Kein Lehrberuf sorgte für hitzigere Debatten. Verwässerte Ausbildung, magerer Lernstoff, berufliche Sackgasse: Über Jahre schürten die Sozialpartner Angst vor angehenden Köchen, die in ihrer Lehrzeit der Fleischeslust entsagen.

Ab Herbst 2025 könnten die ersten Lehrlinge in Österreich auch gänzlich fleischlos aufkochen.
Regine Hendrich

Die Chance, eine vegane Kochlehre in Österreich auf den Boden zu bringen, stünden quasi bei null, ließen Wirtschaftskammerfunktionäre durchblicken. Die Arbeiterkammer fürchtete eine zu starke Spezialisierung, die junge Menschen im Falle von Arbeitslosigkeit aufs Abstellgleis befördere.

Ein Jahr später ist die fleischlose Ausbildung entgegen aller Widerstände angerichtet. ÖVP und Grüne einigten sich auf ein gemeinsames Rezept. Die entsprechende Verordnung geht über die nächsten vier Wochen in Begutachtung und soll 2025 in Kraft treten. Einsprüche werden keine erwartet.

Ab Herbst kommenden Jahres könnten die ersten Lehrlinge drei Jahre lang lernen, wie sich Grießnockerln, Gulasch und Kaiserschmarrn auch ohne tierische Zutaten zubereiten lassen – vor allem aber, dass sich fleischloses Angebot auf Speisekarten nicht auf gebackene Champignons, Eiernockerl und Gröstl reduzieren muss.

ÖVP beharrte auf "vegetarisch"

Pikantes Detail am Rande: Die ÖVP handelte sich aus, dass die neue Lehre "vegan" nicht im Namen trägt. Zu groß war die Sorge, die Landwirtschaft damit zu vergrämen. Auch die Berufsbezeichnung "Koch" wird die Ausbildung nicht tragen.

Inhaltlich und rechtlich ist die neue "Fachkraft für vegetarische Kulinarik" artverwandten Berufen jedoch völlig gleichgestellt. Ihr Lehrbild zielt auf vegane Küche ebenso ab wie auf vegetarische. Eine Doppellehre mit der herkömmlichen Kochausbildung soll anders als zwischenzeitlich überlegt nicht möglich sein.

Immer wieder hatten renommierte vegane Haubenköche zuvor versucht, Bewegung zwischen die verhärteten Fronten zu bringen – ist es ihnen bisher doch untersagt, Nachwuchs auszubilden. Immer wieder blitzten sie in der eigenen Zunft ab. Den Deckel auf den brodelnden Topf zu setzen gelang Joachim Ivany.

Der Vertreter der Grünen in der Wirtschaftskammer stellte Mitte 2023 den Antrag auf eine fleischlose Kochlehre und arbeitete mit einem dichten Netzwerk an Experten quer durch die Branche die Details aus. Man habe ihn belächelt, ignoriert und beschimpft, sagt Ivany im Gespräch mit dem STANDARD. "Doch wir waren hartnäckig und zur richtigen Zeit am richtigen Ort."

Der Gastronom sieht durch die neue Ausbildung eine nachhaltige Veränderung in der Gastronomie. Fleischlose Ernährung sei kein Trend, sondern eine langfristige Entwicklung. Dafür brauche es Berufe, Infrastruktur und Lokalitäten. "Viele junge Menschen, die sich heute vegan ernähren, beginnen nicht im Alter von 30 damit, Schnitzel zu essen. Wir bilden Fachkräfte aus, die in Zukunft stark gesucht werden."

"Zeitgemäße Ausbildung"

Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, schlägt in dieselbe Kerbe: Das lange Ringen habe sich ausgezahlt, Österreich nehme international eine Vorreiterrolle bei zeitgemäßer Ausbildung ein.

