Ich seh, ich seh, was du nicht siehst. Etwas verkürzt, lässt sich so das Konzept der Werbung an den Banden bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland beschreiben. Denn tatsächlich sehen die Menschen in den Stadien andere Werbung als jene vor den Fernsehgeräten, zumindest in manchen Ländern. Der Grund dafür heißt virtuelle Bandenwerbung. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz projiziert die Uefa Werbeinhalte an die Banden, speziell zugeschnitten auf den deutschen, chinesischen und US-amerikanischen Markt. Soll heißen, Chinesen lesen beispielsweise Werbung von einer deutschen Firma bei einem Fußballspiel in Deutschland in chinesischer Sprache.

Neu ist diese Technik nicht, aber sie kommt zum ersten Mal bei einer Europameisterschaft zum Einsatz. Und dass das so ist, muss speziell gekennzeichnet werden. Deutsche Sender blenden dementsprechend den Hinweis "Enthält virtuelle Werbung" ein. Fernsehzuseher hierzulande suchen diesen Hinweis vergeblich. "Diese virtuelle Bandenwerbung gibt es bei uns nicht, wir bekommen das herkömmliche Signal von der Uefa", heißt es dazu bei Servus TV. Großer Aufwand steckt jedenfalls nicht dahinter, eine Software erledigt die Arbeit, und es braucht weder mehr Personal noch Kameras. In der Formel 1 und beim Eishockey gibt es virtuelle Werbung schon seit Jahren.

Josip Stanisic von Kroatien holt mit dem Fuß aus, um den Ball zu flanken. Dahinter ist eine Bande mit Lidl-Werbung.
Für Zuseherinnen und Zuseher im Stadion sieht die Bande anders aus als für jene vor deutschen Fernsehgeräten. Und chinesischen. Und amerikanischen.
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Überschätzte Bandenwerbung

Hintergrund dieser Werbeform sind klarerweise Profitinteressen der werbenden Unternehmen. "Virtuelle Bandenwerbung hat diese Werbeform vor einer Stagnation bewahrt. Unternehmen können ihre Inhalte viel besser steuern und auf die entsprechenden Märkte zuschneiden", sagt Tim Ströbel, Professor für Marketing und Sportmanagement an der Universität Bayreuth, im Gespräch mit dem STANDARD. Für Sponsoren sei das zweifelsfrei eine wichtige technische Errungenschaft, dennoch werde Bandenwerbung gern überschätzt. Das Logo sei zwar während des Spiels sichtbar, aber man sei als Werbender unflexibel. "Aktionen über Social Media oder vor dem Stadion erzielen meist mehr Aufmerksamkeit und bleiben stärker in Erinnerung als die Werbung auf der Bande."

Probleme bei Übertragungen

Grundsätzlich verspricht das System, dass virtuelle Bandenwerbungen die Übertragung nicht beeinflussen. Der ORF musste 2022 allerdings feststellen, dass das schon durchaus möglich ist. Bei einem Nations-League-Spiel zwischen Österreich und Frankreich ruckelte und zuckelte das Bild die ersten zehn Minuten wie bei einem schlechten, wirklich schlechten, Livestream. Schlussendlich wechselte der ORF auf das Signal des französischen Anbieters, DER STANDARD hat berichtet. Bei einem Spiel zwischen Deutschland und den USA im Herbst gab es ähnliche Probleme.

Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt bei virtuellen Werbebanden eine Rolle. Verbände müssen keinen logistischen Aufwand betreiben und LED-Banden oder Ähnliches quer durch Europa karren. Aber auch wenn Werbung, Vermarktung und Geld im Fußball mittlerweile eine zentrale Rolle eingenommen haben: Der Fokus liegt immer noch auf 22 Menschen und dem Ball. (Andreas Danzer, 1.7.2024)