Die beiden Ministerinnen Leonore Gewessler und Karoline Edtstadler sind dem Ansehen Österreichs in Brüssel nicht dienlich.
APA/ERWIN SCHERIAU

Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler hat sich in der ZiB 2 einen Fauxpas der Sonderklasse geleistet. Durch den Beschluss der EU-Renaturierungsverordnung werde Österreich "für viele Jahre gebunden", erklärte sie. Es ging dabei um die umstrittene Zustimmung durch ihre Ministerkollegin Leonore Gewessler beim EU-Ministerrat – gegen den erklärten Willen von Kanzler Karl Nehammer.

Dass Österreich nach 30 Jahren EU- und Euromitgliedschaft aufs Engste an die gemeinsame Politik gebunden und eingebunden ist, ist wenig aufregend. Starker Tobak war aber der Nachsatz: Dadurch gäbe es "ein weiteres Diktat aus Brüssel" beim Klimaschutz.

Eine solche Aussage ist einer Europaministerin nicht würdig. Sie ist skandalös. Edtstadler wäre gut beraten, wenn sie das öffentlich korrigiert und mit Bedauern zurücknimmt, als Ausrutscher in der Hitze des Gefechts.

Ein starkes Stück

Das gilt im Übrigen auch für Gewessler und ihr missionarisches Amtsverständnis: Als Umweltministerin auf der großen EU-Bühne zu sagen, sie habe nach ihrer persönlichen Überzeugung, aus dem Herzen gehandelt, trotz schwerer rechtlicher Bedenken des Verfassungsdienstes der Republik und des Neins ihres Regierungschefs zu Hause, ist ein starkes Stück – leider im negativen Sinn. So kann sich eine Geschäftsführerin von Global 2000 verhalten und ausdrücken, die sie früher war, aber nicht das Mitglied einer Bundesregierung, die von EU-Partnern ohne begründete Zweifel ernst genommen werden will.

Der scheidende EU-Kommissar Johannes Hahn kritisierte das alles im STANDARD unverblümt: "Es gibt aus Brüssel kein Diktat. Es gibt eine demokratische Beschlussfassung durch die Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament." Seine Parteifreundin Edtstadler sollte "mit Worten aufpassen". Zu Gewessler sagte er, diese vermittle das Gefühl, "für sie ist Recht, was ihr recht ist". Volltreffer. Den Verfassungsdienst pauschal zu brandmarken sei "höchst problematisch". Übersetzt: So eine populistische Aussage ist voll daneben.

Grundsatzdebatte muss her

Die Auseinandersetzungen zur EU-Renaturierung könnte man als Provinzposse abtun. Aber sie enthüllten mehr, als Schwarz-Grün lieb sein kann. Es muss nun eine Grundsatzdebatte darüber geben, welchen Kurs Österreich in seiner Europapolitik gehen will. Denn es scheint, als hätten nicht nur ein paar "wild" gewordene Ministerinnen den bewährten europapolitischen Kompass verloren, sondern ganze Parteien, und fast alle.

Eine ÖVP, die "Diktate aus Brüssel" an die Wand malt, eine FPÖ, die die EU als "Wahnsinn und Irrenhaus" ablehnt, eine SPÖ, deren Parteichef in Sachen EU durch weitgehende Abwesenheit glänzt, Grüne, die Regierungspolitik als Fortsetzung von Kampagnen ihr nahestehender NGOs verstehen: Was ist los im Staate Österreich?

Das fragen sich derzeit viele, in Österreich und bei den Partnern in Europa. In der realen Welt der Krisen und Kriege sollten wir andere Sorgen haben. Dass die erste TV-Konfrontation zwischen US-Präsident Joe Biden und Donald Trump am Tag eines EU-Gipfels in Brüssel stattfindet, bei dem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auftritt und über die EU-Führung für die kommenden Jahre entschieden wird, ist Zufall. Aber auch ein Signal. Für provinzielle Umtriebe und Schlammschlachten österreichischer Minister ist gerade nicht die Zeit. (Thomas Mayer, 27.6.2024)