In Wien, Niederösterreich und dem Burgenland haben die Sommerferien begonnen, in den restlichen Bundesländern ist es demnächst so weit. Wie jedes Jahr wird zu dieser Zeit Bilanz gezogen über das abgelaufene Schuljahr. Was wurde heuer besonders oft diskutiert? In ganz Österreich fehlen die Lehrer:innen, das ist wohl die dringlichste Thematik. Und wie sieht es an den Pflichtschulen aus? Viele Schüler:innen verlassen die Schule, ohne die Mindeststandards erreicht zu haben. Das ist nichts Neues. Kinder aus bildungsfernen, ökonomisch schwachen Elternhäusern, oft mit Migrationshintergrund und einer anderen Erstsprache als Deutsch, schaffen es nur zu einem geringen Prozentsatz (sieben Prozent!!) an Universitäten und andere tertiäre Einrichtungen. Heuer wurde mehrfach auch die Zugehörigkeit zur muslimischen Religion als großes Problem genannt, und der Wiener Bildungs- und Integrationsstadtrat ließ uns wissen, dass in Wiener Volksschulen Kinder mit muslimischer Religion bereits die Mehrheit ausmachen.

Mehrere Kinder stehen und sitzen rund um eine Lehrerin und zeigen auf.
Einer starken, kompetenten Führungskraft an der Spitze einer Schule kommt eine zentrale Bedeutung zu.
HANS KLAUS TECHT / APA / picture

Nun ließe sich zu jedem dieser genannten Punkte eine kleine Abhandlung schreiben. Ich möchte mich stattdessen auf die Frage konzentrieren, ob eine homogene Kindergartengruppe oder Volksschulklasse mit migrantischem Hintergrund nur durch Durchmischung bessere Erfolge erzielen kann, oder ob es auch anders geht. Dazu möchte ich Sie zu einem Besuch an eine Londoner Schule einladen, die auch Kindergartengruppen führt.

"Higher than Standard"

Wenn man sich über die von der renommierten Sunday Times als beste Volksschule Englands 2023 gekürte Schule informiert, ist man erstaunt, dass es sich um eine Londoner Schule handelt, die alle Voraussetzungen für eine sogenannte Brennpunktschule aufweist – die Mayflower School im Londoner Bezirk Tower Hamlets. Die 411 Kinder kommen zu fast 100 Prozent aus muslimischen Elternhäusern, ein hoher Prozentsatz sind Bangladescher. Fast 50 Prozent haben Anspruch auf gratis Schulessen – Voraussetzung dafür, dass die Schule pro Kopf für diese Kinder zusätzliche finanzielle Ressourcen erhält. Zwar ist das Schulessen in London seit einiger Zeit für alle jüngeren Schüler:innen gratis, die sogenannte Pupil Premium erhält die Schule dennoch. Das ist eine Mittelzuteilung nach Kriterien des Sozialindex, die es seit 2011 für Kinder aus einkommensschwachen Familien in ganz England gibt. Im vergangenen Schuljahr waren das für die Mayflower School immerhin 231,345 Pfund (273,375 Euro).

Wie an allen Londoner Schulen muss man zuerst durch eine Security, bevor man von freundlichem Personal empfangen wird. Die Schulleiterin, Dee Bleach, leitet die Schule seit 16 Jahren und ist wesentlich verantwortlich für deren Erfolg. Obwohl sehr viele Kinder an der Mayflower School die denkbar schlechtesten Voraussetzungen mitbringen, um bei den nationalen Testungen am Ende der Volksschule (mit elf Jahren) die nationalen Standards zu erreichen, gelingt das im nationalen Vergleich zu einem sehr hohen Prozentsatz. Den Standard erreichten 2023 86 Prozent, im Vergleich zu 65 Prozent im nationalen Schnitt. Ein Viertel der Schüler:innen fällt sogar in die Gruppe "Higher than Standard". Wie kann denn das gelingen? Ohne soziale Durchmischung? Mit Kindern, die mit erheblichen Defiziten mit vier Jahren die Schule beginnen? Der Schulbesuch ist ab fünf Jahren verpflichtend in England, fast alle besuchen aber bereits mit vier Jahren die "Reception" genannte Vorschulklasse.