Die neue Lehre sei ein Instrument gegen Fachkräftemangel, sagt Jungwirth. "Sie hat große Bedeutung für junge Menschen, die nicht mit Fleisch hantieren wollen." Zudem erweitere sie das gastronomische Angebot für Gäste. Wer auswärts esse, wolle qualitativ hochwertige Alternativen zu Fleisch. Mit Salat und Beilagen sei es angesichts der sich ändernden Ernährungsgewohnheiten nicht mehr getan.

Der Entwurf zur Verordnung umfasst gut ein Dutzend Seiten. Er berücksichtigt Themen, die in die konventionelle Ausbildung bisher kaum Eingang fanden, wie Digitalisierung, Regionalität, Saisonalität und Unverträglichkeiten.

Ans Eingemachte

In den kommenden Monaten geht es ans Eingemachte. Entscheidungen über Lehrbücher, Schulpläne und die Auswahl der Berufsschulen gehören getroffen. Die Zutaten für fleischlose Gerichte werden präzisiert. Vegane Mayonnaise etwa lasse sich auf viele Weisen zubereiten, erläutert Ivany. Jetzt gelte es, sich auf ein Rezept zu einigen.

Bis 2030 läuft die neue Lehre wie bei allen anderen Ausbildungen als Versuch. Dann wird evaluiert. Ivany rechnet im ersten Schwung mit 20 bis 30 Jugendlichen, die sich dafür gewinnen lassen. Eine volle Berufsschulklasse wäre aus seiner Sicht ein Erfolg. Zum Vergleich: "Büchsenmacher und Tierpräparatoren zählen nur eine Handvoll Lehrlinge in Österreich." Dennoch werde ihr Lehrberuf nicht eingestampft.

"Mini-Schritt"

Sepp Schellhorn, Neos-Abgeordneter und Gastronom, nennt die vegane Kochlehre einen "Mini-Schritt in die richtige Richtung". Sie sei jedoch zu eng gedacht. Österreich zähle lediglich 74 vegane Restaurants und einige Hundert vegetarische Restaurants. Dass diese nun Nachwuchs ausbilden dürften, sei zu begrüßen.

Unzähligen italienischen, vietnamesischen oder arabischen Restaurants, denen dies verwehrt sei, weil sie kein Schnitzel auf der Karte hätten, bringe das aber gar nichts. Schellhorn fordert stattdessen eine generelle Modularisierung der Kochlehre – bestehend aus einem Grundmodul und frei wählbaren Spezialisierungen.

"Meilenstein"

Zu kurz greift die Reform auch für den Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband Wien: Es sei an der Zeit, die gesamte Kochlehre zu revolutionieren. Es sei eine Schande, dass angehende Köche jahrelang nur traditionelle österreichische Küche lernen müssten, bevor sie in die internationale Gastronomie eintauchen dürften.

Einen Meilenstein nennt Felix Hnat, Obmann der Veganen Gesellschaft, die neue Fachkraft für vegetarische Kulinarik. Pflanzliche und regionale Marillenknödel oder selbst hergestellte Mayonnaise seien eine wertvolle Ergänzung zur klassischen Kochlehre. "Überbackener Emmentaler oder Käsespätzle sind ein alter Hut."

Und was meint die Wirtschaftskammer dazu? Vor einem Jahr sah sie noch gute Gründe, an der bisherigen Lehre festzuhalten. Was sollte ein veganer Koch drei Jahre lang lernen?, gab Gastronomieobmann Mario Pulker damals zu bedenken. Fertigkeiten, auf Fleischloses zu reduzieren, hieße, das hohe Niveau zu senken.

Nun ist seine Botschaft ein andere: Man freue sich über jeden neuen Lehrberuf, der das Potenzial habe, Menschen für die Branche zu begeistern. Bereits jetzt würden Zusatzausbildungen mit vegetarisch-veganen Inhalten stark nachgefragt. (Verena Kainrath, 27.6.2024)

Der Artikel wurde um Stellungnahmen der Neos, des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands Wien und der Wirtschaftskammer ergänzt