Damit hatte man offenbar weder bei der Staatsanwaltschaft (StA) Wien noch bei den Ermittlern oder im Staatsschutz gerechnet: Am Mittwoch entschied das Oberlandesgericht (OLG) Wien, dass der ehemalige Verfassungsschützer Egisto Ott aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss.

Gegen Ott wird seit 2017 wegen Spionageverdachts ermittelt, 2021 wurde er erstmals in U-Haft genommen. Auch danach soll er noch Kontakt mit mutmaßlichen russischen Agenten gepflegt haben. In Berichten der AG Fama, die polizeilich ermittelt, hieß es zuletzt, Ott, sein ehemaliger Vorgesetzter Martin Weiss und der frühere Wirecard-Manager Jan Marsalek seien Teil einer nachrichtendienstlichen Zelle, deren Kapazitäten von russischen Geheimdiensten genutzt würden. Dementsprechend groß ist die Überraschung über die Enthaftung des 62-jährigen gebürtigen Kärntners.

Egisto Ott
Egisto Ott steht unter Spionageverdacht.

Für eine U-Haft muss in Österreich mindestens einer von drei Gründen vorliegen: Tatbegehungsgefahr, Verdunkelungsgefahr oder Fluchtgefahr.

Letztere ist von der Staatsanwaltschaft (StA) Wien im Fall Ott nicht angeführt worden. Das liegt daran, dass der ehemalige Staatsschützer in den vergangenen sieben Jahren, in denen gegen ihn ermittelt wurde, stets greifbar war. Zudem besitzt Ott ein Haus in Kärnten, und seine Familie lebt in Österreich. Dementsprechend ging die Staatsanwaltschaft entweder von keiner Fluchtgefahr aus oder glaubte nicht, das Gericht überzeugen zu können. Ermittler, die das kritisch sehen, weisen jedoch darauf hin, dass sowohl Marsalek als auch Weiss – die beiden anderen Mitglieder der mutmaßlichen "Zelle" – im Ausland sind, der eine floh nach Moskau, der andere durfte nach Dubai ausreisen und tauchte dann zu Gerichtsterminen nicht auf.

Schock bei Ermittlern und Staatsschützern

Eine Verdunkelungsgefahr sah die Staatsanwaltschaft bei Ott sehr wohl: Sie ging also davon aus, dass er etwa Beweise vernichten oder Zeugen beeinflussen würde. Allerdings ist dieser U-Haft-Grund auf zwei Monate befristet. Ott wurde im März in U-Haft genommen, seit Mai kann die StA also nicht mehr mit Verdunkelung argumentieren.

Damit bleibt die Tatbegehungsgefahr. Das Gericht müsste es für möglich halten, dass Ott Straftaten beginge, sobald er in Freiheit sei. Das verneint das Oberlandesgericht. Es hält fest, dass es keine Anzeichen dafür gebe, dass Ott nach seiner ersten U-Haft im Jahr 2021 weitere Straftaten begangen habe.

Das ist genau der Punkt, der für einen Schock bei Ermittlern, Staatsschützern und auch Betroffenen sorgt. So gab es zwischen 2021 und 2024 mehrere Vorfälle, die Ott in starke Nähe zu russischen Agenten bringen. Das geht für die Ermittler aus Chats hervor, in denen sich ein mutmaßlicher russischer Spion und Marsalek unterhalten. Der frühere Manager des deutschen Wirecard-Konzerns soll mittlerweile selbst für den russischen Inlandsgeheimdienst FSB aktiv sein. In den Chats lotste er Roussevs Agentenbande zur Wohnung von Egisto Otts ehemaligem Schwiegersohn, wo offenbar einmal Smartphones, einmal ein verschlüsselter Laptop übergeben wurden. Auch von Geldtransaktionen ist die Rede.

"Da werden sich alle gewaltig wundern"

Außerdem besorgte Ott am 24. März 2021, also nach seiner U-Haft, die Meldeadresse des Kreml-kritischen Journalisten Christo Grozev. Im Sommer 2022 brach dann jene Gruppe an Agenten, die Marsalek von Moskau aus dirigierte, in Grozevs Wiener Wohnung ein. Auch deshalb verließ der Investigativjournalist nach vielen Jahren die österreichische Hauptstadt.

Dem Oberlandesgericht fehlen in Bezug auf Grozev, die Übergabe der Smartphones sowie des Sina-Laptops jedoch Hinweise auf einen dringlichen Tatverdacht. In seiner Begründung, über die zuerst ZackZack.at berichtet hat, heißt es: "Da bislang keine tauglichen Ermittlungsergebnisse in diese Richtung vorliegen und nicht bekannt ist, ob und welche Daten sich auf gegenständlichem Sina-Laptop befunden haben, ist der Tatverdacht nicht als dringend anzusehen."

Ebenso ist für das OLG offenbar derzeit nur klar, dass Ott Grozevs Daten abgefragt hat. Eine direkte Verbindung zu dem Einbruch konnten die Ermittler bislang aber nicht konkretisieren. In Bezug auf die gestohlenen Smartphones dreier Spitzenbeamter erklärt das OLG: "Eine Verletzung konkreter und vitaler Interessen Österreichs durch deren Übermittlung und der entsprechende Vorsatz des Ott hierauf lässt sich nicht zur Annahme eines dringenden Tatverdachts hinreichend begründen." Man sehe auch keinen Vorsatz, dass Ott zum Nachteil Österreichs handeln wollte.

Ott bestreitet, russischer Spion zu sein. "Da werden sich alle gewaltig wundern, was die Beweisaufnahme ergeben wird", sagte sein Anwalt Jürgen Mertens im Ö1-Mittagsjournal. Für Ott, Weiss und Marsalek gilt die Unschuldsvermutung. (Fabian Schmid 27.6.2024)