmt.

Maurer: Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses halte ich für republiksverändernd. Wir haben diesen Kompromiss geschlossen, weil alles nachfragbar ist. Aber die Stadt Wien ist sicher kein Hort der Transparenz.

Wiederkehr: Wir übererfüllen einige der Regeln, davon haben wir die Sozialdemokratie überzeugt.

STANDARD: Es ist für Sie beide auch die erste Regierungsfunktion, nachdem Sie Ihre jetzigen Koalitionspartnerinnen jahrelang kritisiert hatten. Gab es auch Punkte, bei denen Sie gesagt haben: Ah ja, wenn man regiert, ist das halt so?

Maurer: Wir haben zum Beispiel festgestellt: Man braucht wirklich Kabinette mit ordentlich Personal, um die Aufgaben zu bewältigen. Da ändern sich natürlich Perspektiven auch in Bezug auf Dinge, die man skandalisiert hat. Ich weiß nicht, wie’s dir da geht.

Wiederkehr: Ich finde es wichtig, auch in Regierungsverantwortung Haltung zu bewahren, nämlich die Funktion so anzulegen, dass man der Bevölkerung dient.

STANDARD: Sowohl grüne als auch pinke Regierungsbüros wurden vom Rechnungshof wegen der Vermischung von Amt und Partei bei den Social-Media-Accounts gerügt. Muss man ein Stück des Transparenzanspruches aufgeben, wenn man in die Regierung kommt?

Wiederkehr: Mir persönlich war es wichtig, immer sauber zu trennen: unterschiedliche Mitarbeiter, aber gleicher Kanal. Der Rechnungshof ist zum Schluss gekommen, dass das eine Vermischung ist. Jetzt läuft es bei mir allein über die Partei. Hier braucht es eine gesetzliche Grundlage.

Maurer: Auch wir haben versucht, das bestmöglich zu machen und strikt getrennt, mit eigenen Richtlinien. Das ist offenkundig ein Lernfeld für alle Parteien – mitunter auch den Rechnungshof.

STANDARD: Die Kleingartenaffäre der Wiener SPÖ blieb ohne Konsequenzen, sind die Neos da an ihre Grenzen gestoßen?

Wiederkehr: Es gab auf unseren Druck große Veränderungen. Durch uns ist es nicht mehr möglich, dass die Stadt Kleingärten an Private verkauft. Die Kleingartenaffäre habe ich aus moralischer Sicht für sehr problematisch erachtet.

STANDARD: Sie haben Compliance-Regeln für Mandatarinnen und Mandatare gefordert.

Wiederkehr: Die kommen auch, selbstverständlich. Aber wichtig ist schon auch: Es gibt eine moralische Ebene, die über die rechtliche hinausgeht.

Maurer: Es geht um die Frage von politischen Konsequenzen. Im Bund musste – in anderer Konstellation – der Bundeskanzler (Sebastian Kurz, Anm.) auch wegen unseres Drucks zurücktreten. Der Herr Nevrivry sitzt immer noch völlig unbehelligt von der ganzen Geschichte im Bezirksvorstehersessel.

Wiederkehr: Du weißt schon, dass Bezirksvorsteher direkt gewählt sind, das ist ein Unterschied zu einem Minister.

Maurer: Wir sind auch nicht Teil des Gemeindebunds, haben aber öffentlichen Druck gemacht und dazu beigetragen, dass Alfred Riedl nach seinen Grundstücksgeschäften zurückgetreten ist.

Wiederkehr: Ihr dürft auch die Sozialdemokratie kritisieren!

Maurer: Wir tun das ausführlich.

Wiederkehr: Na dann.

STANDARD: Die türkis-grüne Koalition hat mit einer großen Verheimlichung begonnen: dem Sideletter, der aber erst 2022 ans Licht gekommen ist. Kann man Transparenz in einer intransparenten Koalition durchsetzen?

Maurer: Die Rahmenbedingungen waren damals anders, wir waren in einer Koalition mit Sebastian Kurz. Ich würde diese Dinge heute einfach komplett normal in einen Koalitionsvertrag hineinnehmen.

STANDARD: Hat Rot-Pink in Wien einen Sideletter?

