Jugendliche in Favoriten
Die Straßen, Parks und Plätze in Favoriten sind für viele Jugendliche zu einem zweiten Wohnzimmer geworden.
© Christian Fischer

Ein heißer Junimorgen auf der Favoritenstraße. Auf Stirnen, Hemden, Blusen und T-Shirts der in die Arbeit Eilenden zeichnet sich kurz vor neun Uhr der Schweiß ab. Auch auf dem Keplerplatz wird bereits gearbeitet und geschwitzt: Im Schatten der St.-Johann-Evangelist-Kirche, wo einige vom Leben zerzauste Männer mit müden Blicken und Bierdosen in den Händen sitzen, bedienen vier Burschen in Jogginghosen und mit lässig umgehängten Bauchtaschen ihre morgendliche Kundschaft, picken im Vorbeigehen Baggies aus ihren Verstecken im Gebüsch auf und tauschen mit einem routinierten Handschlag Ware gegen Bezahlung. Zehn Euro für ein Gramm Cannabis. Was an diesem Morgen sonst noch auf dem Menü steht, ist nicht in Erfahrung zu bringen: Ein Polizeiauto umkreist im Schritttempo den Platz.

Etwa 500 Meter weiter die Favoritenstraße hinauf, auf dem Reumannplatz, ist die Hitze noch spürbarer: In einer Gruppe stark betrunkener Männer und Frauen aus Osteuropa gibt es lauten Streit. Vom anderen Ende des Platzes kommen auch schon zwei Polizeibeamte in dicken Schutzwesten anmarschiert. Drei junge Syrer beobachten den Tumult von einer nahegelegenen Bank aus. Ihre Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen, aber ein bisschen plaudern, das geht. Was halten sie davon, dass Politik und Boulevard ihren Bezirk seit einigen Monaten zum gefährlichsten Ort der Stadt erklärt haben? "Ist doch Blödsinn", sagt einer. "Passieren kann überall was."

Themenwoche: Kriminalität, Sicherheit und Radikalisierung.
Illustration/ STANDARD

Die Favoritenstraße, der Reumann- sowie der Keplerplatz und die Parks rundherum – ebenjene rund 0,6 Quadratkilometer, die die Landespolizeidirektion Wien per Verordnung seit Ende März zur Waffenverbotszone erklärt hat – sind so etwas wie ihr Wohnzimmer. Denn zu Hause, da sei kein Platz, erzählen sie. Und in ihrem öffentlichen Wohnzimmer würden sie nun ständig von der Polizei kontrolliert. "'Geht weg', sagen die immer. Aber wo sollen wir hin? Wir machen ja nichts. Wir sitzen nur", sagt einer der drei. "Ohne Messer", fügt sein Freund grinsend hinzu und dreht wie zum Beweis das Innere seiner Hosentasche nach außen.

Seit Jahren Austragungsort von Konflikten

In den vergangenen Jahren war Wiens südlicher Großbezirk regelmäßig Austragungsort von Konflikten: Auf dem Reumannplatz stießen Kurden und Türken zusammen, auf dem Keplerplatz brodelt es zwischen Obdachlosen, Alkoholikern und Drogendealern aus Afghanistan und dem Maghreb, in den Parks haben angebliche Jugendbanden ihr Homeoffice aufgeschlagen und gehen dort illegalen Geschäften nach. Immer wieder eskalieren die Spannungen, und es kommt zu Gewalt.

Stadtbekannt wurden etwa die "antons", eine Jugendgruppe benannt nach dem Favoritner Antonspark, der direkt an die Waffenverbotszone grenzt. Insgesamt 17 Burschen mit Migrationsgeschichte stehen im Verdacht, im vergangenen Jahr eine damals Zwölfjährige mehrfach sexuell missbraucht zu haben – möglicherweise sind auch mehr Mädchen betroffen. Die "antons" stehen symbolhaft für ein wachsendes Milieu, in dem man sich bereits in sehr jungen Jahren über Drogen, Waffen und schiere Gewalt definiert. DER STANDARD berichtete.

Allein im März gab es ein halbes Dutzend Messerstechereien auf Favoritner Straßen und Plätzen – die Stadt verhängte daraufhin vom Südbahnhof bis über den Reumannplatz hinweg ein Verbot für Waffen und gefährliche Gegenstände. Die passende Antwort auf die Fragen, die die Probleme in Favoriten aufwerfen? Oder lediglich eine medienwirksame Maßnahme, mit der die Stadt auf die Stimmungsmache der politischen Rechten reagiert?

Wohnen auf engem Raum

Diese hat Favoriten längst als politischen Kampfbegriff gebrandet, 1100 gilt ihnen als Chiffre für alles, was hierzulande angeblich schiefläuft. Und der Ursprung aller Probleme ist in der rechten Logik schnell ermittelt: die Migration. Der Zehnte sei bereits "gefallen", verkündeten die Freiheitlichen im März. Dass der Bezirk zwar in absoluten Zahlen Wiens Straftatenstatistik anführt, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl aber nicht im Spitzenfeld liegt, bleibt bei der Erzählung über die gewaltbereiten Ausländer gern unerwähnt.

