Die Türken mühten sich gegen zehn Tschechen zu einem 2:1-Sieg.
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Hamburg – 2012 nicht qualifiziert, 2016 und 2021 nach der Gruppenphase out: Die Türkei hat nach drei enttäuschenden Fußball-EM-Turnieren mit dem Achtelfinaleinzug am Mittwoch wieder einmal positive Schlagzeilen geschrieben. "Ich glaube, dass in den vergangenen Tagen zu viel Druck um das Team herum geschürt wurde. Viel Kritik war unbegründet. Trotzdem haben wir Historisches geschafft", sagte Teamchef Vincenzo Montella. Sein Respekt vor Dienstag-Gegner Österreich ist sehr groß.

Die ÖFB-Truppe wartet in weniger als einer Woche zum Abschluss des EM-Achtelfinales in Leipzig. Es ist das zweite direkte Duell innerhalb kurzer Zeit nach dem klaren 6:1-Testsieg Österreichs am 26. März im Wiener Happel-Stadion. "Wir kennen sie gut, weil wir erst gegen sie gespielt haben", sagte der Italiener. Bei der EM gab es für Österreich in der für Montella "vielleicht schwierigsten" Gruppe D überraschend Rang eins.

Lob für das ÖFB-Team: "Wie ein Verein"

Die ÖFB-Auswahl verfüge über ein "sehr schnelles, körperlich starkes und organisiertes" Team. "Sie haben so gute Automatismen, sind so gut eingespielt, dass Österreich aussieht wie ein Verein und keine Nationalmannschaft", betonte Montella. Der Gegner habe auch den Vorteil von einem Tag mehr Regeneration. "Wir wollen den Sieg genießen, weil wir uns den mit Schweiß und Blut erkämpft haben. Ab morgen wollen wir weiter Geschichte schreiben. Wir werden alle Reserven raushauen, um auch das nächste Spiel für uns zu entscheiden."

Beim 2:1 gegen Tschechien in Hamburg traf Cenk Tosun erst in der 94. Minute. "Es war eine großartige Befreiung, uns ist ein Stein vom Herzen gefallen", gab Montella zu. Doch auch bei einem 1:1 wäre der Aufstieg als Zweiter der Gruppe F sicher gewesen. Trotz einer Überzahl nach der frühesten (Gelb-)Roten Karte der EM-Geschichte für Antonin Barak (20.) hatten die Türken nach Toren von Hakan Calhanoglu (51.) bzw. Tomas Soucek (66.) bis zum Schluss zittern müssen. "Wir hätten den Deckel viel früher draufmachen müssen, haben uns das Leben nicht leicht gemacht. Aber wenn man leidet, ist die Freude umso größer. Dann sind die positiven Emotionen umso stärker."

Diese positiven Gefühle gilt es mitzunehmen. "Wir wollen unseren Weg mit Selbstvertrauen weitergehen", sagte Verteidiger Merih Demiral. Auch "Man of the Match" Baris Alper Yilmaz hat Lunte gerochen: "Wir haben eine großartige Generation von Spielern, die Unglaubliches erreichen kann." Eine gelungene Revanche gegen Österreich würde dazugehören. "Wir haben im Test im März eine empfindliche Niederlage erlitten, dieses Mal wollen wir gewinnen", so Tosun.

Elf Gelbe Karten gegen Tschechien

Erstmals seit der EM 2008, wo erst im Halbfinale Endstation war, dürfen sich die Türken in der K.-o.-Phase versuchen. "Ich hoffe, dass uns der Achtelfinaleinzug jetzt Druck nimmt", sagte Montella. Sein junges Team habe darunter sehr gelitten. Damit zu erklären sind auch die elf Gelben Karten. "Wir müssen daran arbeiten, die Nerven besser zu bewahren, die Emotionen besser im Griff zu haben", erläuterte der Teamchef. Gelb sahen auch der "überragende" Offensivspieler Calhanoglu und Innenverteidiger Samet Akaydin, die dadurch gegen Österreich gesperrt sind.

Montella konnte beide Verwarnungen nicht nachvollziehen, wollte aber das Thema nicht zu hoch hängen. "Wir können es einfach nur akzeptieren." In einem laut Montella "knappen und ruppigen" Spiel hatten auch die Tschechen siebenmal Gelb und nach Schlusspfiff noch ein weiteres Mal Rot gesehen. So viele Karten waren zuvor nie bei einem EM-Spiel verteilt worden.

Für Calhanoglu ist das bisher positive Auftreten von Achtelfinalgegner Österreich nicht überraschend gekommen. Der 30-Jährige bezeichnete die ÖFB-Truppe nicht nur als "ganz starke" Mannschaft, sondern sogar als "meinen Geheimfavoriten" im Turnier.

"Jetzt ist alles möglich in diesem Turnier. Wir werden alles dafür tun, um weiterzukommen", sagte Calhanoglu. Seine Verwarnung kann er nicht nachvollziehen. "Ich bin als Kapitän meines Teams zum Schiedsrichter gegangen, um mit ihm zu sprechen", verlautete der Club-Kollege von Marko Arnautovic bei Inter Mailand. Nach der Reaktion des Schiedsrichters sei er enttäuscht und sprachlos gewesen. Zuvor hatte er mit seinem Torerfolg etwas "Besonderes, Spezielles" erlebt. (APA, red, 27.6.2024)