Warum gelingt das?

Die Faktoren, die zum Erfolg führen, sind vielfältig, einige seien hervorgehoben.

Einer starken, kompetenten Führungskraft an der Spitze einer Schule kommt bekanntlich zentrale Bedeutung zu. Dee Bleach hat mit ihrem Team eine Vorzeigeschule geschaffen. Das Führungsteam hat sie in den ersten Jahren als Schulleiterin ausgetauscht. Im Führungsteam sind neben ihr noch ihre zwei Stellvertreterinnen, eine davon ist auch für Sonderpädagogik zuständig. Darüber hinaus gibt es Verantwortliche für die jeweiligen Schulstufen und für den Kindergarten, es gibt auch administratives Personal. Für eine Schule mit insgesamt 411 Kindern ist das für eine österreichische Schuldirektorin unvorstellbar. Besonders wichtig ist Dee Bleach, dass ihre Lehrer:innen autonom entscheiden, was sie unterrichten.

Religion, Sexualkunde, Demokratie

Wie sieht also die Arbeit in der Praxis aus? Was macht die Schule, um den Kindern, die meist mit sehr eingeschränkten Wertvorstellungen an die Schule kommen, Weltoffenheit zu vermitteln? Wie wird an den Defiziten gearbeitet? Wie kann Kindern aus streng muslimischen Familien Verständnis für andere Religionen vermittelt werden? Wie werden Eltern in die Schule einbezogen? Exemplarisch seinen hier Beispiele angeführt, wie die Schule mit diesen zahlreichen Herausforderungen umgeht.

Zur Lesekompetenz gibt es jede Woche (!) ein persönliches Feedback. Die Leistung im Schreiben wird ebenfalls kontinuierlich überprüft, ganz ohne Stress für die Kinder. Ein kleines Beispiel für niederschwellige Förderung: Die Kinder, die an dieser Schule an Tischgruppen sitzen, verlassen in der Mittagspause das Klassenzimmer. Eine Lehrerin schaut sich währenddessen an den Tischen ihre Hefte an, und wenn sich herausstellt, dass die Tische nicht gut durchmischt sind (Leistungsstarke und Leistungsschwache), werden nach der Mittagspause die Gruppen neu zusammengesetzt.

Die Schule ermöglicht den Kindern Erfahrungen in Bereichen, die in ihren Herkunftsfamilien verboten wären, wie beispielsweise Tanzen oder Musizieren. Es gibt ein Fach "Philosophy for Children", und der Religionsunterricht ist ein "Unterricht in Religionen" mit dem Ziel, am Ende des Schulbesuchs ein Verständnis für die Weltreligionen zu haben. Eine römisch-katholische Kirche in der Nähe wird ebenso besucht wie ein buddhistisches Zentrum. Sexualkunde findet nach Geschlechtern getrennt statt, was besonders für die Mädchen sehr wichtig ist. Demokratie lernen findet in der Praxis statt. Schülermitbestimmung gibt es bereits für die ganz Kleinen. Elternarbeit findet auch außerhalb der Schule statt, auch in Kooperation mit dem Bezirk. Die Liste ließe sich fortsetzen – sie ist lang. Was wir von der Mayflower School lernen können und wo uns im österreichischen Schulsystem mit Sicherheit Grenzen gesetzt wären, damit möchte ich mich demnächst hier, am Beispiel dieser Schule, befassen.

Zurück zur Mayflower School. Bei einem abschließenden Rundgang durch die Schule treffe ich auf eine Gruppe von etwa siebenjährigen Mädchen, die mit ihren iPads, die es an der Schule in jedem Raum gibt, an einem Filmprojekt arbeiten. Ein Filmregisseur steht ihnen an diesem Tag zur Verfügung. Sie erklären mir sehr selbstbewusst und sprachgewandt, was sie da gerade machen. Eine Gruppe von Buben macht mir im engen Stiegenhaus höflich Platz. Mein Besuch ist zu Ende. Ich wäre gerne noch länger geblieben. (Heidi Schrodt, 1.7.2024)