Will man Favoriten besser verstehen, hilft ein genauerer Blick in die Statistik: In dem mehr als 220.000 Einwohner starken, zweitbevölkerungsreichsten Bezirk der Stadt ist fast jeder Zweite im Ausland geboren. Nur 59 Prozent der Favoritnerinnen und Favoritner im wahlfähigen Alter dürfen hier wählen. Die Bewohner des Zehnten sind jung, vielen fehlt eine höhere Schulbildung, die Einkommen sind dementsprechend geringer als in den meisten anderen Wiener Bezirken. Und man wohnt auf engem Raum – die aktuell hohe Anzahl von Familienzusammenführungen verschärft die schwierige Lage zusätzlich.

"Die Kinder hier sind auf sich selbst gestellt"

Die Straßen, Parks und Plätze sind für viele hier ein wichtiger Aufenthaltsraum – den es mitunter auch zu verteidigen gilt, sagt Nikola Poljak, Favoritner Jugendbeauftragter und SPÖ-Bezirksrat. Der Sozialarbeiter kennt die Probleme des Bezirks, er ist hier selbst aufgewachsen und lebt immer noch hier. "Die, von denen man in der Zeitung liest, sind Menschen, die bereits ein randvolles Glas durch den Alltag balancieren." Ein zusätzlicher Tropfen bringe es dann zum Überlaufen. "Wenn du wenig hast, hast du auch nichts zu verlieren."

Der Umgang sei in den vergangenen Jahren insgesamt ruppiger geworden, meint Poljak. Zwar hätten auch in früheren Generationen Teenager Messer eingesteckt gehabt. Die Hemmschwelle, sie einzusetzen, sei heute aber geringer. "Den meisten ist nicht bewusst, welche gefährlichen Verletzungen sie mit Messern anrichten können."

Weil Messergewalt seit einigen Jahren Wien-weit und zuletzt besonders in Favoriten zunimmt, fordert der SPÖ-Bezirksvorsteher Marcus Franz bereits ebensolang mehr Polizei für seinen Bezirk. Zwar bleibt sein Wunsch auch mit der Einführung der Waffenverbotszone unerfüllt, in der etwa 85 Fußballfelder großen Sperrzone scheinen die 410 Beamten und Beamtinnen, die in Favoriten ihrem Dienst nachgehen, jedoch allgegenwärtig.

Nikola Poljak sieht das mit gemischten Gefühlen: "Wohler fühlt man sich durch diese starke Polizeipräsenz nicht." Und die ursächlichen Probleme würden dadurch auch nicht gelöst. Seine Vermutung: "Der Hotspot Favoriten wird absichtlich gehalten." Die eigentlichen Friedenstifter sind die offene Kinder- und Jugendarbeit, die Fairplay-Teams und die Präventionsbeamten, die an die Schulen gehen, sagt Nikola Poljak. Die meisten Favoritner Kinder und Jugendlichen verbringen ihre Freizeit im Park. "Wieso geben wir nicht mehr Geld für die Kinderhilfe und Ganztagesschulen aus? Die Kinder hier sind am Nachmittag auf sich selbst gestellt."

In Sachen Parkbetreuung hat die Stadt reagiert und die Anzahl der Jugendarbeiter in den vergangenen Monaten aufgestockt, sagt Christina Pantucek-Eisenbacher, Leiterin des Referats Jugend der zuständigen MA 13. Zwei Vereine mit 70 Mitarbeitern kümmern sich in Favoriten um Kinder und Jugendliche: Sie betreuen 19 Parks, sind in neun Jugendeinrichtungen stationiert, eine weitere wird im Herbst eröffnet. Das Waffenverbot habe viele der Jugendlichen beschäftigt, erzählt Pantucek-Eisenbacher. "Viele haben sich gefragt: Muss ich mich fürchten? Was darf ich mithaben, was ist verboten? Die Jugendarbeiter haben sie mehrsprachig informiert, und die Polizei, mit der wir in Favoriten sehr gut kooperieren, hat bei unserer Zielgruppe bislang auch keine Waffen gefunden."

26 Waffen in zwei Monaten einkassiert

Und wie fällt die Bilanz der Waffenverbotszone aus Sicht der Polizei aus? Kurz gesagt: positiv. So positiv, dass sie ab Juli gleich um drei Monate verlängert wird. "Die strafbaren Handlungen sind merklich zurückgegangen", erklärt die Exekutive. Das wird auf die stärkere Polizeipräsenz zurückgeführt. Konkrete Vergleichszahlen aus der Zeit vor der Verbotszone kann sie allerdings nicht nennen – solche Daten seien schlicht nicht vorhanden. Übrig bleibt daher nur eine vorläufige Gesamtstatistik von Ende März bis Ende Mai. In diesem Zeitraum gab es insgesamt 25 Anzeigen wegen Missachtung der Waffenverbotszone. Außerdem wurden 26 Waffen oder ähnlich gefährliche Gegenstände sichergestellt, darunter 19 Messer. (Birgit Wittstock, Jan Michael Marchart, 1.7.2024)