USA Flaggen vor Bildschirmen mit Donald Trumps Gesicht
Seit dem 6. Jänner 2021 beschäftigen sich Gerichte mit den Auswirkungen der Aufstände.
AP/John Minchillo

Es war eine knappe Mehrheit, aber doch eine Mehrheit der Höchstrichterinnen und Höchstrichter in den USA, die sich auf die Seite von Joseph Fischer gestellt hat. Fischer war ein Kapitol-Demonstrant, der am 6. Jänner 2021 versucht hatte, die Beglaubigung der Präsidentschaftswahl durch den Kongress zu verhindern. Fischer wurde auf Basis des Sarbanes-Oxley Act verurteilt, was verfassungswidrig war, wie der Supreme Court am Freitag urteilte.

Dieser wurde 2002 vom US-Kongress beschlossen, Anlass war damals der Skandal um das Finanzunternehmen Enron. Dort hatten unter anderem Manager im Vorfeld des Zusammenbruchs und im Zuge der Ermittlungen Papiere geschreddert. Dieses Verhalten sollte fortan unter hohen Strafen stehen, das neue Gesetz sollte daher unter anderem die "Behinderung offizieller Maßnahmen" hart abstrafen. Gemeint waren, das zeigt die Entstehungsgeschichte, mit den "offiziellen Maßnahmen" vor allem Finanzprüfungen.

Keine Dokumente zerstört

Die "offizielle Maßnahme", die Fischer und zahlreiche weitere Kapitol-Stürmer verhindern wollten, war laut Argumentation in ihren Prozessen eben die Beglaubigung. Zahlreiche Verurteilungen könnten nun aufgehoben werden – doch nicht alle. Denn die Staatsanwaltschaft hatte nur die schwersten Fälle nach dem Gesetz angeklagt.

In dem Urteil, das vom Supreme-Court-Vorsitzenden John Roberts begründet wurde, wird der Einsatz des Gesetzes, das eigentlich für Finanzvergehen geschaffen wurde, stark eingeengt. Fischer hätte nicht verurteilt werden dürfen, weil er keine physischen Dokumente zerstört oder manipuliert habe. Das Gesetz wurde aber wohl nicht so weit eingeengt, dass zwei der vier Anklagepunkte in den Kapitol-Sturm-Ermittlungen gegen Donald Trump, die auf der Interpretation des Gesetzes basieren, betroffen wären. Das sagt Jack Smith, jener Sonderstaatsanwalt, der das Bundesverfahren gegen den Ex-Präsidenten leitet.

Alles neu für die Verwaltung

Ein weiteres Urteil mit möglicherweise verheerenden Auswirkungen haben die Höchstrichterinnen und Höchstrichter nur Minuten davor gefällt. Indem sie den Präzedenzfall "Chevron U.S.A., Inc. v. Natural Resources Defense Council, Inc." aufgehoben haben, dürfen künftig nur noch Gerichte Interpretationsspielräume in Gesetzen schließen. Nicht mehr die Fachleute in Behörden, wie das seit dem Jahr 1984 der Fall war. Damals wollte die Ölfirma Chevron wissen, ob die Umweltschutzbehörde, die ihr erlaubt hatte, Gesetzeslücken zu nutzen, das im Einklang mit der Verfassung getan hatte. Ja, lautete damals das Urteil. Nein, heißt es heute. Und damit könnten zahlreiche Regelungen, die US-Behörden in den vergangenen 40 Jahren aufgrund des früheren Urteils erlassen haben – also im Zusammenhang mit Umweltschutz oder dem Gesundheits- und Bildungswesen –, gefährdet sein. Für die Konservativen ist die Chevron-Regelung ein klassisches Beispiel dafür, dass die Regierung entscheide, was sie wolle, ohne sich um konkrete Gesetze zu kümmern.

Geklagt hatten zwei Heringsfischereifirmen aus New England, Loper Bright und Relentless. Sie wollten sich von der Pflicht befreien, Fischereikontrolleure der Regierung auf ihre eigenen Kosten mit auf hohe See zu nehmen. Doch nicht nur für den Heringsfang ändert sich nun einiges. Ein Gutteil der Verwaltung in den USA muss nun wohl neu aufgestellt werden. (Bianca Blei, Manuel Escher, 28.6.2024)