Eingangsbereich des Landesgerichts für Strafsachen Wien
Am 9. Dezember starb eine 16-Jährige in Wien an einer Überdosis. Bei einem Prozess am Landesgericht soll geklärt werden, ob sie ein Bekannter davor noch missbraucht hat.
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Wien – "Es ist eine unglaublich tragische Geschichte", fasst die Vorsitzende des Schöffengerichts im Verfahren gegen einen achtfach vorbestraften 55-Jährigen zusammen. Es geht um die Umstände des Ablebens einer 16-jährigen Suchtkranken, die am 9. Dezember tot im Bett des Angeklagten in Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus gefunden wurde. Genauer, es geht um die Frage, ob der Rumäne das Mädchen sexuell missbraucht hat, als sie bereits bewusstlos oder sterbend war.

"Es war ein wunderschöner Abend mit einem tragischen Ende", sagt der Mann, der ein schwarzes T-Shirt mit dem orangen Aufdruck "Nichtraunzer" trägt, als er aus der Untersuchungshaft in den Saal geführt wird. Er habe das Mädchen bereits am Tag zuvor kennengelernt, sie habe ihm gesagt, dass sie Prostituierte und 19 Jahre alt sei, erzählt er. "Wir haben Tee getrunken und sind dann bald eingeschlafen", behauptet er über dieses erste Treffen in der Wohnung eines Freundes, in der auch er nächtigte.

"Ist es zu geschlechtlichen Handlungen gegen Geld gekommen?", will die Vorsitzende wissen. "Nein." – "Warum nicht?" – "Es kam nicht dazu." – "Wurden Zärtlichkeiten ausgetauscht? Das haben Sie bei der Polizei gesagt." – "Nein, das stimmt nicht, das wurde aus mir herausgepresst", beschwert der Angeklagte sich. Am nächsten Tag habe er der 16-Jährige noch Wäsche gegeben und ihr eine grüne Mütze gekauft, dann hätten sich die Wege vorerst getrennt.

Beeinträchtigt und müde

Da man Telefonnummern ausgetauscht hatte, meldete sich das Mädchen, das drei Tage vorher aus seiner Wohngemeinschaft verschwunden war, am Abend wieder beim Angeklagten. Das Mädchen sei beeinträchtigt gewesen, aber nicht sehr, behauptet er. Gemeinsam konsumierte man bei ihm weitere illegale Rauschmittel, dann sei es zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr gekommen. "Sie war zwar müde, aber von einer durchzechten Nacht", beschreibt der 55-Jährige.

"Wie war denn der Zustand des Mädchens beim Sex?", interessiert die Vorsitzende. "Laut." Mehr will der Angeklagte dazu nicht sagen. Als er am nächsten Tag aufwachte, sei das Teenagermädchen tot im Bett gelegen, woraufhin er die Polizei alarmiert habe. "Haben Sie davor noch mit ihr Sex gehabt?", fragt die Vorsitzende nach. "Nein." – "Bei der Polizei haben Sie gesagt, Sie hätten es in der Früh noch probiert, als sie reglos dalag." – "Ich weiß nicht mehr, warum ich das gesagt habe. Sie haben mich einen Mörder genannt!", entgegnet der immer wieder abschweifende und aufbrausende Angeklagte.

"Zusammengefasst: Sie hatten einmal mit ihr Geschlechtsverkehr, und der war einvernehmlich. Wie lange hat der gedauert?", will Beisitzer Wolfgang Etl wissen. "Ich bin zwar ein toller Hecht, aber 55 Jahre alt ...", antwortet der Angeklagte. "Wie viele Minuten?" – "Das möchte ich nicht sagen." Die Lichtbilder der Leiche, die auf Bitte von Staatsanwältin Leila Ivo auf seinen Monitor geschaltet werden, will er nicht sehen. "Machen Sie das weg!", fordert er. "Die Unterhose und die Socken sind verkehrt herum angezogen. Wer hat das angezogen?", möchte die Anklägerin erfahren. "Sie hat das selbst gemacht!", behauptet der Angeklagte.

Tod durch Überdosis

Der medizinische Sachverständige Nikolaus Klupp und sein für Toxikologie zuständiger Kollege Günter Gmeiner können mit ihren Gutachten bei der Klärung nur bedingt helfen. Die 16-Jährige sei an einem durch eine Überdosis verursachten Herz-Kreislauf-Stillstand gestorben, so viel sei sicher. Auch dass der Angeklagte mit ihr intim gewesen sei. Wie oft, wann und in welchem Zustand das Mädchen dabei war, können die Experten nicht sagen.

Nach 20 Minuten Beratung spricht der Senat den 55-Jährigen nicht rechtskräftig frei. "Moralisch ist das, was Sie gemacht haben, höchst verwerflich", stellt die Vorsitzende klar, nachdem die Hinterbliebenen empört den Saal verlassen haben. Da man nur die widersprüchlichen Aussagen des Angeklagten habe, könne man nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, was passiert sei, begründet die Vorsitzende. Lediglich für einen Fall von Schwarzfischen im vergangenen Sommer wird er zu zwei Monaten bedingt verurteilt. Der Angeklagte akzeptiert, Staatsanwältin Ivo gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 27.6.2014)