Céline Dion
Ein Szenenbild aus "I Am: Céline Dion". Trotz aller Aussichtslosigkeit bezüglich des Krankheitsverlaufs kämpft die Diva weiter.
IMAGO/Capital Pictures

Neben den vier Leuten von Abba dürfte es sich bei Céline Dion um den einzigen Act in der Geschichte handeln, der nach dem Gewinn des Eurovision Song Contest tatsächlich eine Weltkarriere hinlegte. Die aus Quebec, dem französischsprachigen Teil Kanadas, stammende Sängerin siegte 1988 für die Schweiz mit dem Lied Ne partez pas sans moi. In dem ging es, wie später so oft in ihrer künstlerischen Laufbahn, um eine Verdichtung starker Gefühle bis knapp vor die Kern-, besser Herzschmelze. Liebe – und warum sie schiefgeht. Das Verlassenwerden. Bitte, komm zurück! Liebe ist kälter als der Tod. Aber auch: Liebe ist die größte Kraft, die alles schafft!

Sogenannte Powerballaden führen die Interpretinnen in ein unendlich tiefes und gut mit outriertem Gesang beschalltes Jammertal. Aus dem rappeln sie sich schließlich selbstermächtigend wieder auf und ziehen bergwärts. Man hat durchgehalten. Das Leben geht weiter. Céline Dion gilt als unumschränkte Meisterin der Powerballade. Daneben steht als historischer Vergleich in unseren Breiten mit Zarah Leander (Nur nicht aus Liebe weinen) und international betrachtet höchstens noch Whitney Houston (I Will Always Love You) als gleichwertige Größe.

Banktresore aufschneiden

Spätestens 1997 wurde Céline Dion mit My Heart Will Go On zum Weltstar. Der Titelsong aus dem globalen Blockbuster Titanic dokumentiert neben einer sich tief ins menschliche Gedächtnis gegrabenen irischen Tin Whistle auch Dions Banktresore aufschneidende mehroktavige Stimme. Die für Amazon Prime produzierte Dokumentation I Am: Céline Dion zeigt diesbezüglich eine Szene, in der die heute 56-jährige Sängerin während einer Studioaufnahme derartig intensiv ihre Schneidbrennerstimme aktiviert, dass das technische Personal nicht nur um sein Gehör, sondern auch um die technischen Apparaturen fürchtet.

Prime Video

Dokumentarfilmerin Irene Taylor Brodsky hat nicht nur Archivmaterial aus den diversen Karrierestationen Dions zusammengetragen. Céline Dion ging es gemeinsam mit ihrer Regisseurin vor allem darum, einen ungeschönten Blick hinter die Kulissen eines von Las Vegas aus regierenden Superstars zu werfen. Der ist vor allem eines: seit gut zwei Jahrzehnten schwer krank. Sie leidet an der äußerst seltenen und unheilbaren neurologischen Autoimmunerkrankung Stiff-Person-Syndrom, einer unter anderem durch Stress und Lautstärke verursachten allmählichen Vergrößerung und Versteifung vor allem der Rumpfmuskeln. Damit gehen unkontrollierte spastische Anfälle einher, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Es betrifft eine von einer Million Personen, überwiegend Frauen.

Die damit einhergehenden Kontraktionen waren während der letzten Jahre mitunter so heftig, dass Dions Rippen brachen. Die Schmerzen müssen unerträglich sein. Zwei Jahrzehnte auf einer manchmal lebensbedrohlichen Dosis starker Schmerzmittel "funktionierend", machte Dion ihre Krankheit erst 2022 öffentlich. Immerhin musste sie deswegen schon ein Jahr zuvor sämtliche Auftritte und Tourneen absagen. Der eingeengte Brustkorb lässt es nicht mehr zu, die hohen Gesangsnoten zu erreichen.

Bedrückendes Ende

I Am: Céline Dion zeigt neben Hausbesuchen daheim bei einer sich vor der Kamera unprätentiös gebenden Gesangsdiva, der sich die Krankheit tief ins Gesicht gegraben hat, vor allem auch den verletzten Menschen hinter all der Showfassade. Während man sie erzählen sieht, kommen ihr oft die Tränen. Ihr größter Wunsch, wieder auf die Bühne zurückzukehren, wird wohl unerfüllt bleiben.

Céline Dion kann und will das nicht einsehen. Bloß nicht aufgeben! Auch keine Chancen müssen genutzt werden. Damit es nicht zu hart wird während der gut eineinhalb Stunden, sieht man Dion auch mit ihrem standesgemäß recht umfangreichen Haus- und Hofstaat sowie diversen Spezialärzten kommunizieren. Sie führt außerdem durch eine Lagerhalle (!!!) voll mit ihrer Sammlung von Bühnenkleidern und Schuhen. Am Ende wird es wirklich bedrückend und hart. Céline Dion hat es zugelassen, dass ein mehrminütiger spastischer Anfall nicht nur mitgefilmt, sondern auch in der Doku gezeigt wird. Es schnürt einem die Kehle zu. (Christian Schachinger, 28.6.2024)