Der Dalai Lama wurde von unzähligen Tibetern in New York empfangen.
AP/Andres Kudacki

Die Ankündigung von Anfang Juni kam überraschend: Ende des Monats würde der Dalai Lama eine Reise in die USA antreten, dort müsse er sich einer Kniebehandlung unterziehen. Nähere Informationen gab es von seinem Büro dazu nicht.

In den vergangenen Jahren hat das spirituelle Oberhaupt der Tibeter seine Reisetätigkeit stark eingeschränkt. Erst die Covid-Pandemie, aber auch sein Alter – Anfang Juli wird der buddhistische Mönch bereits 89 Jahre alt – zwangen ihn dazu, etwas leiser zu treten. Früher tourte der Tibeter so gut wie pausenlos durch die Welt. Heute haben sich die Gelegenheiten, mit ihm zusammenzutreffen, drastisch reduziert.

Doch am Wochenende kam der Dalai Lama bei seiner ersten Auslandsreise seit sechs Jahren in New York an. Tausende Exiltibeter empfingen ihn in der Metropole. In traditioneller tibetischer Kleidung konnten viele ihr Glück kaum fassen, doch noch einen Blick auf den – in ihren Augen – göttlichen Lama zu erhaschen.

Nur Trump hat ihn nicht getroffen

Doch neben aller religiöser Verzückung über die seltene Gelegenheit machen einstweilen ganz andere Überlegungen die Runde: Wird der Dalai Lama auch den mächtigsten Mann der USA treffen, nämlich Präsident Joe Biden? Vielen sehen nun die vielleicht letzte Gelegenheit, dass Biden endlich seine Ankündigung einlösen könnte. Andere wissen um die Konsequenzen in Fernost: China reagiert erbost über derartige Zusammenkünfte. Für Peking bleibt die "Dalai-Lama-Clique" eine Gruppe von Separatisten.

Die USA gelten als traditionelle Unterstützer der tibetischen Sache, auch wenn sie anerkennen, dass Tibet Teil Chinas ist. Schon George H. W. Bush hat den Dalai Lama ungeachtet der Drohgebärden Pekings getroffen, genauso wie Bill Clinton, dann George W. Bush und schließlich auch Barack Obama. Bloß Donald Trump hatte eine Zusammenkunft in seiner Amtszeit ausgelassen. Der damalige Präsidentschaftskandidat Biden hat das 2020 noch scharf kritisiert: Ihn nicht zu treffen sei erbärmlich ("disgraceful").

Doch bislang kam es auch zwischen Biden und dem Tibeter nicht zu einem Treffen. Durch Covid waren die Gelegenheiten tatsächlich eingeschränkt, Möglichkeiten hätte es aber gegeben – etwa bei Bidens Besuch in Delhi im September 2023.

Wie das US-Außenministerium am Donnerstag wissen ließ, gebe es "zurzeit nichts, was man bestätigen könnte", auf die Frage von "RFA Tibetan", ob ein Treffen geplant sei. Zuvor hatte das Büro des Dalai Lama bekanntgegeben gehabt, dass neben der Kniebehandlung keine weiteren Termine in den USA geplant seien.

Doch solange der Dalai Lama in den USA verweilt, bleibt die Frage offen. Immerhin gehört die Verschleierung derartiger Pläne oft dazu, um China im Unklaren zu belassen.

Nancy Pelosi in Dharamsala

Schon am Tag vor der Abreise des Dalai Lama aus Indien protestierte Peking scharf, als die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Dharamsala auftauchte, also dem Sitz des Dalai Lama im indischen Exil. Mit ihr reiste nicht nur eine hochrangige Delegation an Abgeordneten, sondern im Gepäck hatte sie auch den Resolve Tibet Act, der im Juni mit großer Mehrheit im US-Senat angenommen worden war. Dieses Gesetzespaket richtet sich gegen chinesische Desinformationskampagnen und betont, dass die USA nie akzeptiert hätten, dass Tibet "immer schon" Teil Chinas war.

Nancy Pelosi besuchte den Tibeter im indischen Dharamsala kurz vor seiner Abreise.
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Schon mit dem Tibetan Policy and Support Act haben die USA 2020 per Gesetz verschriftlicht, dass nur der Dalai Lama selbst über seine Nachfolge entscheiden könne. Damit will man Chinas Bestrebungen, die Nachfolge nach eigenem Gutdünken zu regeln, den Wind aus den Segeln nehmen.

Ein Hauptanliegen im Resolve Tibet Act ist es auch, dass wieder Dialog zwischen Dharamsala und Peking aufgenommen wird. Mehrere Gesprächsrunden zwischen 2002 und 2010 verliefen im Sand. Seitdem gab es keine offiziellen Kontakte mehr zwischen Peking und der Central Tibetan Administration (CTA), die auch als Exilregierung bekannt, international aber nicht anerkannt ist. Wie CTA-Präsident Penpa Tsering auch dem STANDARD bestätigte, gibt es seit über einem Jahr allerdings wieder inoffizielle Kontakte. Für einen offiziellen Dialog müsse der Dalai Lama seine politischen Ansichten "gründlich reinigen", betonte wiederum Peking am Tag seiner Abreise in Richtung USA.

In den USA hofft man, dass die Kniebehandlung gut verläuft – und dass Joe Biden den Resolve Tibet Act rasch unterzeichnet, vielleicht sogar noch vor oder am Geburtstag des Dalai Lama, und er somit in Kraft tritt. Das wäre am nächsten Samstag. Wie lange der Dalai Lama in den USA bleibt, ließ sein Büro offen. (Anna Sawerthal, 28.6.2024)