Le Pen
Marine Le Pen und ihre Partei müssen sich auf eine unwillige Beamtenschaft einstellen, sollten sie in die Regierung kommen.
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Noch sitzen die Lepenisten in Paris nicht an der Macht. Doch die bloße Möglichkeit treibt zahllose Beamten um. Vor allem jene leitenden Angestellten, die ihre Anweisungen direkt aus ihrem vorgelagerten Ministerium erhalten, also von der Regierung. Diese 500 Spitzenbeamten, Abteilungsleiter, Präfekte und Botschafter warten auf eine Le-Pen-Regierung "wie auf einen Meteoreinschlag", liest man in den sozialen Medien.

Die meisten dieser "hauts fonctionnaires" schweigen, aber alle überlegen, wie sie sich verhalten sollen. Die Zusammenarbeit verweigern und den Hut nehmen? Oder erst recht im Amt bleiben und im Kleinen oder Großen Widerstand leisten?

"Abtreten oder bleiben, das ist eine sehr persönliche Frage", sagte Catherine Sueur, die Generalinspektorin für Finanzen, die sich als eine von wenigen öffentlich äußert. "Die Antwort fällt nicht leicht. Schließlich muss ja jemand die Steuern eintreiben und den Haushalt erstellen."

Petition gegen Le Pen

In der Éducation Nationale, dem französischen Bildungsapparat, haben leitende Angestellte eine Petition lanciert, in der sie bekanntmachen, dass sie der neuen Regierung nicht zu Diensten sein werden. Sie betonen, dass sie schon unter progressiven, konservativen und zentrumspolitischen Regierungen gearbeitet hätten. "Doch morgen wird unser Minister vielleicht zur extremen Rechten gehören und verlangen, dass wir Kaderbeamten seine Verordnungen anwenden, seine Politik umsetzen und eine Bildung organisieren, die im Widerspruch zu den republikanischen Werten steht."

Was diese Werte sind, wissen alle Franzosen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das Gegenteil des "nationalen Vorzugs", den der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen zulasten von Zugewanderten und Ausländern in vielen Sozialbereichen umsetzen will. "Nach bestem Gewissen und Verantwortungsbewusstsein – wir werden nicht gehorchen", schreiben die Petitionäre. "Wir erklären hiermit, dass keiner von uns Maßnahmen anwenden würde, die gegen die Werte der Republik verstoßen."

Die Petition ist von mehr als 2500 betroffenen Spezialbeamten unterzeichnet. Auch in den besonders brisanten Migrationsdiensten gibt es solche Wortmeldungen. Didier Leschi, der Leiter des Einwanderungs- und Integrationsamts (Ofii), durch das alle Eingewanderten gegangen sind, erklärte, er werde "natürlich" keine Politik umsetzen, "die gegen meine republikanische Ethik verstößt".

Auf Zeit spielen

In anderen Ministerien und Abteilungen wird hinter verschlossenen Türen debattiert, welche Möglichkeiten es gäbe, den Gehorsam zu verweigern oder passiven Widerstand zu leisten. "Résistance" ist nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg ein sehr französischer Begriff, Teil des nationalen Charakters. Die Pariser Ausgabe des Onlinemagazins Politico schreibt, die Verwaltung könnte zum Beispiel "auf Zeit spielen, Minisabotage betreiben, Texte schlecht verfassen oder politische Impulse verlangsamen". Ein Chefbeamter weist anonym darauf hin, dass der Staatsrat mit einer "negativen Stellungnahme" theoretisch jeden Regierungstext zu Fall bringen könne.

Le Pens enger Mitarbeiter Renaud Labaye warnt bereits, unbotmäßige Beamte würden entlassen. In Frankreich gebe es kein Spoil-System wie in den USA, wo jede neue Staatsführung ihre eigenen leitenden Beamten mitbringt. Das setze aber, so Labaye, die Loyalität der Staatsangestellten voraus. "Die, die bremsen oder uns behindern, werden ersetzt."

Zurückhaltung

Generell versuchen die Lepenisten aber eine Konfrontation zu vermeiden. "Wir werden keine Hexenjagd veranstalten", versichert Le Pens früherer Kampagnenchef Christophe Bay. Im Gegenteil verspricht er geschickt, die rechte Regierung werde die unbeliebte Reform, die Präsident Emmanuel Macron dem diplomatischen Corps und den Präfekturen aufgezwungen hat, wieder rückgängig machen.

Damit kann Le Pen in der Verwaltung durchaus punkten. Für einige Beamte wäre es ein Anlass, ihre Sympathien für den RN oder für eine Politik wie von Giorgia Meloni in Italien zu bekunden, glaubt ein nicht genannt sein wollender Schatzamt-Direktor. Ob Frankreichs Staatsverwaltung vor einer Blockade steht, muss sich weisen – interne Spannungen zwischen Beamten selbst sind aber auf jeden Fall programmiert, wenn die Lepenisten politisch das Sagen haben. (Stefan Brändle aus Paris, 27.6.2024)