Ein junge Frau, die auf ihr Smartphone schaut.
Insbesondere der Content junger Frauen dreht sich häufig darum, welche Lebensmittel besonders lange satt halten.
IMAGO/Westend61

"Hier ist alles, was ich als Carnivorin esse: So habe ich 30 Pfund Fett abgenommen, reine Haut und kräftige Haare bekommen, und ich bin voller Energie!" Bella lächelt und beißt in ein faustgroßes Stück Butter. Auf dem Teller, den die Tiktokerin in die Kamera hält, türmen sich gebratene Hühnerschenkel und Rindsfaschiertes. Seit fünf Jahren ernährt sich die einstige Veganerin ausschließlich von Fleisch und tierischen Fetten, erzählt sie auf ihrem Kanal – und fühlt sich dabei angeblich fantastisch. Ernährungswissenschafter:innen warnen vor den möglichen langfristigen Folgen einer carnivoren Diät – Bellas Videos verzeichnen dennoch hunderttausende Aufrufe.

Ganz anders sieht der Speiseplan von "Fully Raw Kristina" aus. Die Youtuberin mit 1,4 Millionen Abonnent:innen ernährt sich im Wesentlichen von rohem Obst und Gemüse, meidet Fettes wie Pflanzenöle und Nüsse. Kristina scheint immer gutgelaunt und erzählt so wie Bella von reiner Haut und Ausgeglichenheit, selbst ihre Augenfarbe soll sich durch die Ernährungsweise verändert haben, wie sie in einem Video behauptet. Die Influencerin startete bereits 2012 auf Youtube, inzwischen verkauft Kristina auf ihrer Website Onlineprogramme und Rezeptbücher, auch "Fully Raw Retreats" auf Bali hat sie im Angebot.

Essen als Identität

Längst nicht alle Food- und Fitnessinfluencer:innen propagieren so extreme Ernährungsweisen, wie Kristina und Bella es tun. Die Inhalte rund ums Essen, um Genuss und Verzicht sind aber auf Tiktok und Co in jedem Fall kaum zu überblicken. Während manche an die traditionelle Kochshow des linearen Fernsehens anknüpfen und vor der Kamera Pizzateig kneten oder Eier pochieren, setzen andere vor allem auf die "richtige" Ernährungsweise – um gesund oder schlank zu bleiben, Muskeln aufzubauen, das Klima zu schonen oder religiöse Essensgebote mit besonders raffinierten Speisen einzuhalten.

"Essen ist Identität, weil man ist, was man isst. Und heutzutage auch, weil man ist, was man nicht isst", sagt Ernährungssoziologe Daniel Kofahl. Über Essen und Trinken könnten Menschen nicht zuletzt ausdrücken, zu welcher Gruppe oder Kultur sie sich rechnen. "Es geht aber ebenso um die Inszenierung von Selbstdisziplin, Sinnsuche oder ästhetischen Standards. Essen bietet sich hier hervorragend an, weil es allen bekannt ist und zu jedem Alltag unweigerlich dazugehört", sagt Kofahl.

Supertrend Protein

Dieser Alltag zeigt sich im Dauerbrennerformat "What I eat in a day". Nutzer:innen filmen alles, was sie an einem Tag essen, erläutern dabei etwa den Proteingehalt ihres Frühstücks oder lassen einen Kalorienzähler mitlaufen. Insbesondere der Content junger Frauen dreht sich häufig darum, welche Lebensmittel besonders lange satt halten oder wie kalorienreiche Zutaten durch Alternativen ersetzt werden können. Kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Nudeln oder Brot zu reduzieren und stattdessen auf eiweißreiche Nahrung zu setzen hat sich dabei als anhaltender Trend etabliert. Influencer:innen schwören auf die "Keto-Diät", um abzunehmen oder schlank zu bleiben, trinken Misosuppe zum Frühstück und peppen ihr Porridge mit besonders zuckerarmen Früchten auf. So sind auch Proteinpulver, die früher in Fitnessstudios verkauft wurden, inzwischen in jedem Drogeriemarkt zu finden.

