Menschenmassen und Polizeifahrzeuge auf der Favoritenstraße in Wien.
Wie in einer Fußgängerzone üblich, sind auch in der Favoritenstraße gemeinhin mehr Fußgänger als nichtexekutive Fahrzeuge unterwegs. Am 29. April war das anders, weshalb ein Teenager nun vor Gericht sitzt.
APA / TOBIAS STEINMAURER

Wien – Verteidiger Werner Tomanek muss Herrn T., seinem 14-jährigen Mandanten, durchaus Respekt zollen. "Wieso können Sie eigentlich Auto fahren? Ich kann nicht einmal gescheit grad zurückschieben. Bei der Polizei haben Sie gesagt, Sie haben es auf der Playstation gelernt?", fragt der Anwalt den unbescholtenen Teenager, der mit einer Anklage wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung vor Richterin Alexandra Skrdla sitzt. "Ja", antwortet der Angeklagte knapp.

Ein Videospiel kann einem Teenager vielleicht das grundlegende technische Verständnis für die Bedienung eines Automobils beibringen, die Inhalte der Straßenverkehrsordnung eher nicht. Denn Gruppeninspektor L. wunderte sich nicht schlecht, als er am 29. April mit seinem Streifenwagen durch die Fußgängerzone Favoritenstraße fuhr und ihm plötzlich ein Mercedes entgegenkam. An dessen Steuer saß der Angeklagte.

"Wir haben ihm ein Zeichen zum Anhalten gegeben, er hat stattdessen Gas gegeben, wir mussten ausweichen", erinnert sich der Polizist als Zeuge. "Wir haben gewendet, er ist mit Vollgas durch die Fußgängerzone gefahren, mit einem Mördertempo auf der Quellenstraße, gegen eine Einbahn, dann in eine Sackgasse. Aus 100, 150 Meter Entfernung haben wir gesehen, dass der Beifahrer aussteigt und davonläuft." Schließlich habe man T. festnehmen können. "Er hat uns eine Geschichte erzählt von einem Freund, der ihn angeblich genötigt oder bedroht hat. A Räubersgschicht!", ist der Beamte überzeugt.

Geheimnisvoller "Mansur"

Allerdings bleibt der junge Angeklagte auch vor Gericht bei dieser Version. "Wer war im Auto?", will die Richterin wissen. "Ich", antwortet der unbescholtene, in Wien geborene Rumäne. "Allein?" – "Nein. Mit einem Kumpel." – "Wer?" – "Der Mansur." – "Wie weiter?" – "Weiß ich nicht." – "Ich dachte, der ist ihr Freund?" – "So gut kennen wir uns nicht."

Der Schüler erzählt diese Geschichte: Mansur habe ihn besucht und gesagt, er wolle Gegenstände aus dem Auto von T.s Mutter holen. "Dann habe ich die Schlüssel genommen und habe aufgesperrt. Dann hat Mansur plötzlich ein Messer gezogen und gesagt, dass er fahren will." – "Aber in der Fußgängerzone sind Sie gefahren?" – "Ja, wir haben gewechselt." Als das Duo das Polizeiauto wahrgenommen hatte, habe der "Kumpel" neuerlich das Messer gezückt, es ihm an den rechten Rippenbogen gehalten und gefordert: "Fahr jetzt schnell!" Das habe er aus Angst dann auch gemacht.

"Haben Sie den Mansur danach einmal gefragt, warum er das gemacht hat?", fragt Skrdla. "Jetzt haben wir keinen Kontakt mehr", gibt der Angeklagte bekannt. "Das ist ja nicht so eine kumpelhafte Aktion", findet die Richterin. Die den Teenager dann rechtskräftig freispricht. "Ich habe selten so eine Verantwortung gehört. Die ist gut. Ob sie stimmt, weiß ich nicht", gibt Skrdla zu. Sie muss aber Verteidiger Tomanek zustimmen, der zum Glück für seinen Mandanten festgehalten hat, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten "nicht einmal ansatzweise versucht, zu ermitteln", um wen es sich bei dem zweifelslos existierenden Beifahrer gehandelt hat.

Entschuldigender Notstand

"Jetzt kann man das glauben oder nicht, dass es so gewesen ist, wie Sie erzählen. Wenn Sie mit einem Messer bedroht wurden, ist es ein klassischer Fall eines entschuldigenden Notstands, dementsprechend muss ich im Zweifel einen Freispruch fällen", begründet die Richterin ihre Entscheidung. "Für einen Schuldspruch hat es heute mit dieser Beweislage nicht gereicht."

Am Ende hat Skrdla noch einen Tipp für T.: "Es gibt da diese Sache, die heißt Fahrschule. Die ist besser als Playstation." – "Ab wann darf ich fahren?", will der Teenager wissen. "Das wird jetzt längere Zeit nichts", vermutet die Richterin, der Verteidiger empfiehlt, frühestens den 18. Geburtstag anzuvisieren. "Bis dahin mit der U-Bahn. Oder per pedes. Also z'Fuss!", demonstriert Skrdla, dass Juristinnen ihre Lateinkenntnisse nicht umsonst haben. (Michael Möseneder, 27.6.2024)