Die Türken feiern den Einzug ins Achtelfinale.
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Die EM hat die Vorrunde überstanden und im 35. bzw. 36. von 51 Spielen die vermutlich größte Sensation erlebt. Georgien schlug in Gruppe F Portugal. Der quasi zweite Anzug des Gruppensiegers ließ sich in Gelsenkirchen vom EM-Debütanten ausstechen, ein Ballbesitz von 70 Prozent und mehr als ein Dutzend Torschüsse reichten Cristiano Ronaldo und Kollegen nicht, um die Schmach abzuwenden, die Khvicha Kvaratskhelia (3.) und dessen Sturmpartner Georges Mikautadze (57., Elfmeter) für den Mitfavoriten bereithielten. Nach 66 Minuten ging Ronaldo entnervt vom Platz. Portugal trifft im Achtelfinale Slowenien, Georgien feiert gegen Favorit Spanien.

Um Platz zwei und die Ehre, am Dienstag auf Österreich zu treffen, ging es im Parallelspiel zwischen Tschechien und der Türkei in Hamburg. Es war ein zähes Ringen, obwohl die Tschechen schon nach 20 Minuten mit nur noch zehn Mann dagegenhalten konnten.

Hakan Calhanoglu hat die Sache für die Türkei gegen zehn Tschechen in die Hand genommen, fehlt aber gesperrt gegen Österreich.
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Antonin Barak kassierte Gelb-Rot, vor allem die erste Verwarnung war hart gewesen. Das Spiel der Türken löste die Überzahl nicht, aber als Kapitän Hakan Calhanoglu (51.) genetzt hatte, schien alles gelaufen zu sein. Die Tschechen stemmten sich tapfer gegen die Niederlage, suchten ihr Heil in der Offensive. Und als Kapitän Tomas Soucek der Ausgleich gelang (66.), wurde das türkische Team regelrecht panisch. Die Truppe von Vincenzo Montella kassierte Gelbe Karten in Serie, auch Calhanoglu traf es wegen Kritik, der Star von Inter Mailand ist damit für das Duell mit Österreich wegen zweier Verwarnungen gesperrt – eine ganz empfindliche Schwächung. Dennoch war der Jubel grenzenlos, als der für den blassen Jungstar Arda Güler eingewechselte Cenk Tosun in der dritten Minute der Nachspielzeit zum 2:1 traf.

Goldene Generation

Man kennt sich, und doch kennt man sich nicht. Österreichs 6:1 gegen die Türkei im Happel-Stadion ist erst drei Monate und einen Tag her, doch erstens sind Tests generell mit Vorsicht zu genießen, und zweitens wird die damalige Effizienz von Christoph Baumgartner und Konsorten kaum zu reproduzieren sein. Sechs von 13 Torschüssen Österreichs landeten bei der Gala im Netz, die Türken versenkten einen von zwölf – und das war ein Elfer.

Wer ist also diese Türkei, die sich damals so gar nicht entfalten konnte? Jedenfalls eine andere als bei der EM 2020, als das Team von Senol Günes als Geheimfavorit ins Turnier ging und mit einem Gesamtscore von 1:8 im Eiltempo den Urlaub antrat. Die EM-Quali lief unter seinem Nachfolger Stefan Kuntz ähnlich holprig. Der türkische Verband ist nicht für seine Geduld bekannt, im September installierte er anstelle des Deutschen den Italiener Montella als Trainer – und der riss das Ruder herum. Mit deutlich selbstbewussterem Auftreten gewann die Türkei zwei der drei ausstehenden Quali-Spiele und so die Gruppe.

Mit der Türkei freut sich auch Coach Vincenzo Montella über den Achtelfinaleinzug.
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Montella baut stark auf Spieler der heimischen Süper Lig, was auch wegen der Verletzungen zahlreicher potenzieller Leistungsträger notwendig ist. Im defensiven Mittelfeld fällt ihm nun Altmeister Calhanoglu die aus. Vorne schenkt Montella auch Teenagern wie eben Güler und Kenan Yildiz das Vertrauen. Manch einer spricht von einer Goldenen Generation.

Die Gruppenphase hat demonstriert, dass die Türken zwar berauschenden Offensivfußball spielen können, sich mit der Absicherung nach hinten bisweilen aber schwertun. Georgien hätte ihnen gut und gerne drei Tore schießen können, Portugal tat es. (schau, lü, 26.6.2024)