Alles fürs Dünnsein

"Gesunde Ernährung ist für Mädchen ein enorm wichtiges Thema", sagt Martina Kugi, Beraterin im EqualiZ in Klagenfurt. Wenn in Workshops Inhalte aus sozialen Medien reflektiert würden, würden immer auch Ernährungsformen und Körperideale zur Sprache kommen. "Essstörungen werden nicht ausschließlich durch Social Media oder den Vergleich mit anderen ausgelöst, da spielen mehrere Faktoren zusammen", sagt Kugi. Die ständige Beschäftigung mit dem Essen, mit vermeintlich erlaubten und verbotenen Lebensmitteln könne aber die Entwicklung einer Essstörung begünstigen, so Kugi.

Wer sich auf Tiktok Videos über Diäten ansieht, bekommt immer mehr solchen Content in den Feed gespült. Darunter Nutzer:innen, die offen über gescheiterte Abnehmversuche und die Versöhnung mit dem eigenen Spiegelbild erzählen. Aber auch Tipps, wie sich das Hungergefühl am besten unterdrücken lässt. Oder "Speaking the truth"-Videos: Tiktokerin Sivan etwa erzählt ihren 500.000 Follower:innen, was es wirklich brauche, um dünn zu sein: zum Beispiel Menschen die Freundschaft aufzukündigen, die viel essen und den eigenen Zielen deshalb nur im Weg stehen würden.

Schönheitsideale und Ernährung seien für Mädchen ganz zentrale Themen – davon berichtet auch Katharina Lhotta, Geschäftsführerin des Mädchencafés Aranea in Innsbruck. "Obwohl wir heute eine Body-Positivity-Bewegung haben, ist das Ideal der sehr schlanken Frau nach wie vor in unseren Köpfen verankert", sagt Lhotta. Praktisch alle Mädchen, die vom gängigen Körperideal abweichen, würden in Workshops von Bodyshaming berichten – im persönlichen Umfeld, aber auch in den sozialen Netzwerken. "Und das macht etwas mit dem Selbstwert", so Lhotta.

Auf Social Media Gleichgesinnte zu finden könne eine enorme Ressource für Mädchen darstellen – aber auch eine Gefahr. "Du öffnest eine App und findest sofort Menschen, die dir Tipps geben, wie du am einfachsten erbrichst oder dein Essverhalten vor den Eltern verheimlichst. Das kann eine Essstörung verfestigen", sagt Lhotta.

Lebenswelt Social Media

Erst kürzlich zeigte eine deutsche Studie, dass Essstörungen bei Mädchen und jungen Frauen stark zugenommen haben. In einer repräsentativen Erhebung von Saferinternet.at wiederum gaben 60 Prozent der befragten Mädchen zwischen elf und 17 an, dass sie gern etwas an ihrem Körper ändern würden. Drei Viertel aller Befragten zeigten sich davon überzeugt, dass Influencer:innen aus dem Bereich Beauty und Fitness einen Einfluss auf Kinder und Jugendliche ausüben.

Jugendliche wüssten durchaus Bescheid, dass Influencer:innen tricksen, Filter einsetzen oder vielleicht nicht die ganze Wahrheit zeigen, berichtet Matthias Jax, Projektleiter bei Saferinternet.at. "Aber es macht doch etwas mit ihnen, weil sie die ganze Zeit damit konfrontiert sind", sagt Jax.

"Was hast du da gerade gesehen?" – diese Frage sollten Eltern ihren Kindern öfter stellen, sagt Katharina Lhotta. Dass digitale Welten im Leben von Jugendlichen meist gleichberechtigt neben dem analogen Leben stünden, würden Erwachsene häufig nicht verstehen. Dementsprechend fehle eine Begleitung der Jugendlichen. "Auf Tiktok oder Snapchat stoßen sie oft auf Inhalte, die nicht altersgerecht sind. Und von 14- oder 16-Jährigen kann ich nicht verlangen, dass sie das mit sich selbst ausmachen", sagt Lhotta.

Selbst vermeintliche Tipps für eine gesunde Lebensweise können schließlich ihre Tücken haben. So berichten User:innen davon, dass sie immer wieder neue Ernährungsformen ausprobiert haben, in der Hoffnung, endlich abzunehmen – und dabei von einem Extrem ins nächste kippten. Youtuberin Desy appelliert deshalb auch an die Verantwortung von Influencer:innen. Sie selbst habe durch verschiedene gescheiterte Diätformen zumindest wieder zu einer ausgewogenen Ernährung zurückgefunden. "Mit Extremdiäten verschlimmern wir nur unser Verhältnis zu Essen", sagt sie. (Brigitte Theißl, 28.6.2024)