Wiederkehr: Nein. Wir haben alles ins Koalitionspapier geschrieben, und es gibt keine Nebenvereinbarungen zu Besetzungen. Im Besetzungsprozess macht eine unabhängige Kommission den Vorschlag, um dann den Bestqualifizierten zu nehmen. Dass die Verwaltung parteipolitisch besetzt wird, ist eine Unanständigkeit.

Maurer: Uns unterscheidet in der Zielsetzung hier absolut gar nichts. Im roten Wien kann der Bürgermeister bei Posten tun und lassen, was ihm gefällt. Wenn ich ihn das als Koalitionspartner machen lasse, kann ich nicht einmal mitreden. Wir haben das auf Bundesebene sehr konsequent ausgefochten, etwa bei der Besetzung des Bundesverwaltungsgerichts und der Bundeswettbewerbsbehörde.

Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses sei "republiksverändernd", findet Maurer. Wiederkehr ist ob der Ausnahmen ein wenig enttäuscht.
Regine Hendrich

Wiederkehr: Die Frage ist: Macht man mit bei dem Spiel, oder möchte man die Regeln verändern? Die Wiener Grünen haben vor unserer Regierungsbeteiligung Aufsichtsräte parteipolitisch ausgehandelt, das halte ich für unanständig. Die Grünen spielen mit. Mein Ansatz ist, ein neues Spielfeld zu schaffen.

Maurer: Aber spielst du überhaupt mit? Du hast dich doch einfach aus dem Spiel genommen.

Wiederkehr: Postenbesetzungen in der Verwaltung machen wir mit einer externen Beratungsagentur und einer gemeinsamen Entscheidung. (Maurer lacht.) Natürlich gibt es Bestellungen, mit denen ich nicht zufrieden bin, das kritisiere ich dann auch.

Maurer: Mein Eindruck ist, ihr tut dann einfach, was die SPÖ will. Das ist nicht unser Weg in der Bundesregierung.

STANDARD: Beide Koalitionen gehen auf ihr Ende zu. Haben sich Ihre Partnerinnen im Zugang zu Transparenz verändert?

Wiederkehr: Es gibt einen langsamen, aber beständigen Gesinnungswandel, der aber noch viel Antrieb braucht. Die SPÖ ist ein großer Tanker, der Sachen seit vielen Jahren so gemacht hat. Wir Neos sind schnellere Speedboote, die immer wieder anziehen, um Sachen zu verbessern. Oft gelingt es uns, den Tanker in die richtige Richtung zu bringen.

Maurer: Ich bezweifle sehr stark, dass man mit einem Speedboot einen Tanker umsteuern kann. Man muss schon selbst mitsegeln und das Steuer übernehmen.

STANDARD: Sie haben die ÖVP geentert?

Maurer: Natürlich haben auch die Rahmenbedingungen die ÖVP unter Zugzwang gebracht. Die Veröffentlichungen diverser Chats und die Inseratenaffäre haben es notwendig gemacht, dass sich die Partei anders orientiert. Und es braucht Geschicklichkeit und politisches Können, um sich als Koalitionspartner durchzusetzen. Was die Einstellung zu Transparenz betrifft, gibt es schon eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung. Für Kleingärtenaffären etwa hat niemand Verständnis. Wir konnten einen Kulturwandel einläuten. Aber es ist weit mehr nötig als ein Speedboot.

Wiederkehr: Die Augenhöhe in einer Koalition muss man immer wieder einfordern. Du machst die Rolle von Juniorpartnern aber ein bisschen zu klein. Wir haben eine relativ starke Macht und Rolle: Wenn nicht zwei abschließen, gibt es keinen Koalitionsvertrag und kein Budget. Da kann mit einer klaren Haltung viel gelingen.

Maurer: Natürlich haben Juniorpartner relativ viel Macht. Ich habe gemeint: Parteien, die lange regieren, sind mitunter empört, wenn ein kleinerer Koalitionspartner ernsthaft mitregieren will. Befindlichkeiten sind mir wurscht. Wenn man was umsetzen will, geht es nicht primär nur um Haltung, sondern auch um politisches Geschick. (Sebastian Fellner 27.6.2024)