Abtreibungsgegnerinnen und -befürworterinnen treffen vor dem Supreme Court aufeinander.
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Es war ein Hoppala, das für Aufsehen sorgte. Am Mittwoch ging unabsichtlich kurzzeitig ein Urteilsentwurf des Supreme Courts der USA online, in dem sich eine Mehrheit der Höchstrichterinnen und -richter dafür aussprach, dass der Bundesstaat Idaho Abtreibungen in medizinischen Notsituationen erlaubt. Zumindest zwischenzeitlich. Im Moment ist im konservativen Idaho ein De-facto-Abtreibungsverbot in Kraft, das nur dann einen Schwangerschaftsabbruch erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist – nicht aber, wenn durch die Schwangerschaft die Gefahr von schweren gesundheitlichen Schäden besteht.

Am Donnerstag folgte schließlich auch das Urteil: Es stellen sich der konservative Vorsitzende des Höchstgerichts, John Roberts, und die von Trump ernannten Richter Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett auf die Seite der liberalen Richterinnen Sonia Sotomayor, Elena Kagan und Ketanji Brown Jackson, denen zufolge das Verbot in Idaho in gewissen Notsituationen nicht durchgesetzt werden darf. Sie stimmen dafür, dass eine Anordnung eines untergeordneten Gerichts wieder in Kraft gesetzt werden muss, womit Patientinnen aus Idaho nicht mehr für medizinisch notwendige Abtreibungen aus dem Bundesstaat ausgeflogen werden müssen. Zumindest vorläufig.

US-Gesetz gegen Bundesstaat

Die Entscheidung darüber, ob der landesweite Emergency Medical Treatment and Labor Act (Emtala) die Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten aufhebt, wurde aber weiter verschoben. Durch den Emtala sind alle Krankenhäuser, die Medicare-Gelder des Bundes annehmen – also fast alle –, verpflichtet, Eingriffe durchzuführen, "die zur Stabilisierung des Gesundheitszustands erforderlich sind", wenn die Betroffene mit einem "medizinischen Notfall" in eine Notaufnahme kommt. Das könnten auch Abtreibungen sein. Ein medizinischer Notfall ist unter Emtala auch dann gegeben, wenn "eine ernsthafte Beeinträchtigung der Körperfunktionen" oder "eine ernsthafte Funktionsstörung eines Körperorgans oder -teils" zu befürchten ist.

Ein landesweites Gesetz überstimmt die bundesstaatliche Gesetzgebung. So weit, so klar. Oder auch nicht.

Denn die Richterinnen und Richter sind sich uneinig, wenn es um die Verfahrensfrage geht. Denn der Supreme Court hat sich der Idaho-Abtreibungsfrage angenommen, obwohl der Fall noch gar nicht vor einem Berufungsgericht gelandet ist. Dieses Überspringen des Instanzenzugs kommt sehr selten vor – und Kagan sowie Sotomayor sind der Ansicht, dass der Fall zurück an ein Berufungsgericht gehen muss. Jackson hingegen sieht eine Dringlichkeit gegeben, wonach ein Urteil des Supreme Courts den Ärztinnen und Ärzten in den USA während medizinischer Notfälle rechtliche Sicherheit geben soll.

Auch die konservative Richterin Barrett – gemeinsam mit Roberts und Kavanaugh – ist der Ansicht, dass der Fall eine Instanz nach unten gereicht werden muss. Sie erachten ein Schnellverfahren als nicht mehr notwendig, da beide Seiten, nämlich die Biden-Regierung sowie die Regierung Idahos, in gewissen Punkten nachgegeben hätten und eine Dringlichkeit nicht mehr gegeben sei. Für das Weiße Haus dürfen Krankenhäuser oder medizinische Fachkräfte weiterhin eine Abtreibung aus moralischen Einwänden verweigern. Idaho führte an, dass Abtreibungen bei gewissen medizinischen Notsituationen jetzt schon legal seien, "auch wenn es keine direkte Bedrohung des Lebens des Frau" gebe. Laut Barrett zeigt das, dass sich die Positionen der Parteien noch weiterentwickeln und sie deshalb vor einem Berufungsgericht noch präzisiert werden müssten, bevor der Supreme Court ein finales Urteil fällt.

Landesweite Entscheidung verschoben

Die konservativsten Richter Samuel Alito, Clarence Thomas und zum Teil Neil Gorsuch vertreten auf der anderen Seite die Ansicht, dass Abtreibungen eine dezidierte Ausnahme im Emtala-Gesetz sein sollten. Denn es werde immer wieder vom "ungeborenen Kind" gesprochen – womit die Versorgung des Fötus einer Schwangeren gemeint ist.

Mit dem finalen Urteil geht der Fall nun eine Instanz zurück, und eine landesweite Entscheidung wird um Monate oder Jahre verschoben. Damit können die Befürworterinnen von Abtreibungen in Idaho aufatmen, bis ein erneutes Urteil gesprochen wird, die Frauen in anderen Bundesstaaten profitieren aber nicht davon. Für die liberale Richterin Jackson zeigt sich seit der Aufhebung von Roe v. Wade, dass die Ärztinnen und Ärzte selbst in solchen Bundesstaaten, in denen Abtreibungen in medizinischen Notsituationen erlaubt sind, oft nicht genau wissen, wann solch eine Situation eintritt, und deshalb auf rechtlich unsicherem Terrain agieren. (Bianca Blei, 27.6